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Weiße Hölle Weißsee

Zwangsarbeit in 2.300 m Höhe

Von Dr. Nicole Slupetzky
Weiße Hölle Weißsee

Weiße Hölle - Hölle Weißsee?

Im Nebenlager Weißsee waren Menschen vieler Nationalitäten vertreten, die aber alle eine Gemeinsamkeit hatten: Sie mussten hier in 2.300 m Höhe Schwerstarbeit leisten und dabei oftmals Höllenqualen erleiden. Ukrainer, Polen, Russen, Franzosen, Griechen, Tschechen, Jugoslawen und Belgier, aber auch Deutsche und Österreicher kamen zum Einsatz. Die wenigsten von ihnen hatten Erfahrung im Stollen- oder Kraftwerksbau und waren zudem nicht an die Arbeit im Hochgebirge gewöhnt. Temperaturen unter Null waren auch im Sommer keine Seltenheit, die Luft war in diesen Höhen schon spürbar dünner und erschwerte jede körperliche Anstrengung. Vor 1943 handelte es sich bei den Arbeitskräften hauptsächlich um Zwangsarbeiter, d.h. zivile Ausländer. Mit 1943 verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage im Deutschen Reich, weshalb die Baufirmen nun verstärkt auf Insassen von Konzentrationslagern setzten. Von diesem Zeitpunkt an galt auch das Lager Weißsee als Nebenlager des Konzentrationslagers Dachau und wurde nach Bedarf mit Arbeitern "beliefert".

Als "Kälteschutz" durften sogenannte "Politische" ein Stück Zeitungspapier verwenden.

Die Qualen begannen aber nicht erst mit der Ankunft im Lager Weißsee, sondern schon beim Transport. Mit Viehwaggons wurden die Gefangenen nach Uttendorf verfrachtet, wo sie halbverhungert und -verdurstet ankamen. Egal wie der körperliche Zustand der Gefangenen war, sie wurden weiter zur Rudolfshütte geschickt.
Von Uttendorf folgte eine 17 km lange Anfahrt zum Enzingerboden, von wo man die Häftlinge entweder mit der Materialseilbahn zum Weißsee brachte oder sie noch einem 3-Stunden-Fußmarsch aussetzte. Ihre Ausrüstung und Kleidung unterschied sich nur kaum von jener ihrer Schicksalsgenossen in Dachau. Dünne Strafgefangenenkleidung aus Leinen oder Baumwolle und dünne Lederschuhe oder Holzschuhe waren auch für die Arbeiter am Weißsee üblich. Die Holzschuhe waren für die Arbeit im Hochgebirge absolut nicht geeignet, weshalb die Deutsche Reichsbahn den Arbeitern schwere Lederschuhe zur Verfügung stellte. Zusätzlich bekamen manche noch Fausthandschuhe, Pullover und Mantel.(48) Politischen Häftlingen aus Österreich wurde selbst dies nicht gestattet. Als "Kälteschutz" durften sogenannte "Politische" ein Stück Zeitungspapier verwenden, wobei selbst das genauestens kontrolliert wurde, so Heinrich Fritz in seiner Biographie.(49) Alle waren für dieses Klima unzureichend ausgerüstet und mussten dadurch Erfrierungen erleiden. Diese Tatsache fiel sogar einer jungen Tourengeherin auf, die sich im Mai 1943 auf der Rudolfshütte für einige Tage aufgehalten hatte.(50)

Setzung eines Sprengsatzes (38), Reproduktion SLA
Setzung eines Sprengsatzes (38)

