Was den Wienern im Sommer die Kagraner Küste der Donau,
vulgo "Copa Kagrana", ist ihnen im Winter die Rax,
vulgo "Monte Kagrana".
An schönen Tagen pflegen nämlich alle Wiener + Hund
+ Kegel diesen Berg zu überfallsartig zu erstürmen, auf Skiern,
Snowboards, Rodeln oder einfach per pedes wird der Monte Kagrana
jedes Mal aufs Neue erobert, eine wahre Völkerwanderung wie eben
nur an heißen Tagen an die Ufer der Alten Donau.
An der Rax wird man nie einsam sein, im Gegenteil, bei meiner
letzten Tour traf ich meinen Installateur, einen meiner Schüler und
den Opa eines Freundes einer Freundin - alles da, ich nehme mir vor, meine
Geschäfts- und anderen Treffen zukünftig an den Gestaden der
Rax abzuhalten.
Fragt man einen Wiener, weshalb er den Monte Kagrana besteigt,
wird er nicht antworten: "Weil er da ist!"
(Zitat G. Mallory), sondern: "Weil alle da sind!".
Sic. Ein echter Wiener wird hier nie untergehen, weil er nämlich
unweigerlich feststeckt in der Schar der Nachbarn und Hausmeister, der
Ski-Gigerln und Schnee-Haserln.
Die Rax gehört eigentlich noch zu Wien, erst
am Karl
Ludwig Haus endet die Hauptstadt, wie die dort aufgestellte Tafel
- "Ortsende von Wien" - beweist. Man spürt, am Monte
Kagrana passiert Weltgeschichtliches, jedes Treffen zweier Wiener gerät
unweigerlich zu einem Gipfeltreffen, die tiefsinnigen Suaden und
Betrachtungen, die den Weg bis zum Gipfel hin säumen wie die vielen
Markierungsstangen, gehören zweifellos zu den Denk- und Hörenswürdigkeiten
dieses Berges.
Wer mehr über den Sinn des Lebens, der Welt und des Harscheisens
erfahren will, sollte sich an wolkenlosen Samstagen in die schier endlose
Reihe der Wiener einschleichen, sich bis zur Heukuppe, dem höchsten
Punkt des Monte Kagrana, mitschwemmen lassen und einfach zuhören
- er wird verblüfft sein.
Da es nun genügend trockene Tourenberichte über
die Rax gibt, aber keinen, der das wahre, das Wiener Gesichtunseres Monte Kagrana zu zeichnen versucht, soll hier eben so
ein Versuch gewagt werden.
Man begleite mich also über den Normalweg nach
oben, den südlichen Rücken der Rax hoch und lausche den Gedanken
zweier Wiener Stammesbrüder (für Nichtwiener soll eine Übersetzung
das Verständnis erleichtern). Tatsächlich existierende Personen,
die sich in unseren Protagonisten wiedererkennen, mögen mir verzeihen
oder mich verfluchen.
A u f s t i e g
2,5
- 3 Stunden
Wir stellen unser Gefährt am Preiner
Gscheid bei der Edelweißhütte
(1070m) ab und reihen uns brav in die Karawane des Wiener Fußvolkes
ein. Schon nach wenigen Tempi auf der Piste werde ich Zeuge eines historischen
Zusammentreffens:
"Servas Oida." [=
sei gegrüßt, oh Freund] "Servas,
Hansl, oide Hüttn! [= sei gegrüßt, Johann,
edler Kamerad] Haust di a wieda aufi, oide
Pistensau?" [= unternimmst du auch wieder eine Bergfahrt,
du forscher Skifahrer?] "Na - wü
nur schaun, ob's no steht und ob i 's no dazah'!" [=
Nein, ich will nur überprüfen, ob der Berg noch steht und
ob ich noch über die Kraft verfüge, ihn zu besteigen]
"So, so, und wia gehts deina Oidn?"
[= wie ist das werte Befinden deiner Ehefrau?]. "Liagt
in de Federn und rotzt und scheißt in an' durch..."
[= Liegt mit Darmgrippe danieder ... ]
Gebannt von der fundamentalen Bedeutung
dieses Treffens hefte ich mich an die Fersen der beiden, stapfe ihnen
nach, eine Piste (Weg 829) hoch bis zum Waxriegl
Haus (1361m), von dort sieht man schon den weiteren Aufstiegsweg:
den Schlangenweg, und diverse Abfahrten wie Karl- und Siebenbrunngraben
bzw.Naz- und Langermann-Rinne.
"Wos do heit ollas wieder umanonderkreut!"
[= Wieviele Menschen heute doch wieder unterwegs sind!] "Und
so vü lausige Hundsviecher." [= Und so viele unreinrassige
Hunde] "Scheißn da eh scho ollas
vui in da Stodt, jetztn müassens ah no auf de Rax aufekreun."
