Wenn
man sich einmal überlegen würde, welche Voraussetzungen und Eigenschaften
wohl die ideale Ausgangslage für einen Ausnahmebergsteiger wären,
dann würden sicherlich folgende Kriterien dabei sein: tiefe Verbundenheit
mit der Bergnatur, am besten im Hochgebirge geboren und aufgewachsen, durch
das Leben am Berg besondere Instinkte für die objektiven Gefahren entwickelt,
Lust auf alle Spielformen des Alpinismus und der Ehrgeiz, es am Fels, im
Eis und auf Schnee zur Perfektion zu bringen. Große Leistungsbereitschaft,
um ganz hoch hinauf zu kommen, dabei aber die Bodenhaftung nicht verlierend,
selbst wenn sich ein Erfolg an den anderen reiht. Sich seiner Leidenschaft
gänzlich bewusst sein, ja die Gipfel und die Wände dieser Welt
zum Mittelpunkt des Daseins zu machen. Da wären sicherlich noch weitere
Punkte, um sich der Sache anzunähern, doch es gibt zwei Wörter,
in denen das alles vollkommen zum Ausdruck gebracht wird: Hans Kammerlander.
Der sympathische Südtiroler hat längst Eingang gefunden in die
"Hall of Fame" des Bergsteigens, gehört zu Lebzeiten gewiss
schon zur Handvoll der ganz großen Abenteuer-Alpinisten.
Als
letztes von sechs Kindern einer armen Bergbauernfamilie aus Ahornach
im Tauferer Ahrntal (Südtirol) 1956 geboren, verliert Hans Kammerlander
schon früh die Mutter. Die älteste Schwester zieht ihn auf,
der Vater ist als Schuhmacher nicht oft zu Hause. Mit knapp acht Jahren
besteigt Hans seinen ersten Berg, den Großen Moosstock (3059 m).
Die Sehnsucht nach dem Bergsteigen ist geweckt, bereits mit 15 zieht
er allein oder mit Freunden ins Gebirge, eine riskante Zeit, bis ihn
sein älterer Bruder in einen Kletterkurs schickt. Jetzt beginnt
sein Bergsteigerleben richtig, neben den heimatlichen Bergen lockt ihn
vor allem das Felsklettern in die Dolomiten. Dann ein Glücksfall:
Bei der wenig geliebten Arbeit als Maurer begegnet er Friedl Mutschlechner,
der sein alpiner Lehrmeister wird und ihn bestärkt, Bergführer
zu werden. Mit 21 Jahren legt er die Prüfung ab. Sein Wunsch, sich
von dem neuen Beruf auch zu ernähren, stellt sich als nicht so
einfach heraus. Fast will er schon aufgeben, da bietet ihm Reinhold
Messner an, für seine Alpinschule Südtirol Touren zu übernehmen.
Also nicht zurück auf die Baustellen! Die Tätigkeit als Bergführer
füllt ihn aus, es macht ihm Freude, die glücklichen Gesichter
seiner Gäste nach einer gelungenen Tour zu erleben. 1987 übernimmt
er von Reinhold Messner die Alpinschule Südtirol.
Hans
hat alle Voraussetzungen, um schwierige Wände an den höchsten
Bergen der Welt zu durchsteigen: das Kletterkönnen, die Kondition,
den Instinkt. Er ist höhentauglich, ruhig und auch in kritischen
Situationen nicht aus dem inneren Gleichgewicht zu bringen.
Hans
Kammerlander entwickelt sich zum perfekten Allround-Alpinisten, ist in
den schweren Kletterrouten ebenso zu Hause wie in den Eiswänden und
den klassischen Nordwänden. Zum Höhenbergsteiger wird er 1982
wieder durch das Einwirken von Reinhold Messner, der ihn zu einer Expedition
einlädt. Es geht zum Cho Oyu, der Gipfel kann zwar nicht erreicht
werden, doch Hans wird in der Öffentlichkeit bekannt, erhält
seinen ersten Sponsorenvertrag. Neue Möglichkeiten tun sich auf.
Dabei ist auch Hans Kammerlander von Anfang an ein Verfechter, ohne künstlichen
Sauerstoff und mit so wenig Aufwand wie möglich, im alpinen Stil
eben, auf die höchsten Berge der Erde zu kommen. Zusammen mit Messner
gelingen in den folgenden Jahren sieben Achttausender-Besteigungen. Reinhold
Messner ist von Kammerlanders Fähigkeiten überzeugt: "Hans
hat alle Voraussetzungen, um schwierige Wände an den höchsten
Bergen der Welt zu durchsteigen: das Kletterkönnen, die Kondition,
den Instinkt. Er ist höhentauglich, ruhig und auch in kritischen
Situationen nicht aus dem inneren Gleichgewicht zu bringen."
