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Everest - Die Geschichte seiner Besteigung
Teil I: Der Mythos - Der Gipfel - Der WegTeil II: 29. Mai '53 - Triumphe - Tragödien

Von Thomas Rambauske

"Danke, Muttergöttin der Erde!", murmelt Sherpa Tenzing Norgay, als er und Edmund Hillary als erste Menschen den Gipfel des Everest betraten.
Ein Jahrhundert Everest. Zeit für eine Rückschau, Zeit aber auch für einen Blick in die Zukunft des Alpinismus.

Der Mythos

März 1953: Zwei Marschkolonnen mit 350 Trägern und 13 Tonnen Ausrüstung bewegen sich durch das Hochland von Nepal dem Everest zu. 13 britische Bergsteiger unter der Leitung des Himalaya-Kenners John Hunt haben nur ein Ziel: den Mythos von der Unbesteigbarkeit des höchsten Berges der Welt zu widerlegen.

1. April 2003: Tashi Tenzing, der Enkel des Erstbesteigers, Peter Habeler, Reinhold Messner, Wolfgang Nairz, Robert Schauer und Stephen Venables, sie alle versammeln sich in Wien zu einem Gipfel-Treffen der besonderen Art, um jenes Ereignisses vor 50 Jahren zu gedenken, das wie kein anderes Alpingeschichte geschrieben hat.
Die Erstbesteigung des Evere
st sei zwar eine "Pionierleistung historischer Dimension gewesen, die uns immer noch beschäftigt", leitete Nationalratspräsident Dr. Heinz Fischer die Feierstunde ein, nichtsdestotrotz habe am 29. Mai 1953 der Everest begonnen, seinen Mythos zu verlieren (Reinhold Messner).
Hillary und Tenzing Norgay haben zwar ein Ziel erreicht, aber zugleich den Startschuss gegeben zur kompromisslosen "Eroberung des Unnützen" (Lionel Terray). Entmythisierung der Berge, "Eroberung" der letzten bislang unbetretenen Orte und Pole hieß die Devise und Herausforderung des Ur-Alpinismus.

1856: Andrew Waugh, Leiter einer britischen Vermessungsexpedition, entdeckt dass "Peak XV" wahrscheinlich der höchste Berg der Welt ist. Er rät der Royal Geographical Society, den Berg nach seinem Vorgänger George Everest zu benennen, der die Vorarbeiten zu dieser Entdeckung geleistet hat. Die Einheimischen nennen den Berg "Chomolungma" - "Muttergöttin der Erde". Die Neuvermessung 1999 ergibt eine Höhe von 8850 m.

Der Gipfel

17. April 1953: Die Karawane erreicht das Mount Everest Basislager in 5400 Metern Höhe unter dem Khumbu-Eisfall. Man sammelt sich, errichtet Zelte, beginnt den Aufstieg generalstabsmäßig vorzubereiten. Hunt, ein vorzüglicher Expeditionsleiter, weiß wie alle anderen um die Wichtigkeit des Unternehmens: Es ist die letzte Chance der Briten, die Erstbestiegung auf ihre Fahnen schreiben zu können - Franzosen und Schweizer scharren schon ungeduldig in den Löchern. Und außerdem: Am 2. Juni wird Elisabeth II zur Königin von England inthronisiert. Wäre es da nicht die Krönung der Krönung, ihr - und Großbritannien - den Everest zum Geschenk zu machen?