[= Nicht nur dass sie die Stadt mit ihrem Auswürfen beschmutzen,
jetzt klettern sie auch noch die Rax hoch] "Föht
nur, doss ana mit'n Krokodü doherkummt" [= Fehlt
nur noch, dass einer mit einem Krokodil daherkommt] "Donn
glei mit da Schwü on da Leine. Ha, ha ..." [=
Dann gleich mit der Schwiegermutter an der Leine. Ha, ha ...] "Mit
da Schwüüü, dem Krokodüüü, ho, ha, hüüüü!"
[Versuch einer Übersetzung zwecklos ...]
Der Aufstiegsweg entlang des Karlgrabens
erweist sich als eisglatt, fast unfahrbar, von Millionen Wienern glatt
gescheuert. Die beiden quälen sich schnaufend hoch.
"So a Schaspistn."
[= die Piste befindet sich in schlechtem Zustand] "Host
kane Eisn dabei?" [= Hast du keine Harscheisen dabei?]
"Wos? Eisn? Im Korlgrobn und Eisn - bin jo ka Plattfuaßindiana."
[= Weshalb Harscheisen? Karlgraben und Harscheisen - ich bin doch
kein Indianer mit Plattfüßen]
Im Karlgraben verlieren zwei
Skifahrer den Halt und rutschen ca. 200 Meter ab.
"Solche Trottln. Kreun aufi und
pockn den Korlgrobn net. Soins z'haus bleibn, de Wappler."
[= Solche unintelligenten Menschen! Da klettern sie hinauf und vermögen
den Karlgraben nicht zu bewältigen. Diese Unbegabten sollten lieber
zu Hause bleiben]
Nun aber rutscht einer der beiden selbst
ab und fährt einige Meter den Karlgraben hinab.
"Oasch Pistn!!!" [=
die Qualität des Aufstiegsweges lässt zu wünschen übrig]
Der andere steht da, lacht. "Wos
is, Plattfuaßindianer? Scho miad oder wüst ham zu deiner
Oidn?" [= Was ist passiert, Plattfußindianer? Bist
du schon erschöpft oder willst du schon zu deiner Angetrauten heim?]
"Gusch!!!" [= enthalte dich
bitte jedes Kommentars]
In mir keimt angesichts dieses erhabenen
Ereignisses Stolz darüber, selbst Wiener zu sein. Die letzten Meter
zum Karl
Ludwig Haus (1804m) müssen die Ski über einen abgeblasenen
Hang getragen werden.
"Des is ka Skitour net, des is
a Schashatscherei." [= Das ist keine Skitour mehr, das
ist eine äußerst unangenehme Geherei] "Jetzt
hot de Hüttn a no zua!" [= Jetzt ist die Hütte
auch noch geschlossen!] "So a Sch..."
[Übersetzung von der Jugendschutzbehörde verboten]
"Host a Hüserl im Wimmerl?" [= Hast du eine
Bierdose im Rucksack?] "Na kloa, ohne
Hüsn bin is net, des muasst eh scho wissn." [= Selbstverständlich,
ohne Bier kann ich nicht existieren, das musst du schon wissen]
"Pfeifn's eh aus'n letztn Loch, de Hirnederln,
oba de Hüttn zualossn. Wos zoin wia Depperten für den Oipenverein?"
[= Sie sind schon fast bankrott, diese Unvernünftigen, und lassen
die Hütte dennoch geschlossen. Weshalb zahlen wir Unintelligenten
für den Alpenverein?] "Für
de Bonzen, waßt eh, de Gscherten mit de Porsche." [=
Für die Vorsitzenden, du weißt, die Haarlosen mit den teuren
Autos] "Host dein Mercl no?" [=
Hast du noch deinen Mercedes?] "Eh kloa, ohne Mercl
bin is net!" [= Klar, ohne Mercedes kann
ich nicht existieren]
Weiter über den vereisten Nordhang
zur Heukuppe (2007m), wo mehrere große Gruppen um das Gipfelmal
versammelt sind.
"A Sauködn hots do. Heast,
wos do ollas umanonder kreut. Lauter Weiber, Hundsviecher und schasaugerte
Heinis." [= Eine bittere Kälte herrscht hier. Höre,
oh Freund: hier befinden sich viele Menschen. Viele edle Frauen, Hunde
und Artgenossen mit schlechten Augen] "Jetzn
dans no telefonieren. Kane Eisn, oba de Handys schleppens mit, de Westentoschn-Alpinisten."
[= Jetzt telefonieren sie noch. Keine Harscheisen,
aber die Handys nehmen sie mit, diese kleinformatigen Bergsteiger]
"Heast des, mit da Oidn telefoniert da, ha,
a Pantoffelhöd wia aus'n Büdabuach!" [= Hörst
du es? Er telefoniert mit seiner Ehefrau - lacht - ein moderner Ehemann
- wie aus dem Bilderbuch!]
Ein Handy klingelt.
"Jo? Wer? Wos? Servas, Mauserl!
