Die
hier geschilderte Expedition wurde von der Ruefa (vormals Verkehrsbüro) organisiert und zwar in vorzüglicher,
äußerst zufrieden stellender Weise (Kontakt: bernhard.letz@ruefa.at).
Am Berg waren wir uns selbst überlassen, mussten Logistik, Route,
Aufstiegstempo etc. selbst bestimmen, ab Lager 2 auch selbst versorgen.
Nachdem
wir abends zuvor ankamen, von den Lagerverantwortlichen Gari, Sascha
& Co freundlichst willkommen geheißen wurden, unsere Zelte
bezogen, ein formitables Abendessen in einer Super–Jurte genossen und
gut schliefen, heißt es heute ausruhen und akklimatisieren. Ernüchternd
die Nachricht, dass heuer aufgrund einer Schlechtwetterperiode erst
vier Bergsteiger auf dem Gipfel standen und ein Slowene sage und schreibe
14 Tage lang in Lager 1 ausharrte, um durch ein Schönwetterloch
auf den Gipfel zu starten – vergebens. Das Wetter wird – das wissen
wir – DAS Kriterium dieser Expedition.
Herrliches
Wetter heute – wir genießen die Farbenfülle um uns, das Azurblau
des Himmels, das Rot des Sandsteins, das Braun–Grün des wüstenartigen,
weiten Alai–Tales im Norden, das blendende Weiß des gewaltigen
"Pik der 19. Parteiversammlung" (welch ein romantischer Name
...), eines Torwächters des Alai–Kammes.
Wir
fühlen uns auf Anhieb wohl im Basislager, das mit Dusche, WCs,
frischem Quellwasser, Musik, einer Bar und reichlich guter Stimmung
ausgerüstet ist.
Um
uns "aufzuwärmen", wandern wir durch ein blumen–, murmeltier–
und zwiebelreiches Tal hinauf auf den "Pass der Reisenden"
(4.060m), überklettern einen brüchigen Grat zurück zum
Base und sanieren uns in einem eiskalten Fluss.
Einige
unserer Gruppe fühlen sich schon jetzt schlecht, werden sogar mit
Verdacht auf Lungen–Ödem ins Krankenhaus von Osch gebracht.
Wie gut, dass ich vorher die Höhenluft der Zillertaler geschnuppert
habe! Das hilft, um zumindest diese ersten wichtigen Tage zu überstehen.
2.
Tag
Basislager
– Lager 1 (4.280 m) – Basislager
Erste
Annäherung an den Berg. Mit vollem Rucksack steuern wir über
die Zwiebelwiese dem Pass der Reisenden zu, keuchen ihn
zum 2. Mal hinauf, steigen auf der anderen Seite über den konglomeratartigen
Hang wieder ab – Vorsicht Steinschlag! –, überqueren einen Bach
und trotten ewig lange über einen aperen, spaltenlosen Gletscher,
bis wir nach 3 1/2 Stunden (580 Hm) Lager 1 auf der Mittelmoräne
des Lenin–Gletschers erreichen. Ein erster, sehnsuchtsvoller
Blick auf die Nordflanke des Pik Lenin, auf die Lipkin–Felsen,
den Himmel, schnell bauen wir ein Zelt auf, verstauen das Gepäck
darin und kehren ins Basislager zurück.
3.
Tag
Basislager
– Lager 1
Endgültige Übersiedlung ins Lager 1. Die Rucksäcke mit dem Rest unserer
Ausrüstung scheinen noch schwerer als die des vorigen Tages, Irmgard,
meine Seilgefährtin, trägt sogar Seesack und Rucksack
übereinander! In ihr habe ich eine zähe Partnerin mit 8000er–Erfahrung
gefunden. Zudem klettert sie famos, ernährt sich ausschließlich
von Grünzeug und Nutella, verabscheut Alkohol. Der Pass der Reisenden
wird zum Pass der Qualen, nach 4 1/2 Stunden haben wir die 580
Höhenmeter überwunden. Timmi, der russische Koch, erwartet
uns mit einem herrlichen Abendessen im Gemeinschaftszelt unserer Gruppe.