25. April 1953: 52 Männer - vorwiegend Sherpas - beginnen mit dem Lastentransport über den berüchtigten Khumbu-Eisfall, eine rund 700 m hohe Wand aus Eistürmen, Seracs und tiefen Spalten. Oberhalb des Eisbruchs öffnet sich das fünf Kilometer lange, flachere "Tal der Stille", das Gletscherfeld des Western Cwm (siehe Bild rechts, Georg Lowe 1953). Vor allem die Sherpas verrichten Schwerstarbeit, schleppen Tonnen von Ausrüstung unter Lebensgefahr von Lager zu Lager ...
Unter ihnen auch Sherpa Tenzing Norgay, als Junge Hirte einer Yak-Herde. Seine Mutter deutete häufig auf den Everest und nannte ihn "Lhochamalung": "Der-Berg-der-so-hoch-ist-dass-kein-Vogel-drüber-fliegen-kann". Unaufhaltsam wuchs in Tenzing der Traum als erster Sherpa nicht nur Helfer der "Sahibs" zu sein, sondern eines Tages selbst am Gipfel des Everest zu stehen. Erfahrungen sammelte er als Träger für britische und Schweizer Expeditionen. Was ihn so beliebt machte, meint beim Gipfeltreffen Tashi Tenzing, sei sein gewinnendes, offenes Lächeln gewesen, das erst 1986 für immer erlischt.

Die Sherpa sind ein Volk, das urprünglich im Osten Tibets siedelte, ehe es sich vor etwa 500 Jahren südlich des Everest im Khumbu-Tal niederließ. Als China 1951 Tibet besetzte und die Handelswege der Bauern und Hirten abschnitt, sahen die Sherpas in den Berg-Expeditonen eine willkommene Alternative zu den verlorenen gegangenen Einnahmequellen. Die Geschichtsschreiber übersehen gerne, dass es die Sherpas waren, die die schwersten Lasten getragen und den geringsten Ruhm geerntet haben.

7. Mai 1953, 6.400 m: John Hunt versammelt alle Bergsteiger in seinem Zelt, um bekannt zu geben, wer den Gipfel versuchen darf und wer sich damit begnügen muss, die Route vorzubereiten und den Nachschub zu besorgen. Charles Evans, 34, und Tom Bourdillon, 28, stellen jene Gipfeltruppe, die vom Südsattel aus als erste in Richtung Gipfel starten wird. Sollten sie es nicht schaffen, sieht Hunts Plan den Aufbruch eines zweiten Gipfelteams vor: Tenzing Norgay und Edmund Hillary. Hillary, ein 33-jähriger neuseeländischer Imker und 1,92 m großer Hüne, lässt sich am besten mit dessen eigenen Worten charakterisieren: "Seit ich als Erster auf dem Gipfel stand, haben die Medien mich als Helden behandelt. Ich selbst halte mich für einen Menschen mit durchschnittlichen Fähigkeiten. Was ich erreicht habe, verdanke ich meiner lebhaften Fantasie und meiner großen Ausdauer".
Hillary, der konditionsstarke, ehrgeizige Hüne ergänzt sich mit dem erfahrenen und umsichtigen Tenzing zu einem perfekten Gipfelteam.


Edmund Hillary führt Sherpas in das Western Cwm. Hinter ihnen der Lhotse. Foto: George Lowe 1953

Everest Gipfeltreffen, April 2003: Hillary sei zweifellos zufällig zur richtigen Zeit mit den richtigen Wegbegleitern am richtigen Ort gewesen. Der Erstbesteiger hätte auch Mallory, Evans oder Bruce heißen können, so ein Grundtenor des Meetings. Reinhold Messner unterstreicht, dass Hillary und Norgay gleichsam über die Schultern ihrer gescheiterten Wegbereiter hinweg auf den Gipfel gestiegen seien, sie also ihren Erfolg eigentlich der Erfolglosigkeit vorangegangener Expeditionen zu verdanken gehabt hätten. Diese Tatsache sieht auch George Mallory selbst voraus: "Wir haben den Weg zum Gipfel für jeden geebnet, der das höchste der Abenteuer wagen möchte", meint er 1921 nach dem ersten gescheiterten Everest-Versuch einer britischen Expedition in den Himalaya.

