Otto
"Rambo" Herzog setzte nicht nur in der Schwierigkeit seiner
Routen neue Maßstäbe, sondern auch in Technik und Ausrüstung.
Herzog war es, der den Karabiner ("Schnappring") einführte,
Herzog war es, der noch vor Dülfer den Seilquergang erfunden haben
soll, und Herzog war es, der sich den VI. Schwierigkeitsgrad erkletterte
- und dennoch ein Mensch mit Seele blieb, der seine Berge, speziell
das Karwendel, über alles liebte.
Eine
Szene, wie man sie an schönen Sonntagen in vielen Klettergärten
beobachten kann: Zahlreiche Felsbegeisterte haben sich eingefunden,
jeder versucht auf seine Weise zu trainieren, auszuprobieren, seine
Technik zu verbessern oder seine eigenen Grenzen um wenige Zentimeter
nach oben zu verschieben.
Und dann gibt es jemanden, der besonders auffällt: Ein kräftiger,
athletischer Kletterer, Typ Turner oder Artist, der sich in eine Stelle
verbissen hat, sie immer wieder versucht, minuten-, ja stundenlang.
Bis ihm ein Freund zuruft, dass er bald aufhören solle, damit er
keinen Schaden nehme. Das besondere daran? Wir befinden uns nicht beim
Klettergartentraining im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, sondern
im Münchner Klettergarten noch vor dem Ersten Weltkrieg.
Ein
kräftiger, athletischer Kletterer, Typ Turner oder Artist, der
sich in eine Stelle verbissen hat, sie immer wieder versucht, minuten-,
ja stundenlang.
Der in
die Wandstelle "Verbissene" heißt Otto Herzog.
Und der zurufende Beobachter spricht nicht nur vom Schaden, den Herzog
nehmen könnte, sondern prophezeit ihm, dass er bald "ramponiert"
sei. Die Geburtsstunde des Beinnamens für Otto Herzog -
"Rampo" von ramponiert, und weil es mundgerechter und
gefälliger klang, sollte er von nun an Rambo gerufen werden.
Otto Herzog war aber alles andere als ein "Rambo" im
heutigen Sinne. Gewiss, ein Draufgänger schon, aber doch vorsichtig.
Ein Kletterer, der hart trainierte und von sich selbst das Äußerste
abverlangte. Ausgestattet mit einem Instinkt für Routen, in denen
er die Grenzen des damals frei Kletterbaren berührte und überschreiten
konnte. Ein Abenteurer war er, ein sportlicher Eroberer, physisch topfit,
mit Lust an der Leistung und der Herausforderung.
Über 170 Erstbegehungen und 26 absolute Erstbesteigungen unterstreichen
dies in beeindruckender Weise. Dennoch, es würde Otto Herzog
nicht gerecht, wollte man ihn auf die Zahl seiner Bergsteiger-Taten
reduzieren. Dem Menschen, dem Charakter Herzogs ohnehin nicht,
aber auch nicht seinem besonderen Wert im Alpinismus, der aus der heute
möglichen Draufsicht auf die Kletterhistorie als außerordentlich
erscheint.
Herzog
setzt neue Maßstäbe
In der
gesamten Geschichte des Felskletterns hat es immer wieder Phasen gegeben,
in denen sich ein Entwicklungsabschnitt einer so revolutionären
Veränderung näherte, dass damit stets Grundsatzentscheidungen,
Wertediskussionen und Stilfragen einhergingen. Immer waren es Freigeister,
die aufgrund ihrer eigenen exorbitanten Kletterfähigkeit das Tor
aufstießen für eine neue Schwierigkeitsstufe, für einen
Werte- und Stilwandel. Denken wir an die Einführung des VII. Schwierigkeitsgrades,
an die Diskussion um den Gebrauch von Magnesia und vieles mehr.
Herzogs
Erstbegehungen waren wie leuchtende Orientierungsbojen, als sich das
sportliche Felsklettern endgültig vom heroischen Gipfelbergsteigen
abzunabeln begann.
Auch zu
Herzogs Zeiten gab es im Klettersport auf der einen Seite die Protagonisten,
die sich mit aller Intellektualität, allem Kletterkönnen und
Sachverstand in ethische Grundsatzdiskussionen verbissen und vehement
Veränderung oder Bewahrung einforderten.
Daneben
flankierten aber immer unverkrampftere Zeitgenossen jene schwierigen
Umbrüche. Natürlich waren sie genauso interessiert an der
Entwicklung - blieben aber experimentierfreudig und bedienten sich bei
ihren Erstbegehungen oft in einem Stile-Crossover des Altbewährten
und des noch Verpönten.
Mit ihren Routen, mit ihrer Art, Neues zu wagen, setzten sie einen veränderten
Stil durch, ließen die Streits und Diskussionen verstummen und
trugen dazu bei, dass die Kletterkunst nicht in Stagnation verfiel,
sondern
in einem organischen Entwicklungsprozess neue Maßstäbe hervorbrachte.
