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Von der Magie des Unbekannten
Sven Hedin zum 150. Geburtstag

Von Uli Auffermann

Fernreisen, Trekking, Tibet – der Stoff, aus die Globetrotter-Träume sind! Auf den Spuren der großen Forscher und Entdecker. Männer, die auszogen, um Neues zu suchen und das totale Abenteuer fanden. Die alles wagten für das ganz starke Erlebnis. Einer von ihnen: der Schwede Sven Hedin!

Sven HedinSchon in jungen Jahren war klar, dass er Entdeckungsreisender werden wollte. Geographie und Kartographie faszinierten ihn über alle Maßen. Das Unerforschte vom Globus verschwinden zu lassen wurde zur Herausforderung, zum Ziel, zur Verheißung. 30 Jahre lang reiste er, allein zwölf Mal überquerte er den Himalaya. In vier Expeditionen entdeckte er den Transhimalaya (das Hedingebirge – nach ihm benannt), stieß als Erster in die Quellgebiete von Brahmaputra und Indus vor. Seine wissenschaftlichen Aufzeichnungen darüber und seine kartographischen Erfassungen waren von unschätzbarem Wert und brachten ihm schon zu Lebzeiten großen Ruhm ein. Mehr noch aber wirkten die Abenteuer, die er zu überstehen hatte. Hunger und Durst, Stürme und Kälte kennzeichneten oftmals seine riskanten Expeditionen. Nicht selten war der Grat zwischen Leben und Tod sehr schmal. Hedin investierte viel – und gewann noch mehr: tiefe Einsichten und großen Weitblick. Unermüdlich dokumentierte er alles, schrieb und schrieb. Und als er begann, seine Erlebnisse auch in populärwissenschaftlichen Aufzeichnungen zu veröffentlichen, stieg seine inspirierende Anziehungskraft auf all jene an, die wie er aufbrechen wollten, um zu entdecken, um zu erleben. "Meine Sehnsucht nach allem Neuen, Fremden war genährt worden, ich wollte weiße Flecken auf der Landkarte suchen und erforschen", definierte beispielsweise der Kärntner Heinrich Harrer seinen eigenen Lebensentwurf. Ja, richtig, Heinrich Harrer, einer der Erstbegeher der Eiger-Nordwand. Seine Jahre in Asien am Hofe des Dalai Lama wurden sogar verfilmt, mit Brad Pitt in der Hauptrolle. Für Harrer war Sven Hedin Orientierung. Auch für ihn rückte der asiatische Kontinent in den Mittelpunkt des Denkens und Fühlens. Mit einer forschenden Grundhaltung zog auch er los, durchquerte die unendlichen Weiten, passierte Übergänge, stieg in die Höhe, erklomm Berge. "Ich hatte zum ersten Mal durch die Bücher Sven Hedins von dem fernen Gebirgsmassiv in Tibet und Nepal erfahren. (...) Hedin war mein Vorbild, und als er einmal in unserer Nähe einen Vortrag hielt, erbat ich mir ein Autogramm, das einzige, das ich mir je beschaffte", schrieb Harrer in seinen Erinnerungen. Später begegneten sich die beiden, führten rege Briefwechsel. Hedin sah durch Harrers Unternehmungen seine eigenen Träume verwirklicht, war von ihm begeistert.

Auf den Spuren von Sven Hedin

Überhaupt scheint es ein Entdecker- und Abenteurer-Virus zu geben, mit dem sich so mancher ansteckt. Verbreitet wird es durch Schriften und Bilder, durch Vorträge und Kontakte. Letztere kommen bei Gleichgesinnten früher oder später immer zustande. Man lernt sich kennen, tauscht sich aus, inspiriert sich gegenseitig. Auch damals, zu Zeiten Sven Hedins. Sein Einfluss auf die Epigonen war groß. Neben Heinrich Harrer waren es vor allem der österreichische Landsmann Herbert Tichy und der Deutsche Willi Rickmer Rickmers. Rickmers, ein Bergsteiger, Weltenbummler und Asienforscher, galt als großer Fan Hedins und folgte seinen Spuren. Über Hedin findet sich in seinen Aufzeichnungen: "Es ist schier unglaublich, woher dieser Mensch die Kraft und die Kunst zu seiner vielseitigen Tätigkeit bezog. Außer den Ansprüchen der Wissenschaft vermochte er auch denen der Familie und Gesellschaft mehr als gerecht zu werden. Er gehört zu den Wundererscheinungen der Geisteswelt." Für Herbert Tichy, den Abenteuerreisenden und Erstbesteiger eines Achttausenders (Cho Oyu 8201 m), war Sven Hedin ebenso Vorbild. Tichys Reisen und sein Drang loszuziehen waren wohl immer davon geprägt, dem Korsett des Alltags zu entfliehen, das so wenig Selbsterfahrung ermöglichte. Je weiter Tichy wegkam, je abgelegener die Gebirge, die er durchstreifte, je unbekannter die Lebensweise der jeweiligen Bevölkerung, desto mehr schien er sich selbst begegnen zu können und Einsichten ins eigene Ich zu erlangen. So sah er auch rückblickend das, was er von Asien gelernt hatte und speziell, was der Himalaya in ihm hinterließ, als etwas Transzendentales, etwas ... ja Religiöses.

