Verlagsinformation:
Das
Eigerdrama von 1957 – Tragik und Faszination
Unmittelbar
nach dem Ende des Dramas begann das Rauschen im Blätterwald der internationalen
Presse. Vergleichbar nur mit der Tragödie am Frêney-Zentralpfeiler
am Mont Blanc (1961), dem Tod von Günter Messner im Jahre 1970 am
Nanga Parbat oder der von Jon Krakauer in seinem Bestseller "In eisige
Höhen" beschriebenen Katastrophe am Mount Everest (1996), war
die Eigertragödie ein gefundenes Fressen für Tagespresse, Zeitschriften
und Buchautoren. Grund war die perfekte Dynamik der Story: Eine Viererseilschaft,
die zu langsam in der riesigen Fels- und Eisarena des Eigers vordringt,
bis schließlich die beiden Italiener Claudio Corti und Stefano Longhi
erschöpft und verletzt nicht mehr weiterklettern können und
kurz darauf die beiden jungen Deutschen, Günter Nothdurft und Franz
Mayer, spurlos verschwinden. Eine spontan und zu Beginn etwas unglücklich
organisierte Rettungsaktion von Bergsteigern aus sechs Nationen, die vom
sturmumtosten Eigergipfel einzig Claudio Corti mit dem Stahlseil aus der
Eigerwand lebend bergen können. Zögerliche einheimische Bergführer,
die dafür von der internationalen Presse harsch kritisiert werden.
Kantige Funktionäre, die sich darüber öffentlich zerstreiten.
An all diese dramatischen Ereignisse erinnerte zwei Jahre lang die Leiche
von Longhi, die sichtbar für Einheimische wie Touristen hoch oben
in der Nordwand baumelte. Mit der Bergung des "Schandflecks"
bemühten sich die einheimischen Bergführer um Wiedergutmachung.
Und im Jahre 1961 endlich das Auffinden der beiden toten Deutschen in
der Eiger-Westflanke – sie hatten die Retter nur um Stunden verfehlt.
Der neue Bild- und Textband des AS Verlags erinnert 50 Jahre danach an
die bewegten Tage im August 1957
Kommentar
von Uli Auffermann:
Im
Respekt vor dem Menschen
Das
Corti-Drama
Die
Eiger-Nordwand. Sie ist Inbegriff großer alpinhistorischer Dimensionen.
Eine Wand, die die Menschen verändert! Die, die sie durchsteigen,
und jene, die sie begreifen wollen! Ein Schauplatz bedeutender bergsteigerischer
Taten und fürchterlicher Tragödien. Ein Spiegel charakterlicher
Festigkeit wie schwächelnder Wertesysteme. Es wäre ungerecht,
das einzigartige Charisma dieser Steilflucht nur auf die Unfalldramen
zu reduzieren, die sich in ihr ereigneten. Und doch haben gerade sie verständlicherweise
die Eigerwand oftmals in den Focus der Weltöffentlichkeit gerückt.
Daniel Anker und Rainer Rettner haben sich mit ihrem Buch eines Themas
angenommen, das vor 50 Jahren die Eiger-Nordwand rund um den Globus in
die Schlagzeilen brachte:
Im August 1957 steigen vier junge Alpinisten in die Nordwand ein, kommen
kaum voran und verausgaben sich so, dass die beiden Italiener Claudio
Corti und Stafano Longhi nicht weiter können – die Deutschen Franz
Mayer und Günter Nothdurft sind bald danach in der Wand nicht mehr
auszumachen. Durch einen spontan aufgestellten Rettungstrupp von Bergsteigern
aus sechs Nationen kann per Stahlseil vom Gipfel aus nur noch Claudio
Corti lebend geborgen werden.