Die meisten der KZ-Insassen waren mit Fluchtpunkten aus rotem Stoff gezeichnet, die an besonders markanten Körperteilen angebracht wurden, wie Brust und Rücken. Damit waren die Häftlinge gut sichtbar und ein leichteres Schussziel.(51)
Einmal im Lager Weißsee angekommen, wurde man vom Lagerführer, SS-Hauptsturmführer Maier, "empfangen" und anschließend zur Arbeit eingeteilt. Die einzelnen Arbeitskommandos bestanden aus ca. 10 bis 15 Personen, die einem österreichischen oder deutschen (manchmal holländischen) Vorarbeiter unterstellt waren.(52) Die Gesamtüberwachung des Lagers war der SS unterstellt, die sich in der Rudolfshütte einquartiert hatte.
Die Unterbringung war ebenso spärlich eingerichtet, wie gut gesichert. Drei aufeinanderfolgende Baracken waren von massivem Stacheldraht umgeben, um jegliche Flucht zu verhindern. Jede Baracke bestand aus zwei großen Schlafräumen mit dreistöckigen Betten, jedes mit einem Strohsack ausgestattet. In der Mitte des Raumes gab es einen kleinen Ofen, der bei weitem nicht ausreichte.

Egal, welches Wetter herrschte, ob Sturm, Schnee, Regen oder Sonnenschein, um 5 Uhr morgens war Tagwache.

Bei der Unterbringung wurde auch auf Nationalitäten keine Rücksicht genommen. Man wurde dort untergebracht, wo Platz war und nicht, wo sich jene befanden, mit denen man sich unterhalten konnte; Zeit zum Unterhalten blieb den Lagerinsassen ohnehin nur selten.

5 Uhr TagwacheEgal, welches Wetter herrschte, ob Sturm, Schnee, Regen oder Sonnenschein, um 5 Uhr morgens war Tagwache. Nach gemeinsamer Morgentoilette mussten die Gefangenen eine halbe Stunde später zum Appell anrücken. Nach dem kurzen Frühstück - Brot mit etwas Margarine - musste jeder zu seiner Arbeitsstelle marschieren. Bei Sonnenaufgang wurde bereits gearbeitet. Ein lautes Signal läutete zum Mittagessen. Wenn es in den Baracken eingenommen wurde, musste man erneut den rund 20-minütigen Fußmarsch hin und retour in Kauf nehmen, um etwas Suppe und Schwarzbrot zu bekommen. Wenn die Gefangenen im Freien ihr Essen vorgesetzt bekamen, waren sie Wind und Kälte ausgesetzt. Um sich dagegen zu schützen, gruben sie sich Schneelöcher, was aber wiederum körperliche Anstrengung bedeutete. Nach einer Stunde "Pause" - oft wurden die Pausen aber nicht eingehalten - wurde die Arbeit bis Sonnenuntergang unvermindert fortgesetzt. Zwölf bis dreizehn Stunden Arbeit täglich waren die Regel, Tag für Tag, außer sonntags, da wurde nachmittags nicht gearbeitet, außer man meldete sich "freiwillig" zum Dienst.(53)

Wer zuviel Nägel verloren hatte, musste mit einer Prügelstrafe rechnen.

Frühjahr 1943Trotz aller Müdigkeit war der Tag nach absolvierter Arbeit noch nicht zu Ende. Beim Abendappell kontrollierten die Wachposten täglich die schweren Schuhe, die von der Reichsbahn zur Verfügung gestellt worden waren, ob noch alle Nägel - "Tschernken" - vorhanden waren. Fehlte einer, was bei dieser Arbeit nicht selten war, wurde der Häftling aufgeschrieben. Wer zuviel Nägel verloren hatte, musste mit einer Prügelstrafe rechnen. Mit Ochsenziemern wurde dann auf die "Übeltäter" eingeschlagen. Diese Strafe wurde aber nicht, wie Heinrich Fritz berichtete, von den Wehrmachtsangehörigen oder der SS vorgenommen, sondern von ausgewählten Lagerinsassen. Die körperlichen Züchtigungen fielen oftmals so heftig aus, dass der Betroffene mehrere Tage nicht arbeiten konnte.(54)
Ein Großteil der Häftlinge nach 1943 wurde im Steinbruch eingesetzt und nicht mehr im eigentlichen Stollenbau. Andere wiederum mussten täglich in Richtung Tauernmoos marschieren, um die Wegarbeiten zu verrichten - unabhängig von der Wetterlage. Manchmal kam es auch vor, dass einige Häftlinge tageweise an Baustellen im Tal eingesetzt wurden. Morgens wurden diese Arbeiter mit der Materialseilbahn ins Tal gebracht und abends wieder zurück. Vier Häftlinge und zwei SS-Männer waren pro Kommando vorgesehen. Häufig passierte es, dass die Bahn unterwegs stecken blieb, was wiederum bedeutete, dass die Arbeiter einen mühsamen Fußmarsch in Kauf nehmen mussten und erst mitten in der Nacht wieder in ihren Baracken eintrafen. Dennoch war auch für sie um 5 Uhr morgens wieder Tagwache.  