Jo, i bin's, hearst mi, hallo - haaaallo?" [= Ja? Wer?
Wie bitte? Sei gegrüßt, meine Liebe. Ja ich bin's, hörst
du mich, hallo?] "Wos? Wos sogst? Na
- net im Puff, auf da Rax bin i!" [= Wie bitte? Nein,
nicht im Sacher, ich stehe auf der Rax] "Jo,
versamst wos, Mauserl! 's Weda is super, klasse Leit, leiwonda Puiva
und de Hüttn is wödspitze." [= Du versäumst
etwas, Liebling! Das Wetter ist grandios, die Leute erstklassig, der
Pulverschnee phantastisch und die Hütte Weltklasse] "Waßt,
wer neben mia steht?... Da Hansl-Oasch vom Bau." [= Weißt
du, wer neben mir steht? Der wundervolle Johann von der Baustelle]
"Wos mocht d'Scheißerei? ... Jo, jo, des Fuada für's
Seppi-Hunderl, jo, bring i mit, und de Tschick. Servas, Mauserl!"
[= Wie steht es um deine Darmerkrankung? ... Ja, ja, das Futter für
Josef, den Hund, bringe ich mit - und die Zigaretten, ja. Sei gegrüßt,
Liebling!]
Gipfelpause. Schweigen. Auf eine Fortsetzung
des Dialoges wartend, ertrage ich geduldig die Kälte. Plötzlich
- mitten aus dem Getümmel von Skiern und Stecken:
"Heast, kreu' ma owi von de Laufflächn
mit deine Scheißbrettln, Trottel!" [=
Bitte ziehen Sie doch ihre Ski unter meinen Laufflächen hervor,
Sie Dummkopf!] "Zvü Depperte do, hau' ma si in
de Muidn duat ... und loss endlich die Hüsn umewochsen."
[= Zuviele minder vernünftige Leute hier, lass uns in diese
Senke dort gehen ... und reiche mir bitte endlich das Bier] "Host
an Tschick für mi?" [= Hättest du eine Zigarette
für mich?] "Klor, oider Tschick-Schnorrer."
[= Selbstverständlich, alter Zigaretten-Bettler]
Herrlicher Fernblick an diesem Tag:
Schneeberg, Ötscher, Schneealpe, Hochschwab.
"Duat is Mallorca! Siachst das?"
[= Dort liegt Mallorca, siehst du es?] Rülpst.
"Nudelaug, des is di Lockn." [= Blinder,
das ist die "Lacke" = Neusiedler See] "Wos
mocht de Hockn?" [= Wie läuft das Geschäft?]
Rülpst. "Da Sch...Euro versaut mir ois."
[= Der wenig genehme Euro beeinträchtigt das Geschäft]
"Jo, mehr Zähnt im Börsl als in
da Goschn. Ha, ha. Hau ma uns owe, mei Oide wort auf mi."
[= Wie recht du hast, mehr Cent - in Wien "Zähnt"
gesprochen - in der Brieftasche als im Mund. Lass uns abfahren, meine
Ehefrau wartet auf mich] "Jo,
is eh a Scheißködn." [= Ja, die Kälte
ist sowieso unerträglich]
A
b f a h r t (oder
wie das heißen soll)
30
Minuten, schneller oder gar nicht
Die beiden lassen sich mit einem Höllentempo
(in Wien auch "Affenzahn") den anfangs doch recht steilen
und vollkommen glatten Karlgraben hinunter, bis einer unserer Protagonisten
zu Sturz kommt, abrutscht und den Rest des Hanges in unterschiedlichen,
wenig anmutigen Stilrichtungen absolviert. Der andere, beim Gestürzten
angekommen:
"Heast Oida, wos foarst'n wia
a gsenkte Sau! Wüßt da net de Eisn aufehaun beim Owafohrn?"
[= Hallo, oh Freund, weshalb fährst du wie Hermann Maier? Willst
du dir nicht die Harscheisen montieren für die Abfahrt?] "Gusch!!!"
[= Enthalte dich bitte jedes Kommentars]
Hier trennen sich die Wege der beiden.
So wird es wieder still am Monte Kagrana, der endlich wieder Rax
sein darf. Gedankenschwer gleite ich die Piste zurück zur Edelweißhütte.
Und ich bin überzeugt, käme ich nächstes Wochenende wieder
hierher, ich würde die beiden wieder treffen und genau das Gleiche
zu hören bekommen - die Mär nämlich vom eigentlichen, wahren Gesicht der Rax - und der Wiener.
Man beachte hinsichtlich einer Raxbesteigung
folgende Regeln:
1. Will
man alleine bleiben, meide man diesen Berg an schönen Tagen.
2. Will man möglichst viele Wiener kennenlernen,
suche man die Rax an schönen Tagen auf.
3. Der Sinn der Harscheisen besteht vor
allem darin, sie mitzunehmen.
4. Wenn du die beiden von vorhin triffst, grüße
sie bitte von mir.