Messner und Kammerlander erreichen im zweiten Versuch den Gipfel des Cho
Oyu und schaffen 1984 die erste Überschreitung zweier Achttausender
an Hidden Peak und Gasherbrum II. Hans Kammerlander sagt danach: "Es
waren die härtesten 8 Tage meines Lebens." Es folgen die
Annapurna, erste Begehung der Nordwestwand, und der Dhaulagiri Nordostsporn
im Alpenstil. Makalu und Lhotse gelingen 1986. Mit dem Lhotse hat Reinhold
Messner alle 14 Achttausender bestiegen. Hans muss neue Partner für
den Himalaja finden, vor allem die lästige Organisation von da an
komplett selbst übernehmen, eine Herausforderung, die er zu Anfang
unterschätzt hatte. "Reinhold hat mir die ganze Organisation
der Expeditionen abgenommen, die hasse ich, die mag ich nicht gern",
sagt er damals selbst. Als leidenschaftlicher Skifahrer, der es bei zahlreichen
Steilabfahrten in den Alpen zur Perfektion gebracht hat, keimt in Hans
die Idee, auch an den höchsten Bergen im Himalaja die Ski einzusetzen,
ja letztendlich sogar vom Dach der Welt abzufahren. Und so steigt er 1990
zusammen mit Diego Wellig auf den Nanga Parbat, wagt als erster eine Skiabfahrt
über die Diamirwand. Alles geht gut ein weiterer Höhepunkt
in seinem Bergsteigerleben!
Im folgenden Jahr soll es auf den 8163 m hohen Manaslu gehen, tragisch
kommen zwei Teilnehmer dabei ums Leben: Hans Kammerlanders Grödner
Kletterpartner Carlo Großrubatscher stürzt ab und Friedl Mutschlechner,
sein enger Freund und Lehrmeister, wird durch Blitzschlag getötet.
Hans ist vom Tod der beiden schwer getroffen, braucht erst einmal Zeit,
um sich neue Ziele zu setzen.
Ich
habe in den letzten Jahren wirklich gelernt umzukehren. Auch wenn ich
das Gefühl habe, es müsste doch noch gehen ...
Zusammen
mit Christoph Hainz gelingt indes bald die erste Begehung des Nordpfeilers
am 6543 m hohen Shivling in Indien, er steht auf dem Broad Peak und
fährt ab 7000 m Höhe wieder auf Skiern ab. 1996 packt er die
Shisha Pangma. Im selben Jahr kann Hans seinen großen Traum verwirklichen:
eine Skiabfahrt vom Gipfel des Mount Everest, noch dazu nach nur 17
Stunden Aufstieg ab 6400 m! Hans Kammerlanders aufsehenerregendste Unternehmung,
die ihm weltweit Ruhm und Bekanntheit auch bei Nichtbergsteigern
einbringt und die er selbst als seinen größten Erfolg bezeichnet.
Es folgt der Kangchendzönga mit anschließender Skibefahrung
aus 7500 m Höhe. Drei Anläufe macht er am K2, einmal gibt
er keine 200 Hm vor dem Gipfel wegen zu viel Schnee und Lawinengefahr
auf. Dass Hans Kammerlander an den höchsten Bergen der Welt nicht
umgekommen ist, liegt mit Sicherheit auch an seiner Fähigkeit,
die Entscheidung treffen zu können, eine Besteigung so greifbar
nahe vor dem Gipfel doch noch abzubrechen. "Ich habe in den
letzten Jahren wirklich gelernt umzukehren. Auch wenn ich das Gefühl
habe, es müsste doch noch gehen. ... Ich habe ja die Möglichkeit
wiederzukommen." Und 2001 kommt er erneut zum K2, erreicht
mit Jean-Christoph Lafaille über die Cesen-Route sicher den Gipfel.
Die Skiabfahrt allerdings muss er wegen zu schlechter Bedingungen aufgeben
das Risiko ist einfach zu hoch!
13 Achttausender hat Hans Kammerlander bestiegen, zum Manaslu will er
nicht noch einmal, will keine alten Wunden aufreißen. Alle 14
zu besteigen, darin sieht er kein echtes Ziel. Wichtiger sind ihm neue
Herausforderungen an Sechs- und Siebentausendern, an denen vorher noch
keiner erfolgreich war.