"Bis 4 Uhr früh mühten wir uns den Berg hinauf. Total erschöpft, halb erfroren, nass, fielen wir auf unsere Strohsäcke. Als es Tag wurde, jagte man uns wieder hinaus auf den Appellplatz, zur Arbeit, zum Steineschleppen ..."(55)

Es kam aber auch vor, dass die Materialseilbahn, die ursprünglich nicht für den Personenverkehr vorgesehen war, mitsamt den Insassen stecken blieb. Diese mussten auf mühsamste Weise mittels Seil geborgen werden, da sich die Bahn teilweise Hunderte Meter über dem Boden bewegte.(56)

lm Steinbruch ist die Hölle los. Ausgehungert, bei großer Kälte in Eis und Schnee, brechen viele Häftlinge vor Ermattung zusammen.

Die schwerste Arbeit bedeutete jedoch sicherlich der Steinbruch. Riesige Felsbrocken mussten geschleppt werden. Schon unter normalen Umständen wäre dies Schwerstarbeit; mit den ausgemergelten, verhungerten Körpern, die Häftlinge hatten, war das oft ein hoffnungsloses Unterfangen. Martin Wolff, KZ-Insasse im Lager Weißsee, beschrieb seine Erlebnisse folgendermaßen:

"lm Steinbruch ist die Hölle los. Ausgehungert, bei großer Kälte in Eis und Schnee, brechen viele Häftlinge vor Ermattung zusammen. Jeden Tag haben wir mehrere Tote, denn wer kraftlos zusammenbricht, bleib liegen und erfriert. Andere, die seelisch diese Marter nicht ertragen können, fliehen von der Arbeitsstelle. Da die Bewachung im Gebirge nicht so streng ist, kann man verhältnismäßig leicht fliehen. Jedoch hat man keine Chance, durch Eis und Schnee in diesem Gebirge einen Weg in die Freiheit zu finden. Die Fliehenden werden wahrscheinlich ausnahmslos in der Eis- wüste umkommen, das ist mir klar."(57)

In der Tat wurden die KZ-Insassen nicht immer auf das Schärfste bewacht, denn den Aufsehern war klar, dass Fluchtversuche aussichtslos waren. Das Lager war von 3.000 m hohen Bergen umgeben, die allesamt vergletschert waren. Die Chancen auf eine erfolgreiche Flucht waren somit gleich null. Die einzige Möglichkeit bestand darin, in Richtung Tal zu flüchten, wo allerdings das Risiko zu hoch war, wieder eingefangen zu werden. Dennoch war bei manchen die Verzweiflung so groß, dass es manche Häftlinge trotz der widrigsten Umstände versuchten. Eines Morgens herrschte größte Aufregung, da über Nacht sechs Franzosen geflüchtet waren. Es dauerte allerdings nicht lange, bis fünf von ihnen wieder zurückkamen. Bereits am Abend desselben Tages kehrten die Flüchtige "freiwillig" wieder in das Lager zurück. Nur einer wurde nicht mehr gefunden. Die anderen mussten die schmerzliche Erfahrung machen, dass es hier oben kaum eine Chance zur Flucht gab. Vom Lagerführer wurde derartiges Verhalten nicht geduldet, die Zurückgekehrten wurden geprügelt. Mit Händen und Füßen und dem Ochsenschwanzriemen wurde auf ihren ganzen Körper eingeschlagen. Als wäre das nicht Strafe genug, mussten sie splitternackt im Freien bleiben. Zwei Tage dauerte die Strafe und endete mit zahlreichen Erfrierungen, Platzwunden, Blutergüssen, sodass Gesicht und Körper verschwollen waren, die kahlrasierten Köpfe rot vom Sonnenbrand. Ihre abgemagerten Körper wurden dadurch noch weiter geschwächt.(58)

