Wer
die Loswand auf der
Rax auf dem Wiener-Neustädter-Weg durchsteigt, wird beim "Büchlriss"
sicher dessen unangenehmen, da sehr schwierigen unteren Teil auf dem
so genannten "Kainschritt" umgehen. Die wenigsten Kletterer
wissen heute allerdings, wem dieser kurze Quergang seinen Namen verdankt.
Dabei müsste man sich nur ans obere Ende der Reißtalklamm
begeben, um hinter dieses Geheimnis zu kommen. Denn hier werden die
Verdienste des Konrad Kain auf einer an unübersehbarer Stelle angebrachten
Gedenktafel gewürdigt.
Kain
wurde in Naßwald als Sohn eines katholischen Holzarbeiters geboren
und deshalb auch nicht im evangelischen Geburtsort, sondern in Schwarzau
im Gebirge zur Taufe getragen. Bereits als Sechzehnjähriger arbeitete
er so wie sein Vater als Holzknecht, später nahm er allerdings
in Hirschwang eine Stelle als Steinbrucharbeiter an, weil dort die Verdienstmöglichkeiten
etwas günstiger waren. Schon in jungen Jahren fiel seine Begabung
auf, die er als Kletterer an den Tag legte. Schließlich nahm sich
der damals weit über die Grenzen Niederösterreichs hinaus
bekannte Bergführer Daniel Inthaler seiner an, und bereits 1906
konnte Kain selbst als Bergführer autorisiert werden. Auf Grund
seiner Fähigkeiten, die er sich vor allem auf der Rax beim Klettern
in der Loswand erworben hatte, war er bei den Führertouristen bald
außerordentlich beliebt und man nahm ihn in die Westalpen mit,
wo er einige sehr anspruchsvolle Bergtouren durchführen konnte.
Und
dann, 1908, klopfte das Schicksal an seine Tür. Kain erhielt eine
Einladung des Alpine Clubs of Canada, der ihm eine Stelle als Bergführer
in den Rocky Mountains anbot. Von nun an stand ihm die Welt offen. 1909
verließ Kain Österreich. Er besuchte zunächst das Sommercamp
des Kanadischen Alpenklubs, in das viele Touristen kamen, und konnte
dort die Anwesenden von seinen alpinen Fähigkeiten restlos überzeugen.
Auch erwies er sich als wertvoller Mitarbeiter bei der damals noch nicht
abgeschlossenen Landvermessung. Während des kanadischen Winters,
der mit reichlichen Schneefällen und zum Teil sehr tiefen Temperaturen
hohe Anforderungen an die dort lebenden Menschen stellt, betätigte
er sich als Pelztierjäger und Fallensteller.
"Immer
war es die Freude an neuem Erleben und die Sehnsucht nach den Wundern
und Schönheiten der Natur, welche ihn nach fernen, fremden Ländern
zog." Amelie Malek
über Konrad Kain
Bald konnte
er sich durch diese Arbeit, die er als freiheitsliebender Mensch ganz
besonders schätzte, ein kleines Vermögen erwirtschaften. 1912
reiste er mit einer Expedition des Smithsonian Instituts nach Asien,
wo ihm im Altaigebirge einige Erstersteigungen gelangen. Kurz darauf
fuhr er nach Neuseeland, wo er mehrere Wochen in einem Buschcamp verbrachte.
