Mit
den Begriffen Rudolfshütte, Weißsee, Enzingerboden, Tauernmoos
und Stubachtal verbinden viele Wanderer und Bergsteiger alpine Erlebnisse,
unberührte Landschaft und heile Bergwelt. Aber die Welt war dort
nicht immer so heil. Stacheldraht und Ruinen erinnern noch heute an eine
Zeit vor genau 60 Jahren, als Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge bei
Eiseskälte und Hitze, bei unvorstellbaren und lebensgefährlichen
Verhältnissen ebendort an Kraftwerken arbeiteten, die heute noch
genutzt werden.
Im
Vorgarten des Nationalparks Hohe Tauern wurde eines der dunkelsten Kapitel
Salzburgs geschrieben. Zwischen Frühjahr 1943 und Mai 1945 vegetierten
in 2300 Metern Seehöhe Zwangsarbeiter in drei zugigen, kalten Baracken.
Uttendorf/Weißsee war ab 1943 ein Nebenlager von Dachau. Unzählige
Menschen starben. Wie viele genau, weiß niemand. Bis heute gibt
es keine Gedenktafel. In lokalen Chroniken taucht das Nebenlager nicht
auf. Die Hölle vom Weißsee wurde und wird noch immer verdrängt
und vergessen.
Die
Salzburger Historikerin Dr. Nicole Slupetzky hat sich auf Spurensuche in
eine tragische - und verdrängte - Zeitepoche begeben, als die Berge
alles andere als idyllisch waren ...
Einleitung
Das
Thema Zwangsarbeit war sowohl in wissenschaftlicher Hinsicht als auch
in der öffentlichen Diskussion lange Zeit kaum präsent. Obwohl
sich immer mehr Historiker mit diesem Bereich der NS-Geschichte befassten,
blieb es ein weitgehend unbekanntes Kapitel. Erst die anstehenden US-Klagen
veranlassten die österreichische Bundesregierung eine Historikerkommission
zu gründen, die Österreichs Nazivergangenheit aufarbeiten sollte.
Aber auch Firmen wie der "Verbund" oder die ÖBB mussten
sich dem Thema Zwangsarbeit stellen. Während es beim "Verbund"
ebenfalls zur Zusammensetzung einer Kommission kam, führten die Bemühungen
bei den Österreichischen Bundesbahnen zu keinem Erfolg.
Immer noch ist es mit Schwierigkeiten verbunden, an nötiges Archivmaterial
heranzukommen. In vielen Fällen wurde belastendes NS-Material am
Ende des Weltkrieges vernichtet oder bis heute unter Verschluss gehalten.
Zudem sind viele Menschen davon überzeugt, dass es Zwangsarbeit nur
bei großen Firmen gegeben habe.
Auch
Firmen wie der "Verbund" oder die ÖBB mussten sich dem
Thema Zwangsarbeit stellen.
Die
bisherige Forschung konzentrierte sich auch auf große Industriebetriebe,
wie z.B. die Hermann-Göring-Werke. Obwohl der Reichsgau Salzburg
kaum industrielle Betriebe oder Rüstungsbetriebe vorzuweisen hatte,
war die Zahl der Zwangsarbeit hoch. Bis zu 25.000 waren zivile Ausländer,
die hier zur Arbeit gezwungen wurden.(1)
Nun stellt sich allerdings die Frage, wo diese Arbeiter zum Einsatz kamen,
wenn es keine Großbetriebe gab. Der Großteil der Zwangsarbeiter
wurde in der Land- und Forstwirtschaft, aber auch im Baugewerbe benötigt.
Die Region der Hohen Tauern war vor allem auf Grund des reichhaltigen
Wasserreservoirs von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Hier wurde
neben dem Straßen- besonders der Kraftwerksbau vorangetrieben. Zu
diesem Zweck wurden Tausende Arbeitskräfte hergebracht. Jede noch
so kleine Firma nutzte die Möglichkeit ihr Arbeitskontingent aufzustocken.
Allein im Pinzgau wurden bis zu 7.000 Menschen zur Zwangsarbeit verpflichtet,
(2) in vielen Ortschaften Baracken zur
Unterbringung errichtet. Landwirtschaftliche Arbeitskräfte wurden
zumeist auf den Bauernhöfen selbst untergebracht. Es gab kaum ein
Dorf, das keine zivilen Ausländer oder Kriegsgefangene im Arbeitseinsatz
hatte. Polen, Russen, Ukrainer, Tschechen, Franzosen, Italiener ... viele
Nationalitäten waren vertreten. Dennoch wurde die Erinnerung daran
von der Bevölkerung zum Teil völlig verdrängt. An vieles
kann oder will man sich nicht mehr erinnern.
So wird auch das Thema Kraftwerksbau in den Hohen Tauern sofort mit Kaprun
in Verbindung gebracht, obwohl nicht weit entfernt noch eine zweite Großbaustelle
existierte. Dabei handelte es sich um die Region Uttendorf/Stubachtal,
wo ebenfalls massive Bauten zur Nutzung der Wasserkraft gebaut wurden.
Im Gegensatz zu Kaprun wurde hier jedoch schon vor der nationalsozialistischen
Herrschaft begonnen.
Die
Rudolfshütte 1925, Blick gegen Kaprunertörl und Kitzsteinhorn
Das
Stubachtal vor 1938
Bereits
während der Habsburgermonarchie wurde die Bedeutung der Wasserkraft
erkannt. Vor allem die Hohen Tauern mit den zahlreichen Seitentälern
der Salzach spielten bei diesen Überlegungen eine Rolle. Schon im
Jahr 1913 gab es die ersten Pläne zur Errichtung mehrerer Kraftwerke
im Stubachtal. Nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie war es absolut
notwendig, die Wasserkraft verstärkt zur Elektrifizierung heranzuziehen,
da die großen Kohlefelder der Monarchie nicht auf österreichischem
Gebiet lagen. 1920 wurden schließlich die Arbeiten an mehreren Kraftwerken
aufgenommen, wie zum Beispiel in Mallnitz bei Obervellach und im Stubachtal.
Unter dem Zwang der wirtschaftlichen Nöte und Engpässe mussten
die Prioritäten auf jene Kraftwerke gelegt werden, wo die Arbeiten
schon am weitesten fortgeschritten waren, was vorübergehend zu einer
Drosselung der Bauten im Stubachtal führte. Mit der Gründung
des Unternehmens "Österreichische Bundesbahnen"
als selbständiger Wirtschaftskörper wurde der Bau der Kraftwerke
im Stubachtal wieder vorangetrieben.(5)
So rasch als möglich sollte nun die Staumauer am Tauernmoossee
errichtet werden, um das Kraftwerk Enzingerboden in Betrieb nehmen zu
können. Zwischen 1926 und 1929 wurde der Bau durch die Österreichischen
Bundesbahnen ganzjährig vorangetrieben und Anfang Juni die Betonmauer
am Tauernmoossee fertiggestellt. Am 9. Juli 1929 erfolgte der erste Vollstau!(7)
Durch den Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland veränderten
sich die Machtstrukturen erneut. Die ÖBB wurden von der Deutschen
Reichsbahn übernommen.
Die
Höhenlage am Rande der Gletscherzone wirkte sich auf die Baudurchführung
ungeheuer erschwerend aus.
Mit
der Eingliederung der ÖBB in die Reichsbahn änderte sich auch
die Situation im Stubachtal. Die Arbeiten wurden aber keineswegs unterbrochen.
In den Hohen Tauern wurden mit den Bauten Kaprun und Weißsee zwei
Großprojekte massiv vorangetrieben. Man wollte das Wasser des Weißsees
in 2.300 m Höhe endlich nutzbar machen und stellte dazu im Juli 1939
die Anträge an die Bezirkshauptmannschaft Zell am See.
Während technisch die einzelnen Bauteile keine Schwierigkeiten boten,
wirkte sich die Höhenlage am Rande der Gletscherzone auf die Baudurchführung
ungeheuer erschwerend aus.
Die
Rudolfshütte um 1928
Im
ganzen Deutschen Reich hatte es noch nie eine Großbaustelle dieser
Art in solcher Höhenlage gegeben. Der kurze Bausommer im Hochgebirge
verlangte äußerste Konzentration der Arbeiten. Selbst im Hochsommer
herrschten oft tiefe Nachttemperaturen, was entsprechende Vorsorge nötig
machte. Auch die Entlegenheit der Baustelle, die nötige Schaffung von
Zufahrten und Unterkünften, alles musste sorgfältig bedacht sein.
Am Bau der Staumauer konnte nur im Sommer gearbeitet werden, allerdings
war die Errichtung neuer Stollen das ganze Jahr über möglich.
Die Zufahrt zur höchstgelegenen Baustelle des Dritten Reiches erfolgte
bis zum Enzingerboden über eine Straße, von hier aus wurde eine
Materialseilbahn errichtet. Eine Verbesserung des vorhandenen Alpenvereinssteiges,
um die Hilfstransporte und auch die Versorgung der Rudolfshütte Sektion
Austria des Alpenvereins zu erleichtern, wurde versprochen.(11)
Die Pläne wurden am 21. Dezember 1939 eingereicht und in einem Schreiben
des Reichswirtschaftsministers vom 12. März 1941 verlautbart, dass
gegen die angezeigten Bauvorhaben keine Bedenken bestünden.(12) |