Zu jener Art "alpiner Exekutive" gehörte wohl auch Otto
Herzog. Seine Erstbegehungen waren wie leuchtende Orientierungsbojen,
als sich das sportliche Felsklettern endgültig vom heroischen Gipfelbergsteigen
abzunabeln begann.
Die
Frage der Technik
Wir müssen
uns dazu die Geschehnisse in der alpinen Szene vor dem Ersten Weltkrieg
vergegenwärtigen, um zu begreifen, was es bedeutete, dass Otto
Herzog zusammen mit dem Zillertaler Bergführer Hans Fiechtl
mit der Erstdurchsteigung der Schüsselkarspitze-Südwand 1913
eine der bis dahin wohl schwierigsten Kletterfahrten gelungen war. Ein
Route, die im 8-Meter-Wandl den VI. Grad nur knapp verfehlte. Keine
Geringeren als Tita Piaz und Paul Preuß waren an
der Route abgeblitzt.
Es
kam zu einer Kontroverse, die die Gilde der Kletterer in Gegner und
Befürworter technischer Hilfsmittel aufspaltete.
Jener Paul
Preuß, der den Einsatz von Seil und Haken als Hilfsmittel
beim extremen Klettern ablehnte. Nachdrücklich forderte er, auf
den Einsatz künstlicher Hilfsmittel beim Klettern möglichst
zu verzichten, vor allem bei der Erschließung neuer Routen. Es
kam zu einer Kontroverse, die die Gilde der Kletterer in Gegner und
Befürworter technischer Hilfsmittel aufspaltete. Es ging hin und
her, man griff sich an, beharrte auf seinen Meinungen. Alles, was Rang
und Namen hatte in der Szene der extremen Kletterer, war mehr oder weniger
an der inhaltlichen Auseinandersetzung beteiligt, die ihren Höhepunkt
in einer heftigen Debatte bei einer Diskussionsveranstaltung der Sektion
Bayerland hatte.
Bilderhaken
- Ringhaken - Karabiner
Die Entwicklung
ließ sich aber nicht mehr aufhalten. Seitdem die wesentlichen
Gipfel der Alpen bestiegen waren, suchten sich die jungen Bergsteiger
Anstiege über Grate, Kanten und Wände. Egal wie hoch oder
berühmt der Gipfel war, entscheidend für die bergsteigerische
Herausforderung wurde jetzt die Schwierigkeit einer Tour. Der Weg war
sprichwörtlich zum Ziel geworden. Alles Können und die ganze
Kraft galt es nunmehr für die Überwindung der schwersten Stellen
einer Route einzusetzen. Seit dieser Umbruchphase im Alpinismus, seit
sportliche Fertigkeiten, Kraft und Geschick Zug um Zug den alten Heroismus
ersetzten, bemühten sich die Kletterer um Absicherung. Sie wollten
nach schweren Anstiegen lebend am Gipfel stehen und nicht in den Schlüsselpassagen
ihr Leben lassen. Das Seil wurde zum wichtigsten Ausrüstungsgegenstand,
und seit der Jahrhundertwende trieben findige Alpinisten auch Eisenstifte
zur Sicherung in die Felsritzen. Zunächst war es eine Art Bilderhaken,
über den das Seil einfach beim Hinaufsteigen gelegt wurde, in der
Hoffnung, dass sich der Hanfstrick bei einem Sturz an dem Stift verfangen
würde.
... seit sportliche Fertigkeiten, Kraft
und Geschick Zug um Zug den alten Heroismus ersetzten, bemühten
sich die Kletterer um Absicherung. Sie wollten nach schweren Anstiegen
lebend am Gipfel stehen.
Dann kam
der Ringhaken auf, durch den der Kletterer das Seil umständlich,
sich stets selbst ausbindend, fädeln musste. Otto Herzog benutzte
etwa ab 1909 Karabiner, die bis dahin nur bei der Feuerwehr als Gurthaken
zum Einsatz kamen, auch beim Klettern. Durch die Schnappöffnung
konnte der Karabiner jetzt problemlos in die Hakenöse eingeklinkt
und das Seil in den Karabiner eingehängt werden. Das gefährliche
und zeitraubende Ein- und Ausbinden und das Durchfädeln des Seilendes
durch die Hakenöse oder das Knoten einer Reepschnurschlinge als
Karabinerersatz wurden so überflüssig. Herzog wies damit die
Richtung, wohin die weitere Verbesserung der Kletterkarabiner gehen
sollte. Auch beim Umgang mit dem Seil tüftelte er. Den berühmten
fallenden Seilzugquergang, um eine Route nach Überwindung einer
zur damaligen Zeit noch nicht frei kletterbaren Stelle wieder aufnehmen
zu können, praktizierte Herzog als einer der ersten. Dabei
ist es heute müßig, darüber zu streiten, ob Rambo
die geniale Idee zuerst einfiel oder Dülfer, dem dieses besondere
"Abseilmanöver" als Erfindung zugesprochen wurde.
Schwierigkeit
I-V ..., was dann?
