Doping
und (Höhen-)Bergsteigen - zwei Begriffe, die bis dato in keinen Zusammenhang
gestellt wurden. Aus drei Gründen. Wenn man unter Doping den "wissentlichen
Missbrauch von bestimmten Substanzen im Verlauf eines sportlichen Wettbewerbs,
die künstlich und vorrübergehend die körperlichen Fähigkeiten
eines Menschen oder eines Tieres beeinflussen" (Neue Großes
Enzyklopädisches Wörterbuch, 1983), versteht, gilt diese Definition
für den Bergsport kaum, da hier kein "sportlicher Wettkampf"
im herkömmlichen Sinne stattfindet. Und wo kein (olympischer) Wettkampf,
da kein Kampfrichter und also keine Dopingkontrolle. Fehlende Regeln,
fehlende Mittel zur Exekution von Verstößen, aber auch fehlende
ethische Kriterien eröffnen im Alpinismus einen Freiraum, in dem
jedes Mittel recht ist, aber auch nicht geahndet wird. Die Doping-Maßstäbe,
wie sie bei olympischen Spielen angewendet werden, lassen sich deshalb
nicht auf das Bergsteigen übertragen.
Der zweite Grund liegt wohl in der ethischen Auffassung des Bergsports
als "fairer, sauberer und gesunder" Sport, in der verbotene
Mittel undenkbar sind. Selbst in der berühmten Tirol
Deklaration kommen die Begriffe "Doping" und "verbotene
Mittel" nicht vor.
Drittens muss im Bergsport das Gefahrenmoment berücksichtigt werden.
Speziell ein Höhenbergsteiger kann unverhofft in lebensbedrohliche
Situationen geraten, wo es geradezu (überlebens-)notwendig ist, zu
verbotenen Mitteln zu greifen. Beispiel Hermann Buhl.
Hermann
Buhl und Pervitin
Es
ist hinlänglich bekannt und in seiner Biografie nachlesbar, dass
Hermann Buhl seinen legendären Solo-Gang auf den Gipfel des Nanga
Parbat
und ein Freibiwak auf über 8000 m wahrscheinlich dank einer ordentlichen
Portion Pervitin-Tabletten überlebte. Was ist Pervitin?
Schon mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs erhielt das Dopingthema Brisanz
und Publizität. Anlass dazu gab eine neue Generation von Amphetaminen
aus der deutschen Kriegswirtschaft, von denen Pervitin das bekannteste
war. Die im Volksmund auch "Stuka-Tabletten" oder "Hermann-Göring-Pillen"
genannten Amphetamine waren bis 1941 auf dem Schweizer Markt rezeptfrei
erhältlich und wurden von der Armee in Feldversuchen getestet. Bodentruppen,
Kampfflieger und Bomberpiloten konnten durch die "Pepp-Pillen"
(Amphetamin) oder die "Panzerschokolade" (mit Pervitin als Produktname
des in Deutschland exklusiv synthetisierten noch aggressiver wirkenden
Methamphetamins) auf die "autonom geschützten Reserven"
des Körpers zurückgreifen. Bei Überdosierung oder fehlender
Ruhe drohte allerdings der Tod. Außerdem machte das Mittel süchtig.
In Militärkreisen war man sich einig, dass der Einsatz von Amphetaminen
im Kriegseinsatz unter Umständen sinnvoll sei. Umstritten blieb die
Frage allerdings, wie die Gesellschaft und der Sport auf die Herausforderung
ihrer "Pervitinisierung" zu reagieren hätten. Kritiker
der Amphetamin-Freigabe warnten vor der "Pervitin-Seuche" und
bemerkten, die Amphetamine seien über die Sportlerkreise hinaus zum
regelrechten Modeartikel einer Zeit geworden, der in ihrem ungestümen
Drang nach Tempo und übermenschlicher Leistung der Sinn für
das richtige (physiologische) Maß bereits etwas abhanden gekommen
sei. Wie wahr. Jahrzehntelang
konsumierten Ausdauerathleten wie Radsportler und Langstreckenläufer
Pervitin, mit denen Ermüdungserscheinungen überdeckt werden
konnten. Bevor Hermann Buhl am 3. Juli 1953, in einer Zeit des sog. Eroberungs-Alpinismus,
in dem jedes Mittel recht war, um auf den Gipfel zu gelangen, zu seinem
legendären Alleingang auf den 8.125 m hohen Nanga Parbat ansetzte,
griff er neben dem Pervitin außerdem zur Flasche, aus der er einen
kräftigen Schluck Kokatee nahm, der eine Herzkreislauf anregende
Wirkung wie Koffein zeitigt. Und auch Koffein steht heute, über Maßen
eingenommen, auf der Doping-Liste.
