Land
der Berge: Wie erlebst du als Frau die männerdominierte Welt
des Bergsteigens?
Kaltenbrunner:
Als Frau musst du anfangs mehr Leistung bringen, um voll akzeptiert zu
werden. Mittlerweile kennen mich viele Bergsteiger und respektieren mich
auch mehr als früher. Leider gibt es nicht viele Höhenbergsteigerinnen,
und daher freue ich mich jedes Mal, wenn ich eine treffe.
LdB:
Willst du alle Achttausender besteigen?
Kaltenbrunner:
Im Hinterkopf hab ich das schon. Wahrscheinlich auch deswegen, weil bis
jetzt immer alles gut gegangen ist. Es wird sicher auch Zeiten geben,
in denen ich nicht gleich beim ersten Versuch Erfolg habe. Ich möchte
einen nach dem anderen versuchen, aber sicher nicht mit Gewalt. Die Gesundheit
geht auf jeden Fall vor. Ich bin schon alle 8.000er im Kopf durchgegangen
und lese sehr viel darüber. Jeder einzelne hat seinen Reiz, seine
schönen, aber auch seine abweisenden Seiten.
Ich
habe bei einigen Frauen beobachtet, dass sie die Höhe sehr gut vertragen.
Es könnte sein, dass Frauen besser in ihren Körper hineinhören
und diesbezüglich sensibler sind als Männer.
LdB:
Wird beim ,,8.000er-Sammeln" nicht die Anzahl der Gipfel wichtiger
als die individuelle Bedeutung des jeweiligen Berges?
Kaltenbrunner:
Überhaupt nicht. Ich suche mir den Berg danach aus, wie er mich anspricht.
Ich denke mir nicht, ich muss jetzt den fünften oder sechsten schaffen.
Stattdessen setze ich mich immer sehr intensiv mit dem Berg auseinander,
den ich mir zum Ziel gesetzt habe. Es geht mir um das persönliche
Erlebnis.
LdB:
Bei dir hat man den Eindruck, Kopfschmerzen sind ein Fremdwort für
dich.
Kaltenbrunner:
Zu Beginn am Broad Peak hatte ich einmal starke Kopfschmerzen und musste
Aspirin nehmen. Das war das einzige Mal. Das Kopfweh kann man sich richtig
wegtrinken. Ab einer gewissen Höhe trink ich so viel ich kriegen
kann. Dadurch habe ich zum Glück nie Kopfweh.
LdB:
Hast du ein Erfolgsgeheimnis?
Kaltenbrunner:
Ich achte immer auf eine gute Akklimatisation. Und ich kann mich super
auf mein Ziel einstellen. Wenn ich andere Bergsteiger beobachte, habe
ich oft das Gefühl, dass sie mit aller Gewalt hinauf wollen. Natürlich
fahre ich auch mit dem Ziel hin, auf den Gipfel zu kommen. Wenn es mir
gut geht, schaffe ich es auch. Es soll jedenfalls nie an meiner Kondition
scheitern. Entscheidend ist es, am Gipfeltag den inneren Schweinehund
zu überwinden. Die extreme Kälte, der Sauerstoffmangel - es
kommen viele Sachen zusammen, gegen die man ankämpfen muss. Aber
mit einer guten inneren Einstellung geht das.
LdB:
Wie trainierst du deine Kondition, damit du auch unter extremen Bedingung
noch auf körperliche Reserven zugreifen kannst?
Kaltenbrunner:
Vier bis sechs Monate vor der Bergfahrt habe ich das Bedürfnis, zwei
mal täglich Ausdauer zu trainieren. Im Winter stehe ich um halb fünf
auf und trainiere eineinhalb Stunden am Ergometer. Wenn ich abends von
der Arbeit heimkomme, ziehe ich mich um, laufe mit den Tourenskiern auf
den Feuerkogel, gehe duschen und falle ins Bett. Dann bin ich zufrieden.
Vielleicht wäre es sinnvoller, sich an einen Trainingsplan zu halten,
aber das mache ich überhaupt nicht.
Viele
fragen mich nach dem Everest. Aber auch der käme nur ohne Sauerstoffflaschen
in Frage.
LdB:
Sind Frauen prädestiniert zum Höhenbergsteigen?
Kaltenbrunner:
Ich habe bisher bei einigen Frauen beobachtet, dass sie die Höhe
sehr gut vertragen. Es könnte sein, dass Frauen besser in ihren Körper
hineinhören und diesbezüglich sensibler sind als Männer.
Wenn es mir so schlecht ginge, wie ich es oft bei anderen sehe, würde
ich nicht weitergehen, sondern umkehren und mich besser akklimatisieren.
