Schuld
an dieser springfidelen Tour war eigentlich die Oma eines meiner kleinen
Freunde, die eines Tages zu mir kam und mich bat, ihre Enkeln doch einmal
auf eine Bergwoche mitzunehmen, sie säßen sonst die ganzen
Ferien über vor dem Computer. In der Gewissheit, es würde sich
von den Kindern sowieso niemand dafür interessieren, einen schweren
Rucksack eine Woche lang über Stock und Stein, von Hütte zu
Hütte und Gipfel zu Gipfel zu tragen, in Hütten zu übernachten,
wo es weder Fernseher noch Computer und Duschen gäbe, schrieb ich
die Tour aus. Man soll nie voreilig über die heutige Jugend urteilen:
acht Jugendliche im Alter von 13-16 Jahren meldeten sich, ich musste
den Notstand ausrufen, Biggi um Begleithilfe bitten, Lagerplätze
reservieren, die Bahnkarten besorgen - und schon ging es los in ein Abenteuer,
über dessen Ausgang wir uns alle nicht ganz im Klaren waren.
1.Tag:
Matrei - Zunigalm (1846m)
Wie
heißt es so schön: Der erste Eindruck entscheidet über
den Gesamteindruck eines Ereignisses. Mit der Zunigalm-Hütte
und deren Hüttenwirtin landeten wir, was diesen zündenden ersten
Eindruck betrifft, einen Volltreffer, handelt es sich bei dieser Hütte
wohl um eine der gastfreundlichsten der Alpen.
Aber
der Reihe nach. Zunächst müssen wir von Matrei aus durch
den Bründlwald empor, bis uns zwischen alten, hohen Lärchen
die Hütte der Zunigalm anlacht. 2 1/2 Stunden haben wir die schweren
Rucksäcke getragen, es nieselt und nebelt, aber als wir bei der Hütte
ankommen, zwängt sich die Sonne durch die Wolken - ein zweifach warmer
Empfang. Frau Rainer, die Wirtin, empfängt uns mit einer
nie gekannten Warmherzigkeit, umsorgt und bekocht uns wie ihre eigenen
Kinder, einmal entschuldigt sie sich dafür, dass die Suppe ausgegangen
sei und sie jedem nur einen halbvollen Teller geben könne - und serviert
uns gewaltige Schüsseln, über deren Rand die Kräuter einer
herrlichen Gemüsesuppe hängen und in denen der Löffel stecken
bleibt. Wir fühlen uns pudelwohl bei Frau Rainer, beten um schlechtes
Wetter, damit wir nicht weiter müssten - das Gebet wird erhört!
2.Tag:
Zunigalm - Kleiner Zunig (2443m)
Da
das vernebelte Wetter den Übergang zur nächsten Hütte verbietet,
begnügen wir uns mit einem Spaziergang durch eine ausgedehnte Heide
mit Alpenrosen und Lärchen zum Zunigsee (45 Minuten), in dem
sich bei klarem Wetter der Großglockner spiegeln soll, auf
den Kleinen Zunig (40 Minuten; der Große Zunig bleibt uns
wegen zu dichten Nebels verwehrt), hinab zum Dolomitenblick, von
wo man die Dolomiten sehen soll, und retour zur Hütte auf die Zunigalm,
wo wir einen gemütlichen Hüttentag voller Jux und Tollerei verbringen.
3.Tag:
Zunigalm - Zupalpseehütte
Nun
heißt es leider doch Abschied nehmen von der lieben Frau Rainer.
Solltest du einmal bei ihr vorbeikommen, grüße sie von uns!
Wir
schultern die Rucksäcke und brechen auf in Richtung Arnitzalm.
Unterwegs schließt sich uns eine Kuh an - eine Wanderkuh? - , die
zu überholen uns wegen der Enge des Weges unmöglich ist, also
lassen wir uns eine Zeit lang von ihr führen, kennt sie doch bestens
den Weg und zeigt uns, was Trittsicherheit bedeutet, folgen dann dem Arnitzbach
zu den einsamen Hütten der Arnitzalm und kehren in eine urige Jausenstation
ein.
Von
dem hinter einem Moränenriegel liegenden Arnitzsee wird berichtet,
dass sich auf dessen Grund einst eine blühende Alm befunden hätte.
Das frevelhafte Verhalten der Senner hätte jedoch ein furchtbares
Unwetter heraufbeschworen, das die Alm verwüstet und alles Leben
im Bergtrog ertränkt hätte. Heute noch soll manchmal das Seebeben
zu hören sein, das sog. "Seebidn", wie die Einheimischen
sagen.