1922: Bei einem weiteren Versuch von Mallory fordert der Everest die ersten Opfer: Sieben Sherpas werden durch eine Lawine getötet. Mallory, E.F. Norton und T.H. Sommervell gelangen bis in eine Höhe von 8169 m, George I. Finch und Geoffrey Bruce schieben den Höhenrekord anderntags auf 8326 m.

1924: Im Rahmen einer dritten britischen Expedition steigen George Mallory und Andrew Irvine am 8. Juni in Richtung Gipfel und kehren nicht mehr zurück. "Sie sind jene Geister, die in der Phantasie der Menschheit noch immer gen Gipfel steigen", so Messner fast 80 Jahre später, da bis heute ungewiss ist, ob sie den Gipfel erreicht haben oder nicht. 1999 wird zwar auf 8170 Metern Höhe die Leiche Mallorys gefunden, aber keine Gewissheit.

1951: Eric Shipton findet eine Route vom Westkar über den Südsattel zum Gipfelgrat.

1952: Im Rahmen einer Schweizer Expedition gelangt Tensing Norgay mit dem Genfer Raymond Lambert über den Südsattel in eine Höhe von etwa 8500 m.

Der Weg

26. Mai 1953, Lager VIII, 7900 m:
Als den "kältesten und einsamsten Platz der Welt", bezeichnet Tenzing Norgay den Südsattel zwischen Everest und Lhotse, "Todeszone" nennen die Wissenschafler Höhenlagen über 7500 m. Der Sauerstoffgehalt der Luft ist auf ein Drittel ihrer normalen Dichte zusammengeschrumpft. Der Organismus baut kontinuierlich ab, jede Bewegung kostet Kraft, klares Denken ist kaum mehr möglich.
Und noch liegen die härtesten 950 Meter vor den Bergsteigern.
Charles Evens und Tom Bourdillon starten vom Südsattel zum Gipfel.
Tenzing und Hillary warten etwas tiefer in gespannter Ruhe auf ihre Stunde. "Unablässig fegte der Sturm von Westen kommend, heulend und kreischend über uns hinweg, mit solcher Gewalt, dass die Leinwand unseres Pyramidenzelts knatterte wie Gewehrsalven. Ich hatte das Gefühl, an meinem Gehirn sei ein Pressluftbohrer angesetzt", schildert Hillary seine Empfindungen, als er neben Tensing im Zelt liegt. "Ein Gefühl äußerster Angst und Einsamkeit überkam mich. Was für einen Sinn hatte das alles? Man musste doch verrückt sein, um sich etwas anzutun."

Nachdem 1953 der Gipfel erreicht war, bestand die Herausforderung des Bergsteigens nunmehr darin, neue Routen zu erschließen, bislang als unbesteigbar geltende Wände und Grate, den Everest von allen Seiten her zu bewältigen.

1960: Zwei Chinesen und einem Tibeter gelingt erstmals die Überwindung des Everest-Nordgrates.

1963: Die Amerikaner Willi Unsoeld und Tom Hornbein schaffen die erste Überschreitung des Everest.

1980: Zwei Japaner bezwingen die Nordwand.

1983: Ein amerikanisches Team durchsteigt unter Verwendung von Raketenwerfern und Motorwinden den fast senkrechten Fels der Ostwand.

Heute führen etwa 15 verschiedene Routen auf den Gipfel.

Der Stil

Charles Ewens und Tom Bourdillon erschöpft bei ihrer Rückkunft. Foto: Alfred Gregory 195328. Mai 1953: Hillary und Tenzing brechen, unterstützt von George Lowe und Alf Gregory, von Lager VII (7300 m) zum Südostgrat auf, um dort Lager IX zu errichten. Am Südsattel kommen ihnen Evens und Bourdillon entgegen (Bild links: Evans und Bourdillon erschöpft nach ihrer Rückkehr zum Südsattel). Sie seien bis auf 8751 m gekommen, auf den Südgipfel, erzählen sie atemlos, das Ziel zum Greifen nahe, nur mehr 100 Höhenmeter und 350 Meter Luftlinie vom Hauptgipfel entfernt. Ein defektes Sauerstoffgerät habe ein Weitergehen verhindert. Bourdillon, der ungeachtet des Risikos weitersteigen will, wird von Evans zurückgehalten: "Wenn du weitermachst, Tom", sagte er, "wirst du Jennifer [Bourdillons Frau, Anm.] nie wiedersehen". Nun lag es an Team 2, Hillary und Tenzing, die letzten Schritte auf den höchsten Punkt der Erde zu tun.