Die tragischen Ereignisse, die in jenen Tagen drei Alpinisten mit ihrem
Leben bezahlten, die wunderbare Rettung Claudio Cortis, Presserummel und
Spekulationen, die dem Geretteten leidvolle Jahre bescherten – in besonderer
Weise gelingt es den Autoren und dem Verlag, all das zu bündeln und
in eindrucksvoller Weise aufzuarbeiten. Das Herzstück sind dabei
die einzigartigen Aufnahmen des inzwischen verstorbenen Berner Fotografen
Albert Winkler, die den Betrachter des großformatigen Text-Bildbandes
sofort in den Bann ziehen. Winkler dokumentierte die umfangreiche Rettungsaktion
Cortis mit großer Feinfühligkeit, jenseits voyeuristisch-reißerischer
Ansätze. Die Fotos sind von einer solchen Aussagekraft, dass man
hineingezogen wird in die dramatischen Tage und Stunden damals an der
Eiger-Nordwand. Der Puls mag schneller werden, Ergriffenheit verdrängt
Distanz, man ist plötzlich ganz dabei. Jetzt ist der Moment ideal,
mit dem Lesen zu beginnen. Und schnell wird deutlich, dass das Buch mehr
ist als eine Dokumentation. Gewiss, eine sachliche, beinahe lückenlose
Chronik der Ereignisse, die Aussage von Zeugen des Geschehnisses, wie
zum Beispiel Hermann Huber, ermöglichen eine bislang nie da gewesene
Draufsicht auf die komplexen, in sich verzahnten Vorgänge, die damals
genug Stoff für Anschuldigungen, Vorwürfe und Spekulationen
gaben und Claudio Corti zum Opfer machten.
Das Buch geht weiter. Es zeigt auf, dass es jenseits aller selbst ernannter
Kritiker und "Aufdecker" den Wert gab, sich für einen Menschen
in Not einzusetzen. Ohne Wenn und Aber. Die klingendsten Namen der internationalen
Bergsteigerelite fanden sich ein, um zu helfen. Und der selbstlose Wiggerl
Gramminger, einer der wichtigsten Pioniere der Bergrettung, reiste mit
einer Handvoll Alpinisten aus München und dem Allgäu an, bereit,
sich für Claudio Corti einzusetzen. Gramminger, Freund und Seilpartner
Anderl Heckmairs, auf dessen Route der Erstdurchsteigung sich 1957 nun
der Italiener Corti in äußerster Not befand, eilte schon 1936
zur Eigerwand, um Toni Kurz beizustehen, kam aber knapp zu spät und
konnte dadurch nichts mehr tun. Diesmal war es anders. In großartiger
Gemeinschaftsleistung aller Helfer holten sie Claudio Corti zurück
ins Leben.
Und hier setzt auch der womöglich wichtigste Teil des Buches an.
Deutlich wird, wie Corti, der geschwächt und traumatisiert der Eigerwand
entronnen, von außen rücksichtslos emotional überfordert
wurde. Bedrängt und in Zweifel gezogen, lud man ihm "schweres
Gepäck" auf, beraubte ihn sukzessive seines Rufes. So darf Cortis
Schicksal und der demontierende Umgang mit seiner Person auch als Mahnung
verstanden werden, gerade in einer Zeit des modernen Enthüllungsjournalismus,
vorsichtiger zu sein, immer zuerst den Menschen zu sehen und voller Respekt
seine Grenzen zu beachten. Aus dieser Perspektive mag man auch allen verzeihen,
die sich damals falsch verhielten. Wenn auch die Funde der Leichen von
Nothdurft und Mayer in der Westflanke vier Jahre später faktisch
Claudio Corti rehabilitierten, die gefühlsmäßigen Wunden,
die man ihm beigefügt hatte, könnten wohl allzeit geblieben
sein. Das Buch hilft heilen, gibt Claudio Corti endgültig seine Würde
zurück!
Zu
den Autoren:
Daniel
Anker: Geboren 1954, ist Historiker, freier Journalist und Autor von
Bergbüchernund alpinen Führern. Im AS Verlag hat er von 1996
bis 2003 sieben Bergmonografien herausgegeben; die Reihe wird fortgesetzt.
Außerdem ist er Verfasser mehrerer Skitouren-, Wander- und Radführer
für die Gebiete Berner Oberland, Wallis, Tessin, Graubünden,
Ost- und Zentralschweiz sowie Genfer See, Côte d’Azur und Kalifornien.
In den Literaturwanderführern des Rotpunktverlages zum Tessin, Bernbiet
und Graubünden schrieb er je ein Kapitel. Mitarbeit für in-
und ausländische Zeitungen und Zeitschriften, wie zum Beispiel für
"Die Alpen" des Schweizer Alpen-Clubs. Daniel Anker lebt in
Bern.
Rainer
Rettner: Geboren 1967, recherchiert seit Jahren zur Geschichte der
Eiger-Nordwand und besitzt eines der größten Privatarchive
zu dieser Thematik. Er lebt in der Nähe von Würzburg.
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