Die Benutzung des WC–Zeltes verlangt mehr technisches Können als
der ganze Berg, wir suchen uns schöne Felsen ... Die
Abenddämmerung vergoldet unseren Traumberg. Die Nacht wird insofern
spannend, als das Eis unter uns knarrt und kracht und wir nicht wissen,
ob wir am nächsten Morgen noch dort aufwachen, wo wir am Abend
zuvor eingeschlafen sind.
4.
Tag
Ruhetag
in Lager 1
Bei
wolkenlosem Wetter dösen wir durch den Tag, träumen von Lager
2, scherzen, essen uns Energie an, Klaus leidet an Durchfall, tut aber
nichts dagegen, säuft weiter sein Bier, was sich rächen wird;
abends ein jäher Wetterumschwung – Schnee, Kälte, Finsternis.
5.
Tag
Versuch
Lager 2
Was
für ein Morgen! Der nächtliche Schneefall hat die Umgebung in
eine glitzernde Märchenlandschaft verwandelt. Wolkenloser Himmel
über einem Meer aus Kristallen. Doch der Schein trügt. Hochmotiviert
packen wir den ersten Teil unseres Equipments und stapfen hoch, Lager
2 entgegen. Zunächst eine Stunde lang flach durch einen Gletscherkessel,
dann über eine Steilstufe ("russisches" Fixseil!) hoch,
auf einer Alu–Leiter über eine ordentliche Gletscherspalte balanciert,
dann ein stundenlanges Dahintrotten bei brütender Hitze. Nach 5 3/4
Stunden ziehen Graupelwolken auf, mein Pickel beginnt zu knistern und
Funken zu sprühen, "Metall weg!", schreie ich Irmgard zu,
und schon fliegen Pickel, Schlosserei etc. durch die Gegend, in einen
Biwaksack gehüllt und auf einem Rucksack hockend warten wir das Ende
des Graupelschauers ab, vergraben dann unser Zeugs, markieren das Depot
mit einer Lawinenschaufel und suchen fluchtartig das Weite.
6.
Tag
Lager
1
Wie
zum Hohn lacht uns den ganzen Tag über die Sonne an. Aber wir haben
nunmal beschlossen, die Strapazen des gestrigen Tages zu verdauen, machen
das Beste draus, kochen uns manches Schmankerl, lassen uns von Timmi
verwöhnen, trotzdem berste ich vor Ungeduld, möchte hoch,
möchte weiter, bereue es, diesen Tag nicht genützt zu haben.
Sigfried
erholt sich nicht und nicht von seinem Kopfweh, seine Lungen rasseln
bei jedem Atemzug – Lungenödem? – wir organisieren ein Muli,
um ihn schnellstmöglich ins Basislager zu schaffen.
Abends
schneit und donnert es, die Luft ist so elektrisiert, dass die Metallstangen
unserer Zelte Funken spucken – Kino a la Pamir.
7.
Tag
Lager
1
Wir
sitzen fest. Gewitter, Graupelregen, Kälte. Der Slowene, der
14 Tage hier auf Schönwetter wartete, kommt uns drohend in den Sinn.
Da gerät man ins Grübeln, was man Anderes machen könnte,
statt hier in einem engen Zelt zu frieren – fischen zum Beispiel in der
Salza, schwimmen im Erlaufsee oder durch die Schladminger wandern. Aber
nein, man lässt sich hier im tiefsten Kirgistan auf 4000m Seehöhe
lieber zuschneien, schlottert und klappert mit den Zähnen und zahlt
sogar einen Haufen Geld dafür... der Sprung in meiner Schüssel
schmerzt.
8.
Tag
Lager
1 – Lager 2 (5.300 m)
Endlich!