Der Erste
Weltkrieg unterbrach die Lust auf ein Höherschrauben des Schwierigkeitsgrades
der "jungen Wilden", der sportlich ambitionierten Kletterer.
Viele der Besten, die vor dem Krieg in eine neue Dimension des Kletterns
vorgedrungen waren, wie z. B. Hans Dülfer, kehrten von den
Fronten nicht mehr zurück in ihre geliebten Berge. Und die, die
den Wahnsinn überlebt hatten, oft traumatisiert und verunsichert,
schickten sich an, dort weiterzumachen, wo sie vor dem europäischen
Unheil aufgehört hatten.
Sportlicher, schwerer und noch schwieriger sollten die Routen sein,
die sie wie das Netz einer Spinne über die Felswände zogen.
Es entstand ein Wettbewerb unter den Alpinisten und den großen
Bergsteigerzentren München und Wien. Wer sportliche Konkurrenz
suchte, brauchte ein Vergleichssystem, eine Skala, mit deren Hilfe man
Routen und damit auch ihre Erstbegeher einstufen konnte.
In Dülfers höchstem, dem V. Grad, also dem "äußerst
schwierigen", sammelten sich Touren an, die noch äußerster
als äußerst zu sein schienen.
Und da
man die Schwierigkeiten einer Kletterei als Synonym ihrer Bedeutung
herausstellte, mussten Parameter für eine Bewertung eben dieser
Schwierigkeiten erstellt werden.
Die Diskussion um das richtige Bewertungssystem war nicht neu. Dülfer
hatte noch vor dem Krieg eine fünfstufige Bewertungsmatrix ins
Leben gerufen und die einzelnen Abstufungsgrade von 1 bis 5 mit den
Begriffen leicht, mittelschwer, schwer, sehr schwer und äußerst
schwer versehen. Aber damit war es nicht genug. In Dülfers
V. Grad, also dem "äußerst schwierigen", sammelten
sich Touren an, die noch äußerster als äußerst
zu sein schienen. Manche Erstbegehungen Dülfers lagen offensichtlich
schon darüber, und die besagte Neutour an der Südwand der
Schüsselkarspitze von Herzog und Fiechtl sprengte
eindeutig das Korsett des Dülferschen V. Grades.
Herzog
klettert den VI. Grad
Wieder
war es Otto Herzog, der mit einer Erstbegehung 1921 die Diskussion
unter den Extremen um die Schwierigkeitsbewertung erneut anheizte. Zusammen
mit Gustav Haber war ihm an der Dreizinkenspitze im Karwendel
die berühmte "Ha-He-Verschneidung" gelungen. Trotz einer
Kriegsverletzung an der Hand hatte Rambo nach dem Krieg rasch
zu seiner alten Form zurückgefunden, und mit der "Ha-He"
hatte er faktisch den VI. Grad geklettert, die Schlüsselstelle
ging beinahe über diesen schon hinaus. Der Ruf nach der Einführung
des VI. Schwierigkeitsgrades wurde immer lauter. Willo Welzenbach nahm
sich der Sache an und kanalisierte die Entwicklung nach Herzogs
"Ha-He", nach Wiessners und Rossis "Südost"
an der Fleischbank und Solleders und Lettenbauers Durchstieg durch die
Civetta-Nordwestwand in eine Skala, die den VI. Grad als oberste Grenze
definierte.
...
ein Alpinist, der mit seiner Art, mit seinem Tun und seiner Einstellung
dazu beigetragen hat, dass das Bergsteigen einen Kern, eine Seele hat.
Und
danach? Otto Herzog blieb dem Klettern und Bergsteigen verbunden.
Er sammelte weiter Erstbegehungen, kam in die Dolomiten, die Westalpen
und sogar in den Kaukasus. Sein Lieblingsgebiet aber blieb das Karwendel.
Hier lebte er intensiv, es war sein Karwendel, das er durchstreifte und
kannte wie kein zweiter. "Rambo, Herzog von Ladiz", zierte
die Aufschrift eines Brettes an seiner Lieblingsalm. Weggefährten
berichten von einem skurrilen Zeitgenossen, rauschalig, mit derbem Humor.
Ein harter Geselle sei er gewesen, der auch in fortgeschrittenen Jahren
vor kalten Biwaknächten nicht zurückschreckte. Offen blieb er
für den Spaß im Gebirge, bewahrte sich bis zuletzt eine ungestüme
Jugendlichkeit. Wie seine Freunde überlieferten, verbiss er sich
noch im Alter in neue Schwungtechniken beim Skilaufen und liebäugelte
als Kletterer mit Neutouren, die erst mit dem allerneuesten Eisenzeug
möglich waren.
Otto Herzog, ein Original also, gleichsam zurückhaltend und
forsch, bescheiden und doch vom Leben Intensität fordernd. Einer,
der den Bergen als Lebensideal allzeit verbunden blieb, ein Alpinist,
der mit seiner Art, mit seinem Tun und seiner Einstellung dazu beigetragen
hat, dass das Bergsteigen einen Kern, eine Seele hat.