Als
Angelo Dibona am 21. April 1956 in seiner Heimatstadt Cortina d'Ampezzo
starb, nahm davon kaum jemand Kenntnis. Eine Würdigung erfuhren
die Leistungen dieses herausragenden Alpinisten erst viel später.
Luis Trenker,
der 1976 an der Enthüllung des Dibona-Denkmals in Cortina d'Ampezzo
teilgenommen
hatte, zeigte sich von dieser Feierstunde tief berührt. "Er
war der berühmteste und erfolgreichste Bergführer seiner Zeit,
vielleicht der universellste. Kein anderer Dolomitenführer
kann ähnliche Leistungen aufweisen, und unter den jungen wird es
so bald keinen geben, der ihm gleichkommt an menschlicher Größe
", berichtete er später über dieses Ereignis,
zu dem unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auch der
Bürgermeister von Cortina, der Präsident des CAI, Senator
Dr. Spagnolli, sowie Führer-Abordnungen aus Frankreich und der
Schweiz, aber auch Alpini aus Courmayeur, die das Aosta-Tal vertraten,
erschienen waren. Als befremdend wurde das Fehlen einer österreichischen
Delegation empfunden, weil Dibona doch seine aufsehen- erregendsten
Erstbegehungen als österreichischer Bergführer durchgeführt
und im Ersten Weltkrieg für Österreich gekämpft hatte.
"Haken"-Konflikt
mit Paul Preuss
Dibona
wuchs im ladinischsprachigen Cortina d'Ampezzo auf und kam schon früh
mit den Bergen seiner engeren Umgebung in Kontakt, in denen er zu einem
sehr leistungsfähigen Kletterer heranreifte. Er erwarb das Bergführerdiplom
und zählte schon bald zu den begehrtesten Führern seiner Heimat.
Zu seinen Kunden durften sich beispielsweise der belgische König
Albert I., die Baronessen Eötvös, aber auch die beiden Wiener
Industriellen Max und Guido Mayer rechnen. Seine Bergführerkollegen
Angelo Dimai und Luigi Rizzi waren ihm die zuverlässigsten Gefährten
am Seil. Mit ihnen unternahm er zahlreiche Neutouren. Als einer der
Ersten schlug er bedenkenlos Haken (deren Gesamtzahl heute recht bescheiden
anmutet und die ausschließlich der Sicherheit dienten), wenn einer
Kletterstelle anders nicht beizukommen war. Diese Einstellung brachte
ihn auch mit dem fanatischen Freikletterer Paul Preuss in Konflikt,
mit dem er sich heftige Wortgefechte lieferte. Trotz aller Gegensätze
bewunderte er jedoch Preuss, und als dieser 1913 tödlich verunglückte,
waren es vor allem die Südtiroler Bergführer - allen voran
Dibona, Piaz und Comici -, die das Andenken an diesen ungewöhnlichen
Menschen zu bewahren versuchten.
Luis Trenker,
der bis zuletzt mit Dibona befreundet war, fragte ihn eines Tages, wie
viele Haken er insgesamt geschlagen hatte. "Fünfzehn",
antwortete Dibona, "davon sechs in der Laliderer-Nordwand, drei
am Ödstein, zwei an der Croz dell' Altissimo, einen am Einser und
den Rest auf anderen schwierigen Anstiegen." Nach seinen drei
schwierigsten Touren gefragt, meinte er: "Die Südwand der
Meije, dann der Dent de Réquin und die Ailefroide."
Ungewöhnliche
Kletterkunst
Aber auch
die Ersteigung der Ödsteinkante, deren Schwierigkeit auf der Originalroute
- eine oft feuchte, nach ihrem Erstbezwinger benannte Verschneidung
- noch heute mit dem Schwierigkeitsgrad V bewertet wird, zählt
zu Dibonas Pioniertaten. Max Mayer, der damals gemeinsam mit seinem
Bruder Guido mit von der Partie war, schrieb über diesen Anstieg:
"Diese Tour dürfte in den Ostalpen einzig dastehen. Die
Überwindung der außerordentlichen Schwierigkeiten war in
erster Linie der geradezu ungewöhnlichen Kletterkunst des Führers
Angelo Dibona zu verdanken."
Im Gegensatz zu den meisten Bergführern sah Dibona in den Führerlosen
keine "feindlichen" Konkurrenten, im Gegenteil, mit vielen
verband ihn eine tiefe und aufrichtige Freundschaft. Von Paul Preuss
sprach er stets mit größter Hochachtung und mit dem jungen
Hans Dülfer kletterte er als gleichberechtigter Partner in den
Cadinspitzen. "Ich hab' sie immer gern gehabt", sagte er einmal
über die jungen Bergsteiger seiner Zeit.
Nicht nur im ladinisch-italienischen, sondern auch im deutschen Sprachraum
gab es kaum einen bekannteren Bergführer als ihn. Dibonas erschließerische
Tätigkeit nahm in den Dolomiten ihren Anfang und erstreckte sich
später fast auf den gesamten Alpenraum. "Eigentlich braucht
man Angelo Dibona nicht vorzustellen. Jeder Bergsteiger kennt seinen
Namen und weiss, was dieser Mann geleistet hat", schrieb Luis
Trenker 1976 anlässlich Dibonas zehntem Todestag in der Zeitschrift
"Der Bergsteiger", und auch heute noch, im Zeitalter des Sportkletterns,
werden viele seiner Ersttouren gerne begangen. So etwa erfreut sich
die Nordwestkante auf die Große Zinne - sie wird auch "Dibonakante"
genannt - immer noch großer Beliebtheit, bietet sie doch bei idealer
Linienführung zahlreiche interessante Kletterstellen im typischen
Steilfels der Dolomiten.
Die Nordwände der Dolomiten
Einer seiner ersten großen Erfolge war die erste Durchsteigung
der Einser-Nordwand in den Sextener Dolomiten, aber auch die Laliderer-Nordwand
im Karwendel, die Südwand des Pic Central de la Meije, die Emil
Zsigmondy und später dann Emil Solleder zum Verhängnis geworden
war, die 1200 m hohe Wand des Croz dell' Altissimo, die Nordostwand
des Dent du Réquin sowie die Nordostkante des Dôme de Neige
des Ecrins in den Westalpen zählen zu seinen ganz großen
bergsteigerischen Erfolgen. Über den alpinen Bereich hinaus konnte
Dibona aber auch mehrere neue Anstiege in den Granitwänden des
Pillar Rock, des Black Crag und anderer Berggebiete auf den Britischen
Inseln eröffnen.
Während des Ersten Weltkriegs trug er den Waffenrock der österreichischen
Kaiserjäger. An der Dolomitenfront kämpfte er auf österreichischer
Seite gemeinsam mit Sepp Innerkofler, Gustav Jahn, Luis Trenker, Rudl
Eller und anderen bedeutenden Bergsteigern seiner Zeit.
Nach dem Krieg zerbrachen Dibonas Verbindungen mit der außerhalb
von Italien gelegenen Welt. Die ausländischen - vor allem die englischen,
deutschen und die österreichischen - Touristen blieben aus, was
schließlich zu seinem finanziellen Ruin führte, von dem er
sich bis zu seinem Tod nicht mehr erholen sollte.