So
weit so gut, wir setzen unseren Weg fort über die Stefferalm,
die Hellerhöhe, über das Legerle (2527m) bis zur
Zupalpseehütte
(2350m; 4 St., 900 Hm), wo uns zum Lohn für diesen langen, anstrengenden
Tag die Sonne empfängt. Kathi und Franzi lassen es sich nicht nehmen,
diese Tatsache mit einem Bad im kalten Hüttensee zu feiern.
4.Tag:
Zupalpseehütte - Lasörling Hütte
"Gipfel-Hüpfen"
ist angesagt! Wir verlassen die nette, aber teure Zupalpseehütte
und treten zu einer der schönsten Tagesetappen an. Zuerst geht es
auf den Zupalpkogel (2720m, 1 St.), von dort den aussichtsreichen
Gratweg entlang zum Sackelpicker (2705m) - pardon - diesen Namen
wirst du auf keiner Karte und in keinem Wörterbuch finden, weil er
von uns stammt und diesen namenlosen Gipfel so benannt haben (Definition
"Sackelpicker": Mischung aus Kose- und Schimpfwort, beinhaltet
Lob, Tadel, Liebesbezeugung, je nach Situation) - , weiter auf den Donnerstein
(2725m) und den Speikboden (2653m) - "Gipfel-Hüpfen"
in Vollendung. Nun rasten wir, bestaunen ehrfürchtig unser morgiges
Ziel: den Lasörling. Wie hoch und steil er alle anderen Gipfel
überragt! Und diesen Berg sollen wir schaffen? Na ja ...
Nach
2 1/2 St. Netto- und 6 1/2 St. Brutto-Gehzeit (jeder Gipfel verlangt eben
nach einer ausgiebigen Rast) erreichen wir die in einem Meer von blühenden
Alpenrosen schwimmende Lasörling
Hütte. Die verbleibende Zeit dieses traumhaften Tages nützen
wir für Abseil- und Kletterübungen an einem nahegelegenen Felsen
- eine gaudige Übung für den Ernstfall - in Wahrheit hat sich
nie jemand "abgeseilt", d.h. vor schwierigen Aufgaben gedrückt.
5.Tag:
Lasörling (3098m) - Bergerseehütte
Der
Höhepunkt in wörtlichem Sinne. Für viele von uns der erste
3000er! Ein Tag auch, der mir bewusst macht, welche Zähigkeit
in unseren Kindern steckt! 8 Stunden werden wir unterwegs sein, fast 1200
Höhenmeter überwinden - und kein einziger Raunzer, selbst unser
Jüngster, Andi, dessen Rucksack größer scheint als er
selbst, kämpft sich mit unglaublicher Verbissenheit auf diesen Schuttberg.
Aber
der Reihe nach: Da uns der Wirt von der Überschreitung des Lasörlings
abrät (zu viele steile Firnfelder), beschließen wir, den höchsten
Gipfel der Lasörling-Gruppe mit Tagesgepäck anzugehen. Ein Steig
durchläuft nordwestlich das uralte Bergbaugelände im Glauret.
Langsam wandern wir auf nur schwach geneigten Rasenböden und entlang
flacher Rücken in den obersten Glauretwinkel, wo wir uns rechts der
großen Südhalde des Lasörlings zuwenden. In Kehren bewältigen
wir das Moränengeschiebe, ehe wir bei mittlerer Steilheit in der
mit Blöcken übersäten Halde höher kommen. In der Lasörlingscharte,
ca. 2950m, rasten wir ausgiebig, um fit zu sein für die letzten 120
Höhenmeter und ein paar Blöcke, die erklettert werden müssen.
Dann sind wir oben, auf 3098m, dürfen uns von jetzt an "Hochalpinisten"
nennen, gratulieren einander stolz, müssen aber auch die sich verdichtenden
Wolken beachten. Schnell wieder den Schutthang hinab und zur Lasörling-Hütte
zurück. Geschafft. Geschafft? Nein, als sich nach einem kurzen Wolkenbruch
der Himmel aufklart und ein ausgiebiges Mittagessen die Kräfte zurückkehren
lässt, regt sich der Wunsch, weiterzugehen zur Bergerseehütte,
da dort ja ein schöner See wartet. Wir stimmen ab: Weitermarsch.
Wieder fast 500 Meter hoch, ins sog. Berger Törl, dort bringen
Maggi und Franzi sogar noch die Energie auf, die "Säule"
zu besteigen, über einige Schneefelder hinabgerutscht und müde,
aber stolz erhobenen Hauptes nach 3 3/4 Stunden bei der Bergersee
Hütteangelangt.