Jenseits touristischer Schablonen

Herbert Tichy zählte Sven Hedin zu seinen väterlichen Förderern, weil Hedin ihm beispielsweise ein freundliches Vorwort zu seinem ersten Buch schrieb. In diesem Werk ging es um Tichys Wanderung zum Kailash. Der heilige Berg der Tibeter liegt in einem Gebiet, das noch vor wenigen Jahren zu den unzugänglichsten unserer Erde gehörte. Sven Hedin war der erste Europäer, der in die Kailash-Region gelangte. Er bezeichnete den heiligen Berg und seine Umgebung als die "harmonischste Landschaft der Welt". Heute ist der Kailash – begünstigt nicht zuletzt durch eine mittlerweile einfachere Erreichbarkeit – zu einem der Topp-Trekkingziele überhaupt geworden. Die Schönheit und die spirituelle Intensität des Ortes ziehen Trekkingbegeisterte aus aller Welt an. In gewissem Sinne kann man sich also noch immer aufmachen und den Spuren Sven Hedins folgen. Spuren, die nicht nur zu den aufregendsten Landschaften dieser Erde führen, sondern voller Enthusiasmus zur Entdeckungsreise in die Natur und zur eigenen Wahrnehmung anleiten – jenseits vorgefertigter touristischer Schablonen.

Sven Hedin

Schwedischer Forschungsreisender, Asienforscher, Kartograph und Schriftsteller, geboren am 19. Februar 1865 in Stockholm, gestorben am 26. November 1952 in Stockholm. 1885/86 unternahm Sven Hedin seine erste Asienreise; Ziele waren u. a. Baku, Kaspisches Meer, Elbrus-Gebirge, Bagdad und Teheran sowie der Kaukasus. Fortan sollten ausgedehnte Reisen, u. a. 1890/91 mit den Zielen Elbrus-Gebirge und Seidenstraße, und mehrere große Expeditionen folgen. So war er von 1893 bis 1897 im Pamir, in der Wüste Taklamakan und in Nord-Tibet unterwegs. 1899 bis 1902 erkundete Hedin Zentralasien, Tibet und Indien. Von 1905 bis 1909 bereiste er Persiens Wüsten, das westliche Hochland von Tibet, den Transhimalaya und die Kailash-Region, dazu die Quellgebiete von Indus und Brahmaputra. Und von 1926 bis 1935 leitete Hedin die internationale Chinesisch-Schwedische Expedition, die die meteorologischen, topographischen und prähistorischen Gegebenheiten in der Mongolei, der Wüste Gobi und Xinjiang untersuchte.
Sven Hedin verfasste zahlreiche Artikel und etliche Bücher, die in 28 Sprachen übersetzt wurden. Seine präzisen und umfangreichen Kartenwerke gaben viele neue Einblicke in unbekannte Gebiete und machten ihn weltberühmt. Als sich Hedin mit zunehmender Popularität auch zu politischen Themen äußerte und dabei u. a. seine Sympathie für den nationalsozialistischen Aufstieg in Deutschland bekundete, wurde er immer umstrittener und verlor viel an wissenschaftlichem Renommee.
Hedin verstand es, mitreißend zu schreiben. Seine Reiseberichte lösten bei vielen Lesern Fernweh und geradezu eine Asienbegeisterung aus. Eine kleine Auswahl seiner Schriften: "Durch Asiens Wüsten" (1899), "Abenteuer in Tibet" (1904), "Von Pol zu Pol" (1911–1912, drei Bände), "Mount Everest" (1923), "Mein Leben als Entdecker" (1926), "Rätsel der Gobi" (1931), "Die Seidenstraße" (1936).

The Sven Hedin Project
Finanziert von der "National Geographic Society" will sich das Projekt auf die Spuren von Sven Hedin begeben, anhand von Fotografien, Karten und Tagebüchern seine Wege verfolgen und die Reisen digital festhalten. Hedins Fotografien sind zum Teil über 100 Jahre alt, und so geht man daran, jene Landschaften und Orte noch einmal abzulichten, um die Veränderungen zu dokumentieren. Fünf Expeditionen sind vorgesehen (u.a. 2013 Iran und 2015 Pamir und Muztagh Ata).
Infos dazu unter: www.svenhedin.com

Der Kailash (6.638 m)
Der heilige Berg der Tibeter steht im westlichen Transhimalaya. Auffallend ist seine Gipfelpyramide, die dauerhaft mit Schnee bedeckt ist. Bis vor kurzem galt die Region als eine der unerschlossensten überhaupt. Wegen seiner religiösen Bedeutung ist der Kailash bis heute unbestiegen. Seit der touristischen Öffnung Chinas gibt es eine zunehmende Zahl an Touristen im Kailash-Gebiet, was bereits zu Umweltproblemen führte.

Text: Uli Auffermann, www.uliauffermann.de, www.anderlheckmair.de
Bild: The Sven Hedin Project, www.svenhedin.com

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