Das Fernsehen ist live dabei, als Hans Kammerlander und der Kameramann
Hartmann Seeber 2002 den 6856 m hohen Ama Dablam besteigen, zweimal
bricht er wegen schlechter Bedingungen die Versuche der ersten Besteigung
des Mittelpfeilers am Nuptse East ab, mit 7804 m der höchste damals
noch nicht bestiegene Gipfel, ein anderer Bergsteiger kommt ihm kurz
darauf zuvor. 2005 zieht es Hans zusammen mit Karl Unterkircher und
Lois Brugger zum 7350 m hohen Jasemba, die Erstbegehung des zentralen
Pfeilers soll versucht werden, Schlechtwetter vereitelt alle Bemühungen.
Schon 2006 sind sie wieder am Berg. Für Lois Brugger mit einem
schrecklichen Ende: Durch einen Absturz kommt er ums Leben. Hans
Kammerlander will dennoch zurück zum Jasemba, im Gedenken an den
Freund einen neuen Versuch starten.
Um
die 2000 Klettertouren in den Alpen, davon 50 Erstbegehungen und 60
Alleinbegehungen im VI. Grad, kann Hans Kammerlander für sich verbuchen.
Um die 2000
Klettertouren in den Alpen, davon 50 Erstbegehungen und 60 Alleinbegehungen
im VI. Grad, kann Hans Kammerlander für sich verbuchen. Darunter
natürlich die Klassiker Eiger-Nordwand, Matterhorn Nordwand, Grandes
Jorasses Nordwand, die Drei Zinnen Nordwände, Marmolada Südwand,
Civetta Nordwestwand und Heiligkreuzkofel oder auch die Fleischbank-Pfeiler
"Rebitsch-Risse". Er war am Cerro Torre zusammen mit Wolfgang
Müller, nur 17 Stunden benötigen sie für den Auf- und Abstieg
auf der Maestriführe. Als Werner Herzog seinen Spielfilm "Schrei
aus Stein" in Patagonien realisiert, gehört Hans Kammerlander
zum Team. Zusammen mit Reinhold Messner wandert und klettert er 1200 km
"Rund um Südtirol". In sechs Wochen besteigen sie über
300 Gipfel und bewältigen 100.000 Hm, eine Leistung ganz anderer
Art. Wie auch die 24-Stunden-Nordwände-Tour: Mit Hans-Peter Eisendle
steigt Hans durch die Nordwände von Ortler und Große Zinne,
sie überwinden dabei die fast 250 km Wegstrecke durch Südtirol
mit dem Fahrrad. Am Matterhorn das Enchaînement mit Diego Wallig.
Alle vier Grate im Auf- und Abstieg in 24 Stunden!
Bergführer ist Hans Kammerlander weiterhin mit großer Begeisterung,
geht auch hier bisweilen ungewöhnliche Wege. So organisiert er z.
B. ein 36-Stunden-Dauerwandern für seine Gäste. Seine zahlreichen
Vorträge sind ausverkauft, mehrere spannende Bücher hat er geschrieben
und wird 2002 zum "Offiziellen Botschafter der Berge" im "Internationalen
Jahr der Berge" in Berlin ernannt, engagiert sich für die Nepalhilfe.
Bei allen Erfolgen ist Hans Kammerlander der nette und bescheidene Mensch
geblieben, der er immer war, hängt an seinen Oldtimer-Autos, sammelt
gute Weine, ist noch immer am liebsten zu Hause in seinem Heimatdorf Ahornach.
Zum 50sten hat die Gemeinde Sand in Taufers "ihrem" Hans Kammerlander
als besonderes Geschenk einen Dorfplatz gewidmet und stellt auch die Mittel
zur Verfügung, damit er ein "Open-Air-Museum" mit Ausstellungsstücken
von seinen Expeditionen realisieren kann. Ans Aufhören mit der Bergsteigerei
denkt er noch lange nicht, Hans ist noch voller Spannung und alpinistischer
Kreativität, will seinen Fähigkeiten und seiner Gesundheit entsprechend
weitermachen, so lange es geht, um schließlich im ganz hohen Alter
noch einmal auf den Moosstock zu steigen, wo alles begann!
Einst definierte Anderl Heckmair einmal, was er unter einem Bergsteiger
versteht: "Ein Bergsteiger ist meines Erachtens nicht einer, der
nur extreme Touren unternimmt oder nur eine zeitlang bergsportlich
tätig ist, sondern einer, der auf Dauer dem Berg im weitesten Sinne
als Lebensideal und inhalt verbunden bleibt." Demnach ist
wohl Hans Kammerlander ein wirklicher, ein echter, ein wahrhaftiger Bergsteiger
durch und durch! |