Von
Uli Auffermann
"Es
sind keine Worte für die Größe und Schöne dieses
Anblicks. Immer wieder zog die Reihe der glänzenden Eisgebirge das
Aug und die Seele an sich. Schon was vom See auf für schwarze
Felsrücken, Zähne, Türme und Mauern in vielfachen Reihen
vor ihnen aufsteigen, wilde, ungeheuere, undurchdringliche Vorhöfe
bilden! Wann sie dann erst selbst in der Reinheit und Klarheit in der
freien Luft mannigfaltig daliegen! Man gibt da gern jede Prätension
ans Unendliche auf, da man nicht einmal mit dem Endlichen im Anschauen
und Gedanken fertig werden kann." (Goethe beim Anblick des Mont
Blanc)
Er
hat die Wunderwelt, die Einzigartigkeit des Hochgebirges für seine
Zeitgenossen und all ihre Nachkommen entdeckt. Johann Wolfgang von Goethe,
der große Dichter, Denker und Forscher verstand es, in ausdrucksstarker
Weise frühe Zeugnisse abzuliefern über das, was passiert, wenn
der Mensch als Reisender, als Tourist, als Wanderer den Bergen begegnet.
Skizzen entstanden dabei, Briefe, Reiseaufzeichnungen und natürlich
Gedichte.
"Nun geh mirs, wies wolle, hab ich doch immerda einen
Zufluchtsort", schrieb er einst heimkehrend aus den Alpen und
machte deutlich, dass die Berge mehr sind als geomorphologische Verfaltungen
der Erdkruste: Sie bieten Erholung vom städtischen Alltag mit seiner
hektischen Dynamik, sind Inspiration, schärfen den Intellekt und
bringen das Gemüt ins Gleichgewicht. "Zurück zur Natur"
war damals die Aufforderung Rousseaus, die eine Welle der Begeisterung
auslöste und auch Goethe in die Berge spülte. Er war durchaus
ein kräftiger, sportlicher Mann, der in jungen Jahren bisweilen mit
Bundhose, fester Kleidung und dicken Wollstrümpfen anzutreffen war.
Was ihn aber einzigartig machte und so wertvoll für uns alle, die
wir heute begeistert sind vom Draußensein und von den Bergen, war
seine Fähigkeit die Eindrücke aus der Natur in Sprache zu verwandeln.
Symphonien aus Worten sind dabei entstanden, Sprachkompositionen, die
genauso schön sind wie das, was sie so oft zum Inhalt haben.
Auf seiner zweiten Schweiz-Reise, 1779, kam Goethe ins Berner Oberland
und auch ins romantische Tal von Lauterbrunnen, und er sah dicht bei dem
eng zwischen Kalkfelsen eingebetteten Dorf den berühmten Wasserfall:
den Staubbach, der mit nebliger Gischt rund 300 Meter über dunkle,
senkrechte Felswände herunterfällt. Dieses Naturereignis erregte
sein höchstes Entzücken und bewog Goethe, sein berühmtes
Gedicht zu schreiben.
Gesang
der Geister über den Wassern:
Des
Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.
Strömt
von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend
Zur Tiefe nieder.
Ragen
Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.
Im
flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.
Wind
ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.
Seele
des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!
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Johann
Wolfang von Goethe
*1749
in Frankfurt a. M., + 1832 in Weimar
Goethe
wächst in Frankfurt auf, kommt 1765-68 zum Jurastudium nach Leipzig
und 1770/71 nach Straßburg; im STURM & DRANG entstehen Werke
wie "Götz von Berlichingen" (1773) oder der Welterfolg
"Die Leiden des jungen Werthers" (1774); erste Reise
in die Schweiz 1775; 1776 übersiedelt er nach Weimar und wird zum
Geheimen Legationsrat ernannt; zweite Schweizreise von September 1779
bis Februar 1780; nach Goethes erster Italienreise 1786-88 widmet er sich
verstärkt seinem künstlerischen Schaffen (Epoche der KLASSIK);
die zweite Italienreise folgt 1790 und 1797 bereist er erneut die Schweiz;
1808 veröffentlicht Goethe den "Faust, 1.Teil", sein Meisterwerk,
und 1809 "Die Wahlverwandtschaften" (HOCHKLASSIK); 1831
vollendet er den "Faust, 2.Teil"; Goethe stirbt 1832
in Weimar.
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