Nichts brauchen.
Denken mit den Beinen. Reden. Oder auch nicht.
Begleitung. Oder allein.
Natur. Steine. Still.
Die Gedanken kriechen aus ihren Verstecken. Tempo drosseln. Schrittgeschwindigkeit.
Drei Tage. Oder vier. 10 Gemeinden.
Abstand.
(granitpilgern.at)
Der Granitpilgern-Weitwanderweg führt in drei bis vier Tagesetappen auf einer Gesamtlänge von rund 90 Kilometern durch das Obere Mühlviertel. Der Weg durchläuft 10 große Gemeinden; vier Wallfahrtskirchen, zehn Kirchen und viele Kapellen, Bildstöcke und Kreuze säumen ihn. Die wunderschöne Mittelgebirgsregion zwischen St. Martin im Mühlkreis und Helfenberg ist geprägt vom Wasser der Mühl, sanften Hügeln, weiten Feldlandschaften und dem rauen Gestein des Granit- und Gneishochlandes. All das bietet beste Voraussetzungen, um sich – und Gott – näherzukommen.
Die sehr genaue Beschilderung verläuft im Uhrzeigersinn. Á la carte wird in St. Martin im Mühlkreis beim Granitpilgern-Monument gestartet, andere Einstiegsmöglichkeiten sind aber grundsätzlich überall entlang des Rundweges möglich. Der gesamte Pilgerweg kann auf 3 oder 4 Etappen aufgeteilt werden.
Wir stellen hier die Vier-Tages-Variante vor, wobei auch zwei Tagesleistungen von über 30 km zu bewältigen sind. Wem solche Etappenlängen zu beschwerlich sind, kann diese langen Abschnitte nochmals teilen. Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit, ein Pauschalangebot anzunehmen – indem man etwa in St. Martin eine Unterkunft wählt und nach jeder Tagesetappe per Shuttle dorthin zurückkehrt.
Zahlreiche Kirchen, Kapellen und Kleindenkmäler wie Bildstöcke oder Kreuze säumen den Weg. Sie sind Ausdruck der typischen österreichischen "Sakrallandschaft", die Mitte des 17, Jahrhunderts entstanden ist. All diese Zeugnisse tief empfundener Frömmigkeit laden ein zum Verweilen, zum Gebet und spirituellen Auftanken. Daneben begegnen wir auch zahlreichen Besonderheiten wie Schalensteinen, Gattersteinen, Burgen, (heiligen) Quellen und Waldhügeln.
Apropos: Das in diversen touristischen Prospekten und Websites bemühte Modewort "Kraftplatz" kommt in meinem Bericht nicht vor, da ich der Überzeugung bin, dass religiöse Orte und Gebäude sowieso Kraft geben. Schalensteine, Bäume, Burgen etc. hingegen als "Kraftplätze" zu bezeichnen, halte ich für eine esoterische und weniger christliche Ausdrucksweise, die ich ablehne.
Tag 1: St. Martin – Neufelden
Schon die erste Etappe von St. Martin im Mühlkreis bis Neufelden belohnt mit viel Abwechslung, Erlebnisreichtum und einer fortwährenden Veränderung der Landschaft. Zwischen Schloss Neuhaus, der Erlebniswelt Granit und dem wunderschönen barocken Ortskern von Neufelden wird es nie langweilig. Und dazwischen: Landschaft, Landschaft, Landschaft!
St. Martin
Der Rucksack geschultert wird in St. Martin im Mühlkreis, das eingebettet zwischen dem großen Donaustrom und dem Tal der Großen Mühl, inmitten der sanften Mühlviertler Hügellandschaft liegt. Der offizielle Startpunkt liegt beim Pilger-Monument "RoatRoas" (Parkplatz), einer Granit-Skulptur.
Für uns Pilger ist es natürlich "Plicht", in der hiesigen Pfarrkirche vorbeizuschauen: An ihr finden sich Bauelemente aus der romanischen Epoche um 1200 und ein gotischer Kern aus dem 15. Jahrhundert. Aus dieser Zeit stammen auch die sechs noch erhaltenen Glasfenster in der Marienkappelle und der Taufstein.
Von Anfang an weisen gelbe Schilder mit der Aufschrift "Granitpilgern" verlässlich den Weg.
Sobald man St. Martin verlassen hat, öffnet sich erstmals auf unserer Tour ein Blick über die sanfte Mühlviertler Hügellandschaft, in die kleine Siedlungen, Gehöfte, Felder und Wiesen eingestreut sind. Was auffällt, ist die gepflegte Gegend – alles sauber, lieblich, geordnet. Ausdruck der Liebe der Mühlviertler zu ihrer Landschaft ist. Zwischen blumen- und kräuterreichen Wiesen, aber auch Mais- und Getreidefeldern, aus denen blaue Kornblumen herausleuchten, wandern wir auf einer Feldstraße abwärts.
Schon der Aufbruch in St. Martin belohnt mit viel Ausblick und Abwechslung!
Ein gemächlicher Auftakt mit wunderschönem Rundumblick, der die Vorfreude auf die kommenden Pilgertage noch erhöht. Nach einer Senke geht es auf der anderen Seite wieder bergauf – auch das ein Charakteristikum des Weges: Es geht nie lange eben dahin, sondern stets im Wellengang auf und ab!
Schloss Neuhaus
Kurz nach dem Aufbruch das erste von zahlreichen Kleindenkmälern, ein sog. "Breitpfeiler" aus dem Jahr 1852. In der Nische des auf eine breite Säule gesetzten Häuschens befinden sich ein Marienbild, Kerzen und Blumen. Mit Blick auf Schloss Neuberg in einen Graben, über einen Bach und auf der anderen Seite wieder bergauf zum sog. "Neuhauser Platzl", wo es allerhand zu lesen und erleben gilt. Da wären etwa ein schöner Bildstock mit der Darstellung der Dreifaltigkeit Gottes, des Hl. Florian und hl. Leonhard. Daneben können wir uns aus einem kleinen Raum gegen eine Spende Getränke kaufen und auf einer Holzliege rasten. Wen eine Nahsicht auf das Schloss Neuhaus interessiert (Besichtigung nur nach Voranmeldung) wendet sich am Neuhauser Platzl nach links und wandert etwa 200 m eine Straße hinunter. Wer genau schaut, wird die fünfeckige Form des Bergfrieds erkennen und die einzigartige Spottfigur an der Ostecke des Turmes. Deutlich ist hier eine menschliche Figur zu erkennen, die dem Betrachter ihr Hinterteil entgegenstreckt. Diese Geste wirkt umso komischer, wenn man sich das "menschliche Gesäß" in seiner ursprünglichen Funktion als Wasserablauf vorstellt! Die Figur wird häufig als Provokation an die Adresse der habsburgischen Landesfürsten in Wien gedeutet.
Erlebniswelt Granit
Wieder zurück zum Neuhauser Platzl setzen wir unseren Pilgerweg Richtung Plöcking fort. Erlebniswelt Granit Nach einem kurzen Waldstück wird's wieder spannend: Wir betreten die "Erlebniswelt Granit", die größte Ausstellung Österreichs rund um Natursteine und die geologischen Eigenheiten Österreichs. Ausgehend vom Natur-Amphitheater "Arena Granit" wandern wir entlang von 160 bezeichneten Exponaten durch die Natursteinlandschaft Österreichs und erleben damit eine Reise durch die Millionen Jahre alten Erdzeitalter unseres Landes. Der hochinteressante Steinlehrpfad endet im Granitdorf Plöcking, wo noch heute Granit abgebaut wird. Einer der heute noch in Betrieb befindlichen Steinbrüche sind die Poschacher Natursteinwerke, an denen unser Pilgerweg nun auch vorbeiführt. In sicherem Abstand – es wird hier noch eifrig gesprengt – umrunden wir das Steinbruchgelände und steigen auf einem schmalen Pfad durch Wald in das stille Diesenbachtal hinab. Vor allem für Freunde des Waldbadens ein Genuss. Auf der Talsohle überschreiten wir den Bach – und müssen auf der anderen Talseite wieder bergauf. Unter uns erkennen wir dabei das Speicherkraftwerk Partenstein, das von der Großen Mühl angetrieben wird. Diese Arterie des Mühlviertels wird im Verlauf unserer Wanderung noch eine wichtige Rolle spielen.
Links: Wanderung die "Erlebniswelt Granit", rechts: die Wallfahrtskirche Maria Ramersberg
Kleinzell
Nach rund einer Stunde verlassen wir den Wald und gelangen über Wiesen und Kornfelder zu einer Abzweigung, wo wir nach links zur Wallfahrtskirche Maria Ramersberg gelotst werden, während der Granitpilgerweg nach rechts weiter verläuft. Wie es sich für echte Pilger gehört, nehmen wir die kurze Exkursion in Kauf und wandern etwa 200 m zur kleinen, lieblich im Wald gelegenen Marienwallfahrtskirche. Sie wurde vor über 130 Jahren erreichtet und erfreut sich bis heute größter Beliebtheit unter den Pilgern aus dem Oberen Mühlviertel.
Wieder zurück zur vorhin erwähnten Abzweigung und weiter in ständigem Auf und Ab großteils über Felder Richtung Kleinzell im Mühlkreis, das wir nach rund 4 Stunden Marschzeit erreichen. Der stille Ort wartet mit Einkehr- und Einkaufsmöglichkeiten sowie einer interessanten Wallfahrtskirche auf. Der dreijochige, gotische Saalbau besitzt noch romanische Bauelemente aus dem 11. Jahrhundert. Zu den Besonderheiten zählt auch das Gnadenbild der Landshuter Madonna am linken Seitenaltar und der Hochaltar mit dem hl. Laurentius im Mittelpunkt.
Vor Kleinzell wandern wir durch eine Landschaft mit unaufdringlicher Schönheit und unverfälschtem Leben
Neufelden
Endspurt. Weiter unanstrengend auf und ab durch eine Landschaft mit unaufdringlicher Schönheit und unverfälschtem Leben. Immerzu staffeln sich die Hügel mit stets wechselnden Aussichten auf Wälder, Wiesen, Äcker und Täler. Das sanfte Auf und Ab der Landschaft hat uns am Ende des ersten Pilgertags heiter und gelassen gestimmt. Die letzten Kilometer schließen wir uns der Großen Mühl an, eine kleine Bergwertung führt uns nach Neufelden hinauf, einem überaus guten Platz zum Übernachten, da diese Stadt auf mannifaltige Weise beindruckt: Die barocken und zum Teil klassizistischen Fassaden der Neufeldener Bürgerhäuser am historischen Marktplatz stammen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, als der Leinenhandel hierorts seine Hochblüte erlebte. Den besonderen Flair verdankt der Ort aber auch seiner Lage inmitten einer reizvollen Hügellandschaft mit tollem Blick auf die Große Mühl.
Den Weg säumen viele Klein- und einige Großdenkmäler wie die Kirche von Neufelden, deren Turm einst als Wehrturm diente.
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