Als die meistern Routen begangen, die Grate und Wände sozusagen "entjungfert" waren, suchten sich die Alpinisten eine neue Herausforderung: die Optimierung des Stils. Und es waren vor allem Messner und Habeler, die eine Abkehr von der aufwändigen Belagerung des Berges durch Hundertschaften von Trägern und Alpinisten forderten und den schnellen, wendigen und kostengünstigen "alpinen Stil" präferierten. "Nur der Berg und ich", den Gipfel "by fair means" - mit fairen Methoden - erreichen, heißt die Maxime der folgenden Jahre. Es beginnt aber auch die Zeit der mitunter skurril anmutenden Jagd nach Rekorden.

1975: Als erste Frau steht die Japanerin Junko Tabei am Gipfel.

1978: Reinhold Messner und Peter Habeler schaffen die erste Besteigung im sog. "alpinen Stil": d. h. ohne Sauerstoff, Träger, mit minimalem Aufwand. "Den einsamen Sieg", nannte Habeler das Gefühl, "das Unmögliche" geschafft zu haben.

1980: Erste Winterbesteigung durch ein polnisches Team.

1980: Messner erreicht den Gipfel allein und ohne Sauerstoff über die Nordseite. "Als ginge es um die explizite Möglichkeit umzukommen. Drei Tage lang steige ich gegen das Sterben an", erzählt er 2003.

1996: Die wohl reinste Ausprägung des fairen "alpinen" Stils liefert der Schwede Göran Kropp, der mit dem Fahrrad aus Schweden bis an den Fuß des Everest strampelt, bis zum Gipfel steigt und wieder heimradelt.

2000: Der Slowene Davo Karnicar fährt den Everest erstmals auf Skiern, der Franzose Marco Siffredi per Snowboard ab (was im Jahr darauf der Österreicher Stefan Gatt wiederholt), das französische Ehepaar Roche segelt per Tandem-Paraglider vom Gipfel ins Tal.

Dem beinamputierten Tom Whittaker gelingt 1998, dem Blinden Erik Weihenmayer 2001 die Gipfelbesteigung.
Am längsten, nämlich 21 Stunden, verharrt Babu Chhiri Sherpa 1999 am Gipfel.
Hans Kammerlander schafft den Everest in den schnellsten 16.45 Stunden.
Der 15 Jahre junge Temba Tseri steht 2001 als jüngster, ein Jahr später der 66-jährige Italiener Mario Curnis als der älteste Mensch auf 8850 m.
12 Mal schafft es Apa Sherpa bis ganz hinauf, so oft wie keiner.

Bilder: Royal Geographical Society
Venables Everest

Stephen Vendables: EVEREST
Die Geschichte seiner Erkundung

2003, Frederking & Thaler, 252 Seiten

Dieser Bildband feiert das 50-jährige Jubiläum der Erstbesteigung des Everest in besonderer Opulenz: Aus mehr als 20.000 Dokumenten der Royal Geographical Society wurden über 400 zum Teil bislang unveröffentlichte Bilder exklusiv für diesen Band ausgewählt, die Crème de la Crème des Alpinismus wie Hillary, Messner, Tashi Tenzing lieferte eindrucksvolle Beiträge ...

Teil I: Der Mythos - Der Gipfel - Der WegTeil II: 29. Mai '53 - Triumphe - Tragödien

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