Nach Kanada
zurückgekehrt, erhielt er eine Einladung des neuseeländischen
Tourist Departments, in der er gebeten wurde, im Bereich des Mount Cook
einen
Bergführerkurs nach alpinem Vorbild zu leiten. Während der
Schiffsreise über den Stillen Ozean besuchte er die Inseln Naratonga,
Tahiti und Hawaii, deren Tropenpracht er zutiefst bewunderte. "Immer
war es die Freude an neuem Erleben und die Sehnsucht nach den Wundern
und Schönheiten der Natur, welche ihn nach fernen, fremden Ländern
zog. Die Phantasie dieses einfachen Mannes musste von Idealen geleitet
sein, denn nur so war er imstande, die wechselnden, oft überwältigenden
Eindrücke als tiefe, seelische Empfindung zu erfassen und als Erlebnis
zu bewahren. Die Farbenpracht der untergehenden Sonne wirkte besonders
tief auf sein Gemüt, und unvergesslich blieb ihm ein zauberhafter
Sonnenuntergang im Dauphiné, das bunte Farbenspiel der sinkenden
Sonne im Roten Meer und das unirdische Leuchten der Eisdome in den kanadischen
Bergen", schrieb Amelie Malek in einem Konrad Kain gewidmeten
Nachruf, der 1934 in den Mitteilungen des DuÖAV veröffentlicht
wurde.
Kanada,
Neuseeland, Hawaii, Asien: Kaum ein Bergführer seiner Zeit ist
weiter gereist und konnte dabei für den Bergsport mehr bewegen
als der gebürtige Naßwalder Konrad Kain.
Der
kanadische Urwald in seiner gesamten, riesigen Ausdehnung übte
auf Kain eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Jahrelang verbrachte
er so gut wie jeden Winter als Fallensteller in diesem Berg- und Waldland,
das er bald bis in die entlegensten Winkel hinein erforscht und für
sich entdeckt hatte. Besonders beeindruckt dürften ihn die wilden
Berge der Rocky Mountains haben, in denen er so manchen Gipfel als Erster
betreten konnte. Einer seiner schönsten Erfolge war wohl die Erstersteigung
des 3.954 m hohen Mount Robson bei Jasper, des höchsten Berges
der kanadischen "Rockys". In einem kleinen Museum am Fuß
dieses eindrucksvollen Berges wird auch die bergsteigerische Erschließungstätigkeit
des gebürtigen Naßwalders Konrad Kain gewürdigt.
1917 heiratete
Kain und erwarb drei Jahre danach eine Farm. Je älter er wurde,
desto mehr sehnte er sich nach seiner niederösterreichischen Heimat
Nasswald und nach jenen Bergen, in denen er seine Jugend verbracht hatte.
Dieser Wunsch wurde in ihm nach dem Tod seiner Frau geradezu übermächtig.
Er plante deshalb, den Winter von 1933 auf 1934 wieder in den Wäldern
zu verbringen, um sich mit dem Erlös aus der Pelztierjagd die Überfahrt
nach Europa zu finanzieren. Doch es kam anders. Bereits im Oktober 1933
machten sich die Anzeichen einer schweren Erkrankung bemerkbar, und
Mitte Dezember brachte man ihn von seiner Farm in Wilmer in das Krankenhaus
in Canbrook. Immer wieder sprach er hier von seiner unbändigen
Sehnsucht nach seinem Geburtsort, nach seinen Freunden in Nasswald und
vor allem nach seiner Mutter, die er 22 Jahre lang nicht mehr gesehen
hatte. Eine tiefe Bewusstlosigkeit erlöste den Vereinsamten schließlich
von seiner Seelenpein. Seine Kraft war gebrochen und er starb, ohne
das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
Kains Bedeutung
als Mensch, Bergsteiger und Bergführer ist in seiner Heimat heute
nur mehr wenigen in Erinnerung. Als Holzknecht hat er seine Laufbahn begonnen
und als Farmer ging diese zu Ende. Dazwischen aber hatte er sich als Trapper,
Pelzhändler und Landvermesser betätigt, doch seine Berufung
zum Bergsteiger hat er stets über alle anderen Tätigkeiten gestellt.
In den USA, in Kanada und in Neuseeland genießt Konrad Kain nach
wie vor einen sehr hohen Bekanntheitsgrad. War er es doch, der die Liebe
zum Bergsport, die alpine Idee schlechthin, in diese Länder tragen
konnte.