Stichwort
"Diamox"
Auch Diamox
steht heute auf der Doping-Liste der "absolut verbotenen Medikamente".
Unter Trekkern und Höhenbergsteigern ist die Ansicht verbreitet,
dass das Medikament
"Diamox" ein geeignetes Mittel zur Vermeidung von Höhenkrankheit
sei. Der Wirkstoff des Diamox, das Acetazolamid, ist in der Medizin als
Diuretikum (harntreibendes Mittel) bekannt. Das harntreibende Acetazolamid
entwässert und vermindert die Hirnschwellung während der Anpassungsvorgänge
in der Höhe. Ferner erhöht es die Bikarbonat-Ausscheidung über
die Nierung und vermindert so den Blutsäurewert. Das verbessert die
Atmung und die Sauerstoffsättigung im Blut, was sich positiv auf
Kopfschmerzen und Schlaf auswirkt. Überdies erhöht es den Säurespiegel
des Blutes und regt damit die Atmung an. Insofern unterstützt Diamox
den Prozess der Höhenanpassung.
Bei amerikanischen Trekkinggruppen und Bergsteigern ist die prophylaktische
Einnahme von Diamox zur Vorbeugung einer Höhenkrankheit durchaus
üblich. Die europäische Medizin ist hier konservativer eingestellt
und lehnt überwiegend eine medizinisch nicht notwendige Einnahme
ab. Unter mitteleuropäischen Bergsteigern gilt die Einnahme von Diamox
für eine schnellere Höhenanpassung vielfach ebenso als "Doping"
wie der Vorstoß in größte Höhen mit Hilfe von Flaschensauerstoff
(siehe unten). Am Beispiel Diamox kommt bei einer prophylaktischen Einnahme
also beispielhaft das ethische Moment des "Dopings" ins Spiel.
Einnahme nur, wenn es ums blanke Leben geht und wenn ein schneller Aufstieg
unvermeidlich ist (z.B. bei Rettungsaktionen) oder wenn in der Vorgeschichte
ein Höhenlungenödem bzw. eine schwere Höhenkrankheit vorgelegen
hat und sich plötzlich Anzeichen eines neuen Ödems ergeben.
Stichwort
"Nifedipin"
In der medikamentösen
Behandlung der akuten Höhenkrankheit und des Höhenlungenödems
hat sich in den letzten Jahren ein Trend vom Acetazolamid (Diamox) zum
Nifidepin (z.B. Adalat) gezeigt. Es senkt den Druck in den Lungenarterien
und verbessert die Sauerstoffaufnahme des Bluts in der Lunge. Als Notfallmedikament
bei akutem Höhen-Lungenödem wirkt es schnell und zuverlässig.
Nachhaltige Heilung jedoch nur durch anschließenden Abstieg/Abtransport.
Auch hier gilt die Meinung: Nifedipin ohne Grund eingenommen, wird als
Doping klassifiziert, Bergsteiger
mit bekannter Anfälligkeit für Lungenödeme können
Nifedipin prophylaktisch nehmen.
Stichworrt
"Viagra"
Immer
öfter taucht in diversen "Ratgebern" für Höhenanpassung
und Expeditionsmedizin, aber auch in immer mehr Expeditionsberichten das
Wort Sildenafil, eher bekannt unter dem Handelsnamen "Viagra",
oder das länger wirksame Tadalafil (Cialis) auf. Viagra senkt, wie
jüngste Untersuchungen gezeigt haben, den Druck im Lungenkreislauf.