Fluchtversuche waren aussichtslos. Das Lager war von 3.000 m hohen, vergletscherten Bergen umgeben.

Es bedurfte aber keiner Flucht, um die aggressive Vorgehensweise der Aufseher kennen zu lernen. Auch im Steinbruch gingen die Bewacher mit ihren Arbeitern nicht zimperlich um. Viele brachen unter der Last der Arbeit zusammen, was eine Bestrafung zur Folge hatte. Jeder Widerstand war zwecklos. Martin Wolff hatte im Herbst 1944 versucht, dem SS-Bewacher zu erklären, dass er den Felsblock nicht alleine bewältigen könne. Die Reaktion des SS-Mannes war heftig, allerdings nicht verbal. Dieser zog ein Bajonett und stach Wolff in die rechte Brust und verletzte ihn stark. Dem Lagerführer erzählte der SS-Mann, dass Wolff ihn angegriffen habe; einem Gefangenen wurde ohnehin nicht geglaubt. Nach kurzer Behandlung der Stichwunde musste Wolff wieder an die Arbeit, die ihm nun noch schwerer fiel. Wenige Tage später brach er im Steinbruch zusammen. Der Lagerarzt verordnet einige Tage Bettruhe. Wolff hatte "Glück", er musste nicht mehr in den Steinbruch zurückkehren, da sein Kommando aufgelöst und wieder zurück nach Dachau gesandt wurde.(59)
Viele der Häftlinge blieben hier "nur" einige Wochen, ohne Schwierigkeiten konnten jederzeit neue Häftlinge von Dachau angefordert werden. Wenn jemand zu schwach zum Arbeiten war, konnte er auch dorthin zurückgeschickt werden. Die Häftlinge waren am Weißsee Torturen ausgesetzt, die an ihnen nicht spurlos vorübergingen und manche von ihnen mit dem Leben bezahlten. Wie viele tatsächlich starben, ist nicht bekannt, ebenso wenig ob es zu bewussten Tötungen gekommen war. Hier starb man eines "natürlichen" Todes.
Nachdem sich für das Deutsche Reich schon die Niederlage abzeichnete, wurden alle wirtschaftlichen Möglichkeiten genutzt, um Geld zu sparen, was sich zum Beispiel bei der Nahrungsausgabe an die Häftlinge bemerkbar machte. Die Reichsbahn war aber daran interessiert, dass diese zur Arbeit noch fähig waren, ansonsten konnte überhaupt kein Fortschritt erzielt werden, und sprach sich gegen weitere Kürzungen der Essensrationen aus. Ein Vertreter der Reichsbahn beschwerte sich deswegen in Dachau und setzte sein Anliegen durch. Mit noch weniger Essen wäre keine sinnvolle Arbeit mehr möglich gewesen.(60) Das gleiche Schicksal der Häftlinge bedeutete nicht, dass es einen guten Zusammenhalt im Lager Weißsee gab. Es bildeten sich verschiedene nationale Gruppierungen, die sich untereinander unterstützten. Wie in vielen Lagern gab es auch hier Lagerinsassen, die als Handlanger für die SS arbeiteten und ihre Mitgefangenen überwachten. In vielen Fällen wurde der Lagerälteste dazu auserkoren, dem dann als Waffe der Ochsenziemer ausgehändigt wurde. Oft glaubten diