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Ransmayr: Der fliegende Berg

Christoph Ransmayr

Der fliegende Berg

Roman

2006, S. Fischer, ISBN 3-10-062936-1, 368 Seiten

Verlagsinformation:

"Der fliegende Berg" ist die Geschichte zweier Brüder, die von der Südwestküste Irlands in den Transhimalaya, nach dem Land Kham und in die Gebirge Osttibets aufbrechen, um dort, wider besseres (durch Satelliten und Computernavigation gestütztes) Wissen, einen noch unbestiegenen namenlosen Berg zu suchen, vielleicht den letzten Weißen Fleck der Weltkarte. Auf ihrer Suche begegnen die Brüder nicht nur der archaischen, mit chinesischen Besatzern und den Zwängen der Gegenwart im Krieg liegenden Welt der Nomaden, sondern auf sehr unterschiedliche Weise auch dem Tod. Nur einer der beiden kehrt aus den Bergen ans Meer und in ein Leben zurück, in dem er das Rätsel der Liebe als sein und seines verlorenen Bruders tatsächliches, lange verborgenes, niemals ganz zu vermessendes und niemals zu eroberndes Ziel zu begreifen beginnt. Verwandelt von der Erfahrung, ja der Entdeckung der Wirklichkeit, macht sich der Überlebende am Ende ein zweites Mal auf den Weg.


Kommentar:

Ein Flugerlebnis der besonderen Art

Bergsteigerliteratur vom Feinsten - so könnte man in wenigen Worten Ransmayrs neuesten Wurf bewerten.

Ransmayr erzählt die Geschichte zweier Brüder, die von der Südwestküste Irlands in die archaische Bergwelt Osttibets aufbrechen. Sie träumen davon, einen bislang unentdeckten Berg zu ersteigen, den geheimnisvollen "Kham Phur-Ri", zu Deutsch: den "fliegenden Berg". Die beiden Iren finden den sagenumwobenen Siebentausender tatsächlich, allerdings kehrt nur einer der Brüder, der Ich-Erzähler, lebend von der gefahrvollen Tour zurück.

Ransmayr schildert die Beziehung zweier gänzlich unterschiedlicher Brüder. Der eine, Liam, wird von der Sehnsucht nach dem Unbekannten getrieben, nach der Sucht nach dem Gipfel, der Herausforderung. Pad hingegen lässt sich von der Lebensweise der Kampa, des Nomadenvolkes, anrühren, nähert sich ihrer Kultur an und verliebt sich letztlich sogar in Nyema, eine tibetische Witwe. Ein weiterer, reizvoller und von Ransmayr genial verarbeiteter Kontrast besteht zwischen der Welt des irischen Brüderpaares und der Welt der tibetischen Nomaden, die in den Sommermonaten mit ihren Yak-Herden die Hochebenen Khams hinauf zu den Ausläufern des "fliegendes Berges" wandern.
Nach zwei Jahren Vorbereitungszeit mit Training an den Klippen von Horse Island, in der Padraic wieder in den Schatten Liams tritt, machen sich die beiden auf nach Tibet, wo der Jüngere dann doch seinen eigenen Weg und in der Nomadin Nyema die Liebe seines Lebens findet.

"Der fliegende Berg" ist nicht nur formal - der Roman ist in der metrischen Form des sog. 'Flattersatzes' verfasst -, sondern auch inhaltlich der persönlichste Roman Ransmayrs. Die Idee zu seinem Roman sei ihm Mitte der 1990er Jahre gekommen, erzählt er. Damals habe er mit seinem Freund Reinhold Messner ausgedehnte Touren durch den Osten Tibets unternommen. Hat sich Ransmayr von den dramatischen Ereignissen des Sommers 1970 inspirieren lassen, als Reinhold Messners Bruder Günther bei einer gemeinsamen Nanga-Parbat-Expedition ums Leben kam?
Dass Messners persönliches Brüderdrama das Buch beeinflusst hat, bestätigt der Autor weder, noch bestreitet er es: "Die Geschichte der Messner-Brüder hat mich ja nicht nur deshalb interessiert, weil ich mit Reinhold Messner seit vielen Jahren befreundet bin", so Ransmayr, "sondern weil mich Brüdergeschichten ganz generell schon seit den Tagen beschäftigen, an denen ich zum ersten Mal von unserem Dorfpfarrer in Roitham bei Gmunden von der Geschichte der Brüder Kain und Abel gehört habe. Die hat ja irgendwann auch zur Frage geführt: Können Brüder einander töten? Aber auch zur Frage: Bin ich der Hüter meines Bruders? Eine empörend freche, kühne Antwort Kains auf die Frage Jahwes. Die Ungeheuerlichkeit dieser Gegenfrage hat mich immer wieder beschäftigt. Das, inwieweit wir verantwortlich sind für Leute, die wir unsere Brüder nennen oder die tatsächlich unsere Brüder sind, das ist etwas, was mich am Archetypus dieser Geschichte interessiert hat."

Der Roman ist auch ein zutiefst alpines Buch, mit dem sich Bergsteiger, Kletterer und Trekking-Fans auf Anhieb anfreunden werden. Die Welt, die Ransmayr schildert, ist eine Welt aus Schnee und Eis, Angst und Erfüllung, Gipfelsehnsucht und Draufgängertum. Ransmayr muss es ja wissen, ist er nach eigenem Bekunden doch selbst ein Bergfex, ein leidenschaftlicher Alpinwanderer. Die Welt der Berge, Grate, Gipfelkreuze hat den Lehrersohn aus Roitham bei Gmunden schon als Kind fasziniert. "Die Berge waren ja schon in meinem Kinderzimmer immer eine Art Mauer, die die Aussicht begrenzt haben, aber auch ein Sehnsuchtspunkt, denn die Berge waren immer etwas, wohin nicht nur die sonntäglichen Ausflüge geführt haben, sondern auch meine Phantasie-Ausflüge, wenn man so will. Mich fasziniert bis heute etwas ganz Bestimmtes an den Bergen: Besteigt man einen Berg, unternimmt man in gewisser Weise auch eine Zeitreise. Je höher man kommt, umso weiter geht man zurück in der Menschheitsgeschichte. Man steigt aus den zivilisierten Tälern hinauf und kommt in Regionen, die sich dem Wanderer heute nicht viel anders präsentieren als dem neolithischen Jäger vor vielen Hunderttausenden Jahren."

Die "Zeit" etwa spricht von einer "Ausnahmeerscheinung in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur". Selten habe man "die tödliche Schönheit über den Windfahnen fliegender Berge so suggestiv wie im epischen Flattersatz dieses Romans gesehen. Für eine extreme Welt findet Ransmayr eine so noch nicht gehörte Sprache, seinen Sprachgesang." Mit Ransmayrs Roman "Der fliegende Berg" abzuheben, ist ein Flugerlebnis der besonderen Art.


Zum Autor:

Der in Irland lebende österreichische Schriftsteller Christoph Ransmayr hat sich mit den Romanen "Die Schrecken des Eises und der Finsternis", "Die letzte Welt" und "Morbus Kitahara" einen Ruf weit über den den deutschsprachigen Raum hinaus erworben. Seine Bücher wurden bisher in über 30 Sprachen übersetzt.
Christoph Ransmayr wurde am 20. März 1954 in Wels (Oberösterreich) geboren und verbrachte seine Kindheit in Roitham bei Gmunden. Nach seiner Matura am Stiftsgymnasium Lambach studierte er von 1972 bis 1978 Philosophie und Ethnologie an der Universität Wien.
Danach begann er seine journalistische Tätigkeit als Kulturredakteur der Monatszeitschrift "Extrablatt" (1978 bis 1982) und arbeitete als freier Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften. In "Transatlantik", "Merian", "Geo" u. a. Magazinen erschienen Reportagen und Essays.
Seit 1982 ist Ransmayr freiberuflicher Schriftsteller. Im gleichen Jahr veröffentlichte er "Strahlender Untergang", 1984 "Die Schrecken des Eises und der Finsternis".
Der Roman über die österreichisch-ungarische Nordpolexpedition unter Weyprecht und Payer blieb jedoch zunächst ein Geheimtipp, ehe Ransmayr 1988 mit dem Ovid-Roman "Die letzte Welt" der Durchbruch gelang.
Es folgten unter anderem der Endzeit-Roman "Morbus Kitahara" (1995) und "Der Weg nach Surabaya. Reportagen und kleine Prosa" (1997). Ransmayrs Bücher sind nicht nur Reisen durch die Kulturen, sondern auch durch die Zeiten. Große Weltentwürfe treffen dabei auf poetisch genaue Beobachtungen und literarische Selbstreflexionen.