Der Kopf und die treibende Kraft hinter "Sieben Jahre in Tibet"
Es gehört zu den großen Epen der Moderne: Das Abenteuer der beiden österreichischen Bergsteiger, die im Jahr 1944 aus einem Gefangenenlager im Norden Indiens fliehen, die ungeheuren Weiten des tibetischen Hochlands im Winter überwinden und schließlich in Lumpen die verbotene Stadt Lhasa erreichen, wo sie die traditionelle tibetische Gesellschaft in den letzten Jahren ihrer Blüte als Zeitzeugen erleben. Während einer der beiden Flüchtlinge, Heinrich Harrer, mit dem schließlich mit Brad Pitt in der Hauptrolle verfilmten Bestseller "Sieben Jahre in Tibet" weltberühmt wurde, blieb Peter Aufschnaiter (1899–1973) weitgehend unbekannt. Dabei war er der Kopf und die treibende Kraft hinter dem aufsehenerregenden Abenteuer: Er kannte Tibet aus langjährigen Studien, zeichnete Karten, sprach fließend Tibetisch und er war es, der die Energie und Entschlossenheit hatte, durchzuhalten und weiterzugehen, wo sein Gefährte längst aufgeben wollte. Wer aber war dieser geheimnisumwitterte Mann, der auch nach dem Einmarsch der Chinesen nach Tibet und der Flucht des Dalai Lama im Himalaya blieb und sich um die Entwicklung Tibets und Nepals wie kaum ein anderer verdient machte?
Mit dieser akribisch recherchierten, ersten umfassenden Biographie, illustriert mit einzigartigem historischen Bildmaterial, wird einem der größten Entdecker, Bergsteiger, Kartographen und Entwicklungshelfer des 20. Jahrhunderts erstmals die Beachtung geschenkt, die er verdient – und die wahre Geschichte hinter dem Mythos packend erzählt.
Kommentar
Ein packendes Zeitdokument
Das Buch überrascht in mehrfacher Hinsicht: Erstens ist es ungemein packend zu lesen, zweitens ergibt es ein umfassendes alpinhistorisches Zeitdokument und letztlich erscheint Peter Aufschnaiter endlich in jenem Licht, das ihm und seiner bestimmenden Rolle bei der Flucht nach und beim Aufenthalt in Tibet gerecht wird. Die Abenteuer von Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter in ihren "Sieben Jahren in Tibet" kennt man. Während Harrer aber reichlich Kapital aus der einzigartigen Odyssee schagen konnte und bis Hollywood im Rampenlicht stand, blieb Aufschnaiter Zeit seines Lebens im Hintergrund, ja erscheint bloß als stiller Wegbegleiter Harrers. Zu Unrecht, wie seine eigenen Aufzeichnungen beweisen: Ohne ihn, seine fachliche Kompetenz und seine diplomatische Ader wäre das Abenteuer in Lhasa ganz anders und wohl ohne Happy End ausgegangen.
Seine Autobiografie konnte Aufschnaiter leider nicht fertigstellen. Das tat nun der deutsche Historiker Nicholas Mailänder. Er und der Aufschnaiter-Spezialist Otto Kompatscher erstellten mit dem Band "Er ging voraus nach Lhasa" eine penibel recherchierte und dennoch spannend zu lesende Aufschnaiter-Biografie. In farblich gekennzeichneten Zitaten lässt Mailänder Aufschnaiter immer wieder selbst zu Wort kommen. Dessen berührenden Berichte über seine frühen Extremklettereien, seine Versuche an den 8000ern Kangchenjunga und Nanga Parbat und vor allem über seine Flucht nach Tibet lesen sich nicht minder packend und interessant als die von Heinrich Harrer. Mehr noch: Indem Mailänder ohne Vorbehalte die politischen Umstände darstellt und in sehr ehrlicher Weise auch die NS-Gesinnung der beiden Flüchtenden berücksichtigt (und nicht verschweigt), kann man die Biografie von Peter Aufschnaiter durchaus als gültiges, objektives und umfassendes Zeitzeugnis bezeichnen.
Praktisch die Zeittafel zu Aufschnaiters Leben und das Personenverzeichnis am Endes Buches. Etliche Originalfotos visualisieren die Geschehnisse, viele weiterführende Fußnoten und ein umfangreiches Quellenverzeichnis erleichtern historisch interessierten Lesern das Weiterstudium.
Fazit: Ein historisch hochinteressantes Zeitdokument, das spannend zu lesen ist und manches richtig gestellt, was vorher einseitig betrachtet – und beschrieben – wurde. Und: Peter Aufschnaiter beeindruckt als Alpinist und Mensch sowieso.
Der Autor
Nicholas Mailänder, geb. 1949, veröffentlichte zahlreiche Publikationen zu alpinhistorischen Themen (z. B. "Im Zeichen des Edelweiß – die Geschichte Münchens als Bergsteigerstadt"). Das Leben von Peter Aufschnaiter erforscht er seit etwa zehn Jahren und arbeitet dabei eng mit dem autodidaktischen Aufschnaiter-Spezialisten Otto Kompatscher sowie dem Völkerkundemuseum in Zürich zusammen, das den Nachlass von Peter Aufschnaiter verwaltet.