Wir
alle haben heute nicht nur eine Grenze, sondern mehrere überschritten,
und wir fühlen eine tiefe Zufriedenheit, ja ein sprühendes Glücksgefühl,
nach dem man süchtig wird.
6.Tag:
Rasttag !?
Rasttag! Rasttag? Um 4 Uhr früh stehen sie vor meinem Bett - Max,
Franzi, Berni, Stefan und Maggi - und wollen sich am Gipfel des Berger
Kogels den Sonnenaufgang anschauen. Klar nach meinem Motto "Gib nur
die Richtung vor, aber lass die Kinder das Programm bestimmen" raffe
ich mich schlaftrunken auf und schleiche den Kindern nach ins Morgengrauen
- "Woher nehmen die bloß die Energien?", geht es mir durch
den Kopf - am Berger Kogel, 2565m, sehen wir - nichts. Statt der
Sonne gehen bloß Wolken auf. Also zurück ins Bett, eingenickt,
nach einer halben Stunde klatscht mir ein Patzen Schnee ins Gesicht -
der Einsatz einer verlorenen Wette. Rasttag! Dass ich nicht lache.
Trotzdem,
den Tag über haben wir Erwachsenen unsere Ruhe, die Buben plantschen
im See, die Mädchen kuscheln sich ins Bett, man lässt die Seele
baumeln, ich freue mich auf einen ruhigen Abend - von wegen! - "Wollen
uns den Sonnenuntergang am Muhskogel anschauen", klar nach
meinem Motto ... zum Teufel damit, also wieder die Schuhe an, den Rucksack
um, die Stirnlampe auf und 500 Hm hoch, auf den Muhskogel, dort aber tatsächlich
die Sonne untergehen gesehen, ein tolles Erlebnis.
So
also sieht ein Ruhetag der computer- und fernsehverwöhnten
Fun-Generation aus: 3 Stunden Gehzeit, 900 Höhenmeter.
7.Tag:
Gösleswand - Neue Reichenberger Hütte
Am
nächsten Tag den gemütlichen Muhs Panoramaweg bis zur
Michltal Scharte, von dort ein Schneefeld hinab und wieder hoch
zur Roten Lenke und in wenigen Minuten auf den Gipfel der Gösleswand
(2912m; famoser Rundblick bis zu den Dolomiten). Dann hinab zur Neuen Reichenberger Hütte und deren See, an dessen Ufer
wir Steine plattelnd und Stege bauend den Rest des Tages verbringen. 4
1/4 Stunden; 1170 Hm
Der
krönende Abschluss einer unvergesslichen Bergwoche. Nachdem Kathi
und Maggi noch den Sonnenaufgang auf dem nahen Hauskogel genossen haben,
nehmen wir Abschied von der hochalpinen Zone der Lasörling Gruppe
und steigen durch das Großbachtal in das Virgental ab und
besuchen noch schnell den berühmten Wasserlehrpfad der Umbalfälle,
bevor es schweren Herzens nach Hause geht.
Wie
meinte doch Sir Berni: "Das war eine Booomben-Tour".
Ja,
wir haben viel gelernt: gehen, schauen, genießen und auf das Wesentliche
achten.
Hütten:
Zunigalm-Hütte:private Einkehrstation, Familie Rainer; geöffnet von 10.Juni
bis Mitte Oktober, 8 Schlafplätze, Tel.: 04875/6240; 0663/059063.
Großartiger Ausblick auf Großglockner- und Venedigergruppe
sowie auf Virgen- und Tauerntal. Für den bekannten Heimatmaler Eichhorst
die schönste Kulisse.
Zupalpseehütte:
privat, Familie Tschoner; geöffnet ab Mitte Juni bis Mitte Oktober;
Übernachtungsmöglichkeit für 35 Personen, Tel.: 04874/5227
(Hüttentaxi!)
Lasörling
Hütte: privat, Familie Wurnitsch; Betten für 65
Personen, Tel.: 04874/5285
Bergerseehütte:
privat, Hansjörg Unterwurzacher; Schlafplätze für 25 Personen;
Tel.: 04877/5115
Neue
Reichenberger
Hütte: ÖAV, Pächter Johann Feldner; Schlafplätze
für 60 Personen; Tel.: 04877/5119
Tipps/Schwierigkeiten
Ich
wage nach dieser Tour zu behaupten, dass sie sehr wohl von Kindern
ab 13 zu bewältigen ist, vorausgesetzt natürlich, man
orientiert sich an deren Tempo, Verfassung, Wünschen und Bedürfnissen.
Der Grundsatz muss lauten: Kinder gehen nicht mit den Erwachsenen,
sondern die Erwachsenen mit den Kindern. Die Kinder bestimmen
das Programm, wenn ein Kind nicht weitergehen will und kann, wird
eben nicht weitergegangen. Von Zwang muss gänzlich abgesehen werden.
Ich habe es mir angewöhnt, sehr auf den Zustand und die Kräftereserven
der Jugendlichen zu achten und meine eigenen Ziele vollkommen zurückzunehmen.
Im Vordergrund steht das beschwerdefreie Erlebnis der Kinder, ihre Zufriedenheit
und nicht meine eigenen Gipfel-Ambitionen.
Vor
allem das Tempo haben die Kinder vorgegeben. Bei schwierigen
Passagen, bei Nebel oder auf Firnfeldern gingen wir geschlossen, auf
Almwegen oder anderen gefahrlosen Steigen ließ ich jedem das Tempo
gehen, das er wollte, unter der Voraussetzung, dass der erste mit dem
letzten Sichtkontakt hat. Dem ersten und schnellsten oblag also die
Pflicht, immer wieder zurückzuschauen und zu warten, sollte
der letzte der Gruppe nicht mehr zu sehen sein. Diese Methode hat sich
sehr bewährt, von Gänsemarsch-Taktik halte ich nichts, da
jedem ein eigener Geh-Rhythmus eigen ist.
Viele
Seen, Almen, Natur-Sehenswürdigkeiten und herrlich gelegene Rastplätze
machen aus jeder Tagesetappe ein Abenteuer.
Der
Rucksack der Jüngsten sollte nicht zu schwer sein, es gilt
die Regel, dass 13 - 16-Jährigen ein Rucksackgewicht von max. 7
kg zuzumuten ist.
Ich
habe die Marschzeiten sehr großzügig bemessen, um
über genug Spiel-Raum für Rasten, Umwege oder gar einen
Rückzug zu verfügen.
Die
vorwiegend privaten Hütten bestechen durch hervorragendes Service
und Engagement. Die Preise allerdings scheinen mir - gerade für
Kinder - zu hoch angesetzt!
Außer
einigen längeren Tagesetappen sind wir auf keinerlei Schwierigkeiten
gestoßen. Einige Altschneefelder bedurften besonderer
Aufmerksamkeit, die paar Meter Kraxelei auf den Lasörling
bereiteten Spaß.
Wer
eine ruhige, eindrucksvolle und nicht überlaufene Tour sucht,
dem sei dieser Höhenweg wärmstens empfohlen!
Geschichte
Der
Nationalpark Hohe Tauern, heißt es, zählt zu den letzten
zusammenhängenden Urlandschaften der Alpen. Tatsächlich kann
hier die Natur noch in der ursprünglichen Wildheit erlebt und bestaunt
werden - auf traumhaften, aussichtsreichen Wegen, wie oben beschrieben.
Am 21.Oktober 1971 wurde von den "Landesfürsten" Salzburgs,
Kärntens und Tirols auf dem Dorfplatz von Heiligenblut, am Fuße
des Großglockners die Vereinbarung zur Schaffung eines Nationalparks
Hohe Tauern unterzeichnet. Am 1.Jänner 1992 wurde endlich auch der
Tiroler Anteil dieses Parks gesetzlich verankert. Heute erstrecken sich
die Hohen Tauern über 1786 Quadratkilometer. Die Kernzone besteht
aus einer wilden Hochgebirgslandschaft, geprägt von Wasser, Fels
und Eis. Hier dominiert die Natur, der Mensch ist lediglich als Gast geduldet.
Zu
den spektakulärsten Naturschauspielen des Nationalparks Hohe Tauern
zählen unbestreitbar die Krimmler Wasserfälle. Mit drei
Kaskadenstufen über fast 400 Meter Sturzhöhe behaupten sie den
ersten Platz in den Alpen und den fünften der Welt.
Erstbesteigung
des Lasörlings: 1861 durch Karl von Sonklar nach mehreren Versuchen
auf dem Nordgrat.
Literatur
Für
diese Tour gibt es ein kostenloses Faltprospekt "Virgentaler Hüttenführer"
für Lasörling und Großvenediger Höhenweg. Infos:
Tourismusverband Virgen (04874/5210) oder TV Matrei (04875/6709)
Karte:
ÖK 178 Hopfgarten in Osttirol und 177 St.Jakob im Defreggental. Freytag
& Berndt Wk 12, Glockner- und Venedigergruppe.