LdB:
Wie gehst du mit dem Risiko beim Höhenbergsteigen um?
Kaltenbrunner:
Ich glaube, dass ich die Risiken mittlerweile gut einschätzen kann,
aber ein gewisses Restrisiko bleibt immer. Gerade beim Höhenbergsteigen
besteht die Gefahr, dass mal etwas abgeht oder ein Eisserac bricht. Lawinen
kann man da noch besser einkalkulieren. Am Manaslu beispielsweise habe
ich im Basislager zwei Tage abgewartet, bis das Gröbste vorbei war,
und bin dann erst losgestartet. Ich setze mich schon damit auseinander,
dass einmal etwas passieren könnte und ich nicht mehr heimkomme.
Aber dieses Risiko hat jeder auch bei einer Autofahrt. Und ich glaube,
dass es mir sowieso vorbestimmt ist, wann mein Leben vorbei ist.
LdB:
Möchtest du auch weiterhin auf künstlichen Sauerstoff verzichten?
Kaltenbrunner:
Für mich ist es ein wesentlicher Unterschied, ob man z. B. den Makalu
mit oder ohne künstlichen Sauerstoff besteigt. Ich habe mir von Anfang
an gesagt, ich gehe so weit, wie ich es aus eigener Kraft schaffe. Wenn
du auf 8.000 m künstlichen Sauerstoff nimmst, fühlst du dich
wie auf 6.500 m. Genauso gut könntest du dann auf einen Sechseinhalbtausender
gehen. Viele fragen mich nach dem Everest. Aber auch der käme nur
ohne Sauerstoffflaschen in Frage. Wenn ich einmal merke, dass mir die
Luft ausgeht, dann hoffe ich, dass ich umkehren kann. Wenn die Berge nur
noch ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen werden dürften, würde
sich das Höhenbergsteigen stark reduzieren, speziell am Everest.
Aber das muss jeder für sich entscheiden. Schlimm ist es nur, wenn
die Flaschen am Berg zurückgelassen werden, das verurteile ich sehr.
LdB:
Wie sehen deine Zukunftspläne rund um Bergsteigen, Familie und Beruf
aus?
Kaltenbrunner:
Bergsteigen ist der absolute Mittelpunkt in meinem Leben. Wenn ich auf
einen Berg hinaufkann, bin ich glücklich. Das Thema Kinder habe ich
für mich schon abgeschlossen, weil es sich einfach nicht vereinbaren
lässt. Ich möchte mich immer intensiver aufs Bergsteigen konzentrieren,
aber als Profi durchzukommen ist sehr hart. Das Selbstvermarkten liegt
mir gar nicht - ich will einfach bergsteigen, weil es mir Spaß macht.
Aber ganz ohne Sponsoren geht es wegen der hohen Kosten einer Expedition
natürlich auch nicht.
Bergsteigen ist der absolute Mittelpunkt in meinem Leben. Wenn ich
auf einen Berg hinaufkann, bin ich glücklich.
LdB:
Wie wichtig ist dir die Höhe eines Berges?
Kaltenbrunner:
Heuer war mein Freund Herbert am Shivling unterwegs, und da wäre
ich wahnsinnig gerne dabei gewesen. Weil der Berg einfach so schön
ist. Oder die Ama Dablam, wo ich 1997 war, hat mich mit ihrer Steilheit
und Schönheit tief beeindruckt. Und da geht es gar nicht um die Höhe.
Aber insgeheim reizt mich die Höhe vielleicht doch, sonst ginge ich
nicht immer wieder auf einen Achttausender. Je höher ich hinaufkomme,
desto mehr gerate ich in einen Grenzbereich, und das ist schon ein spezielles
Gefühl. Alles noch unter Kontrolle zu haben, obwohl man sich geistig
und körperlich am Limit bewegt, ist eine Herausforderung. Wenn ich
hoffentlich einmal mehr Zeit zum Bergsteigen habe, möchte ich gerne
mehr Touren unternehmen, die zwar niedriger sind, aber technisch anspruchsvoller.
LdB:
Welche Bergsportart ist dir - abgesehen vom Höhenbergsteigen - am
liebsten?
Kaltenbrunner:
Ich bin voll auf alpine Touren eingeschossen, am liebsten klettere ich
Felstouren um den VI. Grad. Mich reizt weniger das extrem Schwierige,
sondern das ganze Erlebnis: der Zustieg, eine tolle alpine Tour und dann
das Obensein. Eisklettern gefällt mir auch ganz besonders. Es fasziniert
mich, wenn sich das Wasser im Winter zu einem wunderschönen Eisfall
verwandelt, der im Frühjahr wieder verschwunden ist. |