Dadurch wird die Pumpleistung des Herzens verbessert und die körperliche
Leistungsfähigkeit deutlich gesteigert, weil die Sauerstoffaufnahme
optimiert wird. Ob die sog. Potenzmittel tatsächlich auch zur Senkung
eines erhöhten Lungendrucks, wie er in großen Höhen entsteht,
gefahrlos eingesetzt werden kann, ist noch offen und bedarf eingehender
Studien. Viagra ist jedenfalls nahe daran, demnächst auf der Doping-Liste
zun erscheinen.
Stichworrt
"EPO"
Auch
EPO, das den Sauerstoffanteil in den Muskeln erhöht und deswegen
vor allem von Sportlern verwendet wird, die Ausdauersport betreiben, wird
bei (Spitzen-)Alpinisten nachweislich immer beliebter. Was nicht wundert.
Je
mehr rote Blutkörperchen dem menschlichen Blutkreislauf zur Verfügung
stehen, desto leistungsfähiger arbeitet der gesamte Organismus, weil
den Zellen entsprechend mehr Sauerstoff zugeführt wird. EPO wird
bereits ca. seit Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zum
Zweck der Leistungssteigerung missbraucht und steht deswegen auf der Liste
der Dopingjäger an vorderster Stelle.
Stichwort
"Sauerstoff"
Beim Thema
Sauerstoff gehen die Meinungen stark auseinander. Ist die künstliche
Zufuhr von Sauerstoff als Doping
zu werten oder als legitimes Hilfsmittel, das einem den Gipfel eines 8000er
beschert? Unter vielen Bergsteigern ist die Ansicht verbreitet, dass Sauerstoff
als regelwidriges Doping zu sehen sei. Zum fairen "alpinen"
Stil des Höhenbergsteigens passen deren Meinung nach weder Träger,
noch Fixseile, noch eben künstlicher Sauerstoff. Als prominentester
Befürworter dieser Lehre gilt Hans Kammerlander: "Sauerstoff
ist Doping. Und durch Sauerstoff werden die 8000er zu 7000ern degradiert.
Das interessiert mich dann nicht mehr. Sauerstoff kann man zum Tauchen
nehmen, aber nicht in die Berge."
Was tun
gegen die Diamoxisierung des Bergsports?
Das Dopingproblem
beim Bergsteigen betrifft sicher nur zu einem kleinen Teil die Spitze.
Der weitaus größere Missbrauch wird wohl von Otto Normalverbraucher
betrieben, der um jeden Preis persönliche Höhenrekorde erzwingen
will, der sich seinen 8000er vielleicht über Jahre vom Mund abgespart
hat und dem jedes Mittel recht ist, um auf seinen (Prestige-)Gipfel zu
gelangen. Zudem gibt es vom Kilimanjaro bis zum Cho Oyu weder Richter
noch Kläger. Wen kratzt also eine Überdosis Diamox? Allein das
eigene Gewissen und der eigene Körper werden die Frage beantworten
müssen: Welcher Gipfel ist das Risiko wert, das durch die Einnahme
von Diamox & Co. eingegangen wird? Und das Risiko bei unsachgemäßer
und überdosierter Einnahme diverser Medikamente ist für den
Organismus nicht gerade gering. Und genau hier sollten die Begriffe "Doping"
und "Bergsteigen" sehr wohl in Zusammenhang gebracht werden.
Wünschenswert wäre z.B. eine Erweiterung der Tirol-Deklaration
in Richtung Sensibilisierung betreffs Doping, Flaschensauerstoff und gefährliche
Medikamente. Wünschenswert wäre eine verstärkte Bewusstseinsmachung
von Seiten der Alpinmedizin, wünschenswert wäre mehr Engagement
der Bergführer und Expeditionsveranstalter gegen die Pervitin- und
Diamoxisierung des Bergsports.
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