Wir schultern unsere 25–Kilo–Last und marschieren auf Teufel komm'
raus los. Das Wetter scheint heute zu halten, als wir zu unserem Depot
kommen, finden wir – nichts. Wie vom Erdboden verschluckt – die Lawinenschaufel,
ein riesiger Seesack voller High Tech–Kleidung, Kocher, Nahrungsmittel
etc. – weg, weg, weg! Verzweifelt suchen wir weiter, die Sonne brennt
herab, das Wasser geht uns aus, erschöpft geben wir nach 3 Stunden
auf und ziehen bedrückt weiter. Nach einer Netto–Gehzeit von rund
7 Stunden und 1000 Höhenmetern queren wir einen lawinengefährlichen
Hang (Katastrophe 1990, 49 Tote!) und kommen halb verdurstet in Lager
2 an. Wir wissen, wenn wir unser Depot am nächsten Tag nicht finden,
können wir den Pik Lenin vergessen. Da wir nun weder über
Kocher noch Nahrungsmittel verfügen, machen wir uns auf eine durchhungerte
und durstige Nacht gefasst, wir können ja in dieser Höhe von
niemandem verlangen, dass er uns versorgt – da öffnet sich ein
Zelt, ein dampfender Kessel kommt zum Vorschein, ein vermummtes Gesicht,
"Thomas, Irmgard! Come to trink!". Ein Mensch, der ohne gefragt
zu werden, hilft. Eines der schönsten Erlebnisse meiner Bergkarrriere.
Dieser wundervolle Mensch heißt Sulja, eine russische Bergführerin;
sie wird im Verlauf der Tour noch eine wichtige Rolle für mich
spielen. Da
dieses Lager in einer geneigten Spaltenzone liegt, haut´s Klaus
gleich in das nächstbeste Loch vor seinem Zelt, seine "Dünne"
wird davon auch nicht besser. Ansonsten gibt es zwar Wasser aus einer
sog. "Quelle", doch die wird von einem unter dem Lager
verlaufenden Rinnsal gespeist, also gut abkochen!
9.
Tag
Suche
nach dem Depot
Wir
wissen, wir MÜSSEN unseren Seesack finden, sonst können
wir die Expedition aufgeben und nach Hause fahren. Klaus und Robert
helfen uns bei der Suche. Mit Stöcken sondieren wir das Gelände,
suchen wie nach Lawinenopfern jeden Zentimeter ab. Nichts. Immer weiter
ziehen wir die Kreise. Nichts. Zum ersten Mal schwant uns das Unmögliche:
gestohlen. Die ersten unbeherrschten Wutausbrüche. Ich fasse es
nicht, Irmgard will und kann nicht mehr, ihr Kopf dröhnt, auch
Klaus und Robert geben auf. Ich nicht. Lasse mich nicht von einem Seesack
schlagen. Ich bitte Irmgard, mich zu sichern, ich will nochmals jeden
Fingerbreit im Umkreis von 50 Metern absuchen, egal, wie lange ich dafür
brauche. Da erkenne ich weiter weg eine Fußspur, mehr eine Andeutung,
eine runde Kante, dann noch eine, noch eine, da kapiere ich: der Schneesturm
muss unsere Aufstiegsspur vollkommen zugeweht, die ersten Tourengeher
nach diesem Wetter eine neue Spur gelegt und wir die falsche Spur abgesucht
haben. Ich gehe den Konturen der Abdrücke nach, stochere wie besessen
im Schnee herum, da – etwas Weiches – etwas Grünes – unser Seesack!
Wir freuen uns wie die Schneehasen, schreien, umarmen uns – so außer
mir war ich bisher auf keinem Gipfel. Dennoch bleibt ein bitterer Beigeschmack: Gestohlen wurde uns dennoch etwas, nämlich die Lawinenschaufel,
eine Gore Tex–Jacke und eine Fleece–Hose. Ernüchternd für
jemanden wie mich, der glaubte, unter Bergsteigern geschähe so
etwas nicht.
Zur
Feier des Tages lade ich Sulja auf Tee und Schoko–Riegel ein, wieder
ein Schneehase, der sich freut.
Graupelschauer
am Abend verheißen nichts Gutes.
10.Tag
Lager
2 – Pik Razdelnaja, 6.148 m – Lager 3 (6.100 m)
Von
wegen! Herrliches Wetter! Irmgard fühlt sich nicht gut, will ins
Base absteigen. Im Gegensatz zu ihr, die 4 Wochen gebucht hat, bleiben
mir nur mehr 9 Tage für den Gipfel. Das heißt: ein Versuch,
eine Chance. Nachdem ich mich ausgezeichnet fühle und vor Tagendrang
berste, möchte ich weiter zu Lager 3.
Mit
Heimo, einem Mixnitzer Fossil (60 Jahre!), Sulja, die von ihm als Bergführerin
angeheuert wurde, Klaus und Robert überwinden wir zunächst
einen steilen Hang, eine anschließende Ebene und kämpfen
uns dann durch knietiefen Schnee den Nordrücken zum Pik Razdelnaja hoch (6.148m), das schwere Gepäck, die dünne Luft – wir überschreiten
unsere Grenzen mehrmals. An sich gäbe ich mich mit diesem Gipfel
schon zufrieden, mein erster 6.000er, was will ich mehr! Die letzten
Meter zum Lager 3 verbrauchen unsere letzten Energien. Der Zeltaufbau,
die Schneeschmelzerei – alles verläuft zäh, unendlich langsam,
unkoordiniert, jeder Handgriff muss eigens durchdacht, ja neu erlernt
werden – charakteristisch für diese Höhe, wo das Blut verdickt
und das Gehirn zu wenig Sauerstoff abbekommt. Zu guter Letzt muss ich
noch kochen, auch für Heimo, der sich vollends auf die Hilfe anderer
verlässt. Auch eine Methode. Ich tue es gern für diesen netten
Kerl, habe noch genug Sprit über.
Die
Nacht wird zur Hölle. Da der Zeltplatz genau in einer Windschneise
zu liegen scheint, tobt sich der Orkan justament an unseren Zelten
aus – wir haben in wörtlichem Sinne alle Hände damit zu tun,
die Planen von uns wegzudrücken, damit wir nicht unter ihnen begraben
werden. An Schlaf ist nicht zu denken. Der Gipfel rückt in weite
Ferne ...
10.
Tag
Lager
3 – Pik Lenin, 7.134 m
Wie
gesagt, so leicht gebe ich mich nicht geschlagen. Um 6 Uhr früh
klopft Sulja an unser Zelt – "Heimo, come on, to the summit!".
Ich frage sie, ob ich mich ihr anschließen könne, denn Klaus
muss wegen Durchfalls passen und Robert hat auf Anraten eines Besserwissers
die Steigeisen in Lager 2 gelassen (ein Fehler, der ihm den Gipfel kostet),
ich würde also alleine gehen müssen – zu riskant bei diesen
Wetterverhältnissen.
Bei
leichtem Wind, aber sonst sichtigem Wetter starten wir um 7 Uhr. Nach
den ersten 20 Schritten glaube ich erschöpft aufgeben zu müssen,
habe kein Gefühl in den Beinen, keine Kraft, probiere noch ein
paar Schritte, finde einen geeigneten Rhythmus – ein Schritt, drei Schnaufer
– und überwinde so bald meine Müdigkeit. Nach dem Hang geht
es endlos über eine Ebene, dann wieder hoch über einen Steilhang,
ein Eisfeld (Steigeisen!), bei 7.000m bleibt Heimo stehen, zündet
sich seine Pfeife an und meint: "Ein 7.000er ist mein Ziel gewesen,
den habe ich jetzt erreicht, Schluss, basta." Sulja will weiter,
den Gipfel für kommende Führungen erkunden, lädt mich
ein, mitzukommen, ich komme, wir bitten Heimo, auf uns zu warten, dann
ziehe hinter meiner Bergführerin her, langsam, langsam, auf und
ab, zermürbend die zahllosen Hügeln und Kuppen, die man alle
für den Gipfel halten will, "is this the summit?", "no,
no", lacht sie dann immer wieder und zieht weiter. Wir treffen
auf einen Amerikaner mit Bergführer, auch er will aufgeben, ich
ermuntere ihn, weiterzugehen, es könne nicht mehr weit sein, also
weiter, ein Schritt – fünf Schnaufer, ein Schritt – sechs Schnaufer,
"is this the summit?" – "no, no ...", Nebel zieht
auf, kalter Wind bläst uns Schnee ins Gesicht, "Is this the
summit?" – "yes, Thomas, yes! Here is the summit, wellcome
on the top of Pik Lenin!", schreit Sulja durch den Schneesturm
und umarmt mich. Ich nehme es denkunfähig zur Kenntnis, es sieht
hier aus wie auf der Rax und dort springe ich auch nicht herum wie ein
erregter Gamsbock. Auch der Amerikaner hat´s geschafft. Ein paar
Gipfelfotos, ein Stein für die Sammlung zu Hause und Abmarsch.
Beim
Abstieg verkrampft sich mein Magen – "Dehydration" diagnostiziere
ich, mein alter Fehler, glaube immer mit einer 1–Liter–Flasche auskommen
zu können. Unterwegs sammeln wir Heimo auf, der pfeifenrauchend
gewartet hat, geraten dann in dichtesten Nebel, in dem selbst Sulja
nicht genau weiter weiß, instinktiv findet sie jedoch den richtigen
Weg (gut, dass ich mit ihr gegangen bin!) und wir rutschen ab zu Lager
3.
Gesamtgehzeit:
11,5 Stunden, Höhenmeter: 1000. Klaus und Robert gratulieren uns,
ich trinke, was das Zeug hält, koche und esse bis spät in
die Nacht, in der uns wieder Genosse Äolos besucht und mir den
Schlaf raubt. Eine zweite schlaflose Nacht also, na wenn schon, ich
habe den Gipfel, muss nur mehr runter.
11.
Tag
Lager
3 – Lager 2 – Lager 1
Der
Sturm lässt heute nicht nach, in frostiger Kälte packen wir
unsere Sachen (auch Robert, der den Gipfel mit meinen Steigeisen probieren
wollte) und treten den Rückzug ins Lager 2 an. Dort will ich
bleiben, mich ausrasten, den Schneesturm abwarten, aber Heimo, dem es
elend schlecht geht, müsse ins Lager 1, er könne sich auf 5.000m
nicht erholen, und ich solle ihr helfen, ihn hinunterzuschaffen, bittet
mich Sulja. Auf diese Weise kann ich mich bei ihr für die gestrige
Führung bedanken (Geld hat sie abgelehnt). Wir nehmen Heimo zwischen
uns ans Seil, tatsächlich rutscht er mehr als er geht, fällt,
flucht, er ist völlig am Ende, reißt sich eine Hand auf bei
einem Sturz aufs Eis, wir sichern ihn über die Spalten. Als wir das
Schlimmste überstanden haben und das Lager 1 in greifbare Nähe
rückt, schütteln wir uns die Hand. Jetzt fasse ich erst richtig,
was wir geschafft haben, im Lager überschüttet uns Timmi mit
Kaffee und heißer Suppe, ein Festessen ...
12.
Tag
Lager
1 – Basislager
Heimo
erholt sich über Nacht, kann mit mir heute ins Base absteigen.
Und wir genießen es, schlendern plaudernd, schauend und fotografierend
bergab, über den aperen Gletscher, zum letzten Mal über den Pass der Reisenden, dort erwartet uns Siegfried, dessen Lungen
sich erholt haben, und geleitet uns zum Base, wo uns Geri, der Lagerkommandant
schon erwartet mit den schönsten Worten des Tages: "Wollt
ihr duschen?". Tatsächlich hat man eigens für uns Wasser
gewärmt für die luxuriöseste Dusche, die ich je erlebt
hate. Ich genieße sie unendlich.
Die
letzten 5 Tage verbringe ich im Base, vertreibe mir die Zeit mit Wanderungen
in die umliegenden Täler, mit Besuchen in manchen Jurten. Die Gastfreundlichkeit
und die mit Zufriedenheit gepaarte Anspruchslosigkeit der Nomaden beeindrucken.
Eine Kuh wird vor unseren Augen geschlachtet, mein Magen revoltiert,
vielleicht um mich für mein allzu rasantes Tempo zu bestrafen,
vielleicht aber auch für den übermäßigen Verzehr
von Rindsleber und Fladenbrot (eine Spezialität der kirgisischen
Bauern).
Klaus
wird seines chronischen Durchfalls wegen (als Andenken an diese Expedition
wird er eine Allergie gegen Bier und Milch nach Hause bringen) den Gipfel
ebensowenig schaffen wie Robert, der sich die Qual eines erneuten Anlaufes
ersparen will.
Wolfgang,
ein Vorarlberger, muss wegen eines Asthmaanfalls kurz vor dem Gipfel
aufgeben.
Die
zwei Deutschen, die wegen Lungenödemen im Krankenhaus behandelt
wurden, schaffen den Gipfel.
Und
Irmgard? Als sie zwei Wochen später von Lager 3 zum Gipfelsturm
ansetzt, wird ihr und allen anderen, die sich gerade am Berg befinden,
befohlen, ins Base zurückzukehren und abzureisen. Bis heute weiß
man nicht genau, was passiert war. Wahrscheinlich ein Scharmützel
zwischen Armee und muslimischen Rebellen.
Tipps
Vorbereitung:
Langlaufen, Joggen, Rad fahren, spätestens 2–3 Monate vor Reisebeginn
sollte das Training intensiviert werden. 2–3 3000er schützen
zumindest vor der dünnen Luft des Basis Lagers, die richtige
Höhenanpassung muss vor Ort stattfinden.
Die
KLM hat uns 30 kg Freigepäck zugestanden. Allerdings musste
jedes Kilo mehr teuerst bezahlt werden. Also aufpassen und in Bergstiefeln
und Anorak ins Flugzeug steigen! Am Inlandsflug Bishkek–Osch–Bishkek
gilt 20kg inklusive Handgepäck. Jedes Gramm wird in örtlicher
Währung verrechnet – ist aber sehr billig.
Träger
und Bergführer können zwar angeheuert werden, kosten
aber nicht wenig.
Eine
medizinische Versorgung gibt es kaum. Deswegen ist es ratsam,
für alle Eventualitäten selbst vorzusorgen.
Das
Essen in Basislager und Lager 1 ist bedenkenlos genießbar,
das Wasser in Base und L1 ebenfalls, das aus einer "Quelle"
sprudelnde Wasser in L 2 sollte ordentlich abgekocht werden, da
das Rinnsal unter dem Lager verläuft.
Ein
Besuch der umliegenden Jurten lohnt sich auf jeden Fall.
So lernt man zumindest ansatzweise die Bevölkerung kennen.
Nicht nur deren herzerwärmende Gastfreundlichkeit, auch die
Käse– und Milchspezialitäten beeindrucken. Ratsam, kleine
Geschenke wie Hygienemittel, Zigaretten, Feuerzeuge (keine Süßigkeiten!)
etc. mitzubringen.
Da
die Polizei hin und wieder das Base kontrolliert,
sollten Pass und Visum stets bereit und in Ordnung gehalten werden.
Vor
oder nach der Tour lohnt sich ein Besuch des Basars von Osch.
Köstlichkeiten, Gewürze, wohin das Auge blickt – ein Eldorado
für Feinschmecker.
Ansichtskarten
gibt es nur teuer im Base zu kaufen, eine Minute über
ein Satellitentelefon kostet 5 Dollar.
Schwierigkeiten
Kaum
technische Herausforderungen, es wird nicht mehr verlangt als auf
Mont Blanc oder Elbrus; das Hauptproblem liegt erstens in den verhältnismäßig weiten Distanzen zwischen
den Lagern:
BS
– L1: 4–8 Stunden
L1
– L2: 6 Stunden
L2
– L3: 5–8 Stunden
L3
– Gipfel – L3: 12–14 Stunden; zweitens in den schnellen
und meist gewaltig ausfallenden Wetterumschwüngen – auf einen lammfrommen Tag kann eine fürchterliche Nacht
mit orkanartigen Stürmen mit Schnee und Eiseskälte
folgen!
Ab
4000 Metern Gefahr von Höhenkrankheit
Temperaturen bis unter 30 Grad
Langer
und anstrengender Gipfeltag
Orientierungsprobleme
am Gipfelplateau bei Nebel und Sturm
Keine
medizinische Versorgung (trotz eines Arztes im Basecamp, der
aber außer Kohletabletten nichts zu bieten hat)
Einige
vereiste Steilaufschwünge verlangen sehr wohl Steigeisen,
also nicht zu Hause lassen!
Für
Kirgistan und Kasachstan muss je ein Visum beantragt werden
Übliche
Währung für Ausländer: US–Dollar; für Kleinigkeiten (Getränke im Base) lässt man sich 40 Dollar in die Ortswährung "Som" (1 Dollar = ca.
15 Som) wechseln
Beste
Besteigungszeit: Juli/August (Temperaturspanne: +40/–20°)
IMPFUNGEN:
Im Prinzip sind keine vorgeschrieben, aber der Schutz gegen
Im
Basislager gibt es reichlich Gasflaschen mit Adapter zum
Nachfüllen von Husch/Epigas–Kochern. Benzinkocher bewähren
sich ab Lager 2 (5.000m) nicht mehr (Ruß, hoher Benzinverbrauch,
im sturmgebeutelten Zelt zu gefährlich).
Geschichte
1928:
Erstbesteigung durch die Deutschen Karl Wien, Eugene Allwein
und Erwin Schneider
1974:
8 Mitglieder einer Frauenexpedition sterben in einem Sturm
1990:
Lawinenkatastrophe in Lager 2, ausgelöst durch ein Erdbeben:
49 Alpinist(inn)en kommen ums Leben
Wissen
Die
scheinbar großmundige Bezeichnung "Dach der Welt"
stammt von der Ansicht der Geografen, dass das Pamirgebirge, im Dreiländereck
China–Afghanistan–GUS gelegen, gleich einem Spinnenkörper den Mittelpunkt
der Kämme des Himalaja, Karakorum, Tien Shan und Kun Lun Shan bilde.
Unser Berg, der Pik Lenin, liegt an der Grenze zwischen Kirgistan
und Tadschikistan, gehört so eigentlich zur Transalai–Kette und wurde früher auch Pik Kaufmann genannt.
Alai
und Pamir sind wie Himalaja und Karakorum junge Faltengebirge, die nach
wie vor an Höhe gewinnen. Das Pamirgebirge besteht im Wesentlichen
aus 9 Gebirgsketten, die parallel zum Äquator verlaufen und zählt
nach Himalaja und Karakorum als das dritthöchste Gebirge der Welt.
Die höchste Erhebung des Pamir liegt mit dem Kongur (7.719m)
in China, auch der höchste Berg der GUS liegt im Pamir: der 7.495m
hohe Pik Kommunismus. Die Schneegrenze liegt um 1000m höher
als in den Alpen, 10.000m2 sind von Gletschern bedeckt, zu den Hauptgesteinsarten
zählen Sedimente und Konglomerate.
Kirgistan selbst ist ein gebirgiges und vor allem farbiges Land. 70 % liegen über
3.000m hoch, unendlich lange und breite Hochtäler weisen wüstenähnlichen
Charakter auf. Vor allem die Gegensätze der Landschaft machen den
unvergesslichen Reiz des jungen Staates aus: An einem Tag wähnt
man sich in der braunschwarzen Sierra Madre, am nächsten in der
Eiswelt des Mont Blanc–Massivs, dann im Schnee der Anapurna. Die Bevölkerung
setzt sich vor allem aus Bauern zusammen, kirgisische Nomaden ziehen wie vor Jahrtausenden mit ihren Jurten (zeltähnliche, aber
durchaus gemütliche und geräumige Behausungen) und Viehherden
durch die weitläufige, helle Landschaft.