Der Winter ist weder kalt noch grau noch abweisend. Im Gegenteil: seine sinnlichen Seiten regen die Phantasie an, weil sich zwischen Schneewiese und Zuckerwald spannende Geschichten abspielen.
In der Alpinpädagogik unterscheidet man zwei extreme Altersstufen: Das JÖ- und das NÖ-Alter. Der prä- bzw. mittendrin-pubertäre NÖ-Jährige verneint alles, was sich außerhalb seines Aktionsradius' zwischen Couch, Bett und Fernsehstuhl abspielt; was über das bloße Gehen mit Converse-Schuhen hinausreicht gilt als uncool; und im Familienverband durch die Botanik zu latschen ist ihm noch peinlicher als den Freunden dieses Geschreibe vorzulesen. Einen Teenager im NÖ-Alter könnte man bestenfalls mit der Aussicht auf einen Berg locken, dass irgendwo im schneeweißen Tann Bart Simpson oder Hannah Montana hockt und Audienz gewährt.
Ein Kind im JÖ-Alter hingegen lässt sich noch für jedes echte Abenteuer begeistern – selbst für eine Schneeschuhwanderung. Aber Vorsicht! Gerade in diesem Stadium können Fehler begangen werden, die zielpunktgenau ins NÖrwana führen. Damit genau das nicht passiert, gilt es für uns Erwachsene, eine Wintertour mit Kindern nicht als Sport, sondern als sinnliches Erlebnis zu begreifen. Und der Winter ist in höchstem Maße sinnlich! Der Geruch des Schnees erfrischt, Schneestaub, der von den Bäumen fällt, kitzelt im Gesicht, der Bach dampft, das Wasser schlängelt sich aalartig durch das dünne Eis, und auch die wenigen Geräusche, die im Winterwald zu hören sind, regen die Phantasie an: Knarrende Bäume klingen wie die Balzrufe eines urzeitlichen Riesenvogels und das Rascheln im Gehölz lässt auf versteckte Lebewesen schließen. Damit der winterliche Zuckerwald als anregendes Fantasieland empfunden werden kann, überlassen wir dem warm verpackten Kleinsten die Führung. Er bzw. sie ist der Leithammel und bestimmt Tempo, Ziel und Pausen. An sich brauchen Kinder keine Animation oder Inszenierung des Natur-Erlebnisses. Insbesondere der Winter inszeniert sich von alleine, und Kinder erspüren seine Eigenarten von selbst – so man sie lässt. Das viel gescholtene Laissez-faire ist hier erlaubt, ja sogar gefordert, also kein "Mach' dich nicht nass!" oder "Geh' doch endlich weiter!" Ein tiefschneeiger Hang, der nach Herzenslust betollt und berollt werden kann, schneebedeckte Äste, die eine begehbare Höhle bilden oder bei Berührung Papa verschütten, oder kühlende Hagebutten-Eislutscher – der Winter bietet sinnliche Erlebnisse en masse. Auf dem Hainburger Kirchenberg etwa, einem idealen Schneeschuhberg für Kinder übrigens mit leichtem, unsteilem Weg und der Liasnböndl Hütte in der Mitte, waren es seltsame Spuren auf einer "Schneewiese", die kurzerhand zum Zwischenziel erklärt wurden. Sie aufzuspüren, zu verfolgen und zu einer spannenden Geschichte zukombinieren, weckt phantasiereiche Entdeckerlust. Und sind keine Spuren vorhanden, sorgt man einfach selbst dafür und erfindet damit seinen eigenen Winterkrimi, was folgender Maßen abläuft: Papa oder Mama spielt den Fuchs und stapft durch jungfräulichen Wald voraus, der Rest der Familie folgt nach wenigen Minuten und versucht den Ausreißer aufzuspüren und das Märchen, das seine Spuren erzählen, zu entschlüsseln. Vielleicht musste der Fuchs ja einige Hindernisse überwinden, vielleicht hat er eine falsche Fährte gelegt oder gar etwas Leckeres fallen lassen ...? Wo aber hat er sich versteckt?
In der Hainfelder Hütte am Gipfel wird aufgewärmt und aufgetankt, ehe es zum finalen Spaß geht: Dem Abrodeln über die von Skitourengehern platt gefahrenen Hänge des Bergrückens. Der spritzende Schnee, das JÖbeln unseres Mädls, das Lachen des Winters – wer da noch behauptet, Väterchen Frost sei nicht sinnlich, irrt gewaltig.
So also einige Präventivmaßnahmen gegen die drohende NÖitis. Vielleicht merkt sich das JÖ-Kind auf diese Weise bis ins NÖ-Alter, dass die schönsten Abenteuer in der Natur stattfinden und nicht auf der heimischen Couch.