Aufstieg
3,5 Stunden
Wir brechen im Konvoi auf, folgen rechtshaltend einer Forststraße,
biegen gleich links ab auf eine Lichtung, um schließlich durch steilen
Schlagwald und ein Spalier grässlicher Baumgerippe bergan zu schnaufen
... Laut K. u. K. - Gütesiegelführer sollte es sich hier eigentlich um
einen "ausgedehnten, landschaftlich sehr schönen" Aufstieg
entlang eines "rauschenden Baches" handeln, aber "ausgedehnt"
ist da nur die Steilheit, von "Landschaft" keine Rede
und das einzige, was hier "rauscht", ist die Lunge der
Freiwilligen Feuerwehr Oberhautzendorf. Ob er sich seiner Sache
sicher sei, frage ich Papageno - "Immer links halten, immer
links!", und das Schnabeltier nickt wissend dazu. Es muss
ein Geheimweg sein, eine Insider-Tour, denke ich mir, die nur Papageno
und die Freiwillige Feuerwehr kennen.
Der Wald kreuzt nach etwa 200 Höhenmetern eine Forststraße.
Links oder rechts? "Links, immer links halten!" Nicken, links,
weiter.
Ich hätte längst stutzig werden sollen, als ich bemerke, dass
sich die Gruppe nie trennt. Statt das eigene Tempo zu gehen, wartet der
eine lauernd auf den anderen; wenn Papageno steht, steht auch das
Schnabeltier, wenn ich mich zum notdürftigen Geschäft in die
Büsche verziehe, schlägt sich auch die Freiwillige Feuerwehr dorthin,
sogar geflucht wird in Dolby Surround - es scheinen uns geheimnisvolle
Fäden zu verbinden - aus welchem Grund auch immer.
Nach der Forststraße wird der steile Wald noch steiler, das
laut K. u. K.- Gütesiegelführer "flache" Wegstück winkelt
sich bis 90°, der eisige Boden wird noch eisiger, die besagte "weite
Almfläche" müssen die Türken weggesprengt haben.
Durch lichter werdenden Hochwald an die Waldgrenze, aaah, jetzt müssten
wir doch bald den Windberg sehen, rufe ich den anderen zu. Ja, ja, er
müsste bald auftauchen. Was wir allerdings zu sehen bekommen, ist rechts
ein kleines Gedenkkreuz (wahrscheinlich zur Erinnerung an die vielen Blindgänger,
die hier zugrunde gegangen sind), sonst nichts. Kein Windberg, kein Gipfelkreuz,
nichts.
"Links, immer links!" Wissend nickend stapfen wir
einen freien Westkamm entlang, hinter dieser Erhebung muss er liegen ...
Error, Endstation, Game over ... Keine Ahnung, wo wir sind. Stille, bis
die Freiwillige Feuerwehr Oberhautzendorf murmelt: "Seltsam,
früher stand hier der Windberg, ich weiß es bestimmt, genau hier!"
und das Schnabeltier meint: "Irgend etwas stimmt hier nicht,
mein Höhenmesser zeigt viel zu wenig an - koreanischer Kummunistenmüll!"
Papageno: "Wir hätten uns von Anfang an eher rechts
halten sollen!" Wir nicken und vergraben ihn tief in einer Wächte.

Weil wir in weiter Ferne ein Gipfelkreuz sehen (der Windberg!!??),
fahren wir in eine Senke ab, um neu anzufellen und wieder etwa 150 Höhenmeter
hochzustapfen bis zu einem Steinmandl. Frohgestimmt und siegessicher folgen
wir einem NO-Kamm, bis wir endlich das Gipfelkreuz vor uns sehen. Ein
Pärchen sitzt dort mit dem Grazer Wappen am Anorak: zwei von der steirischen
Narrengilde also - Superalpinisten. Als wir sie begrüßen, lautet
ihre schüchtern gehauchte Frage: "Auf welchem Berg stehen wir
hier eigentlich?" "Auf dem Windberg natürlich!!!",
röhren wir im Chor. "Das gibt es nicht! Der Nachbarberg ist um vieles
höher als der hier, also kann er es nicht sein!",
verbessern uns die Grazer. Tatsächlich - frech, beinahe überheblich baut
sich ein anderer Berg vor aus auf und scheint uns höhnisch zuzurufen:
"Ha, ha, wieder ein paar Affen, die am falschen Gipfel sitzen und
fassungslos herüberglotzen". Wie kann das sein? Ist unser Windberg
geschrumpft oder hat man ihn zu Gunsten des Nulldefizits wegrationalisiert?
Ein Blick auf die K. u. K. - Gütesiegelkarte gibt keinerlei Auskunft über
einen bekreuzten Gipfel in der Nähe unseres Sehnsuchtsberges - es wundert
mich nicht, dass die Monarchie so kläglich scheiterte.
Da nähert sich ein anderes Duo dem Gipfel: Riesenfotoapparate
um den Bauch, Fuji-Hüte am Kopf, kalkweiß im Gesicht. Japaner.
Mit hämischer Vorfreude ruft ihnen Papageno zu: "He!
Sucht ihr den Stephansplatz? Hö-hö, ha-ha, habt ihr überhaupt
eine Ahnung, wo ihr seid?"
"Auf der Donnerwand, 1799m,
15°35,762' östlich von Greenwich."
Das Schweigen der Lämmer kann schweigsamer nicht sein.
Und sie kämen geradewegs vom Windberg, der aber vollkommen
abgeblasen und also unmöglich zu befahren sei.
Uns ist, als seien wir statt auf dem Everest am Mount Wo-bin-i
oder statt in St. Moritz auf dem Hauptplatz von Kabul gelandet. Die Freiwillige
Feuerwehr beginnt zu brüllen, als befände sie sich mitten in einem
Großbrand, die Grazer reißen sich die Wappen von der Brust, Papageno
weint bitterlich, schon einmal habe er versucht, den Windberg zu besteigen,
seufzt er, und sei auf der Lachalpe gelandet, immer links habe
es geheißen, immer links. Wir beschließen eine Windberg-Expedition
auf die Beine zu stellen mit modernstem Satelliten-Navigations- und Anti-Verirr-System,
japanischen Bergführern sowie einer Staffel bestausgebildeter Blindenhunde.

Trotzdem, stellen wir übereinstimmend fest, sei diese Tour
ein tolles Erlebnis gewesen, da wir auf einem Gipfel gestrandet sind,
der zwar nicht der war, der er sein sollte, sich aber letztendlich
doch als der richtige erwies.
Und außerdem klingt "Donnerwand" sowieso
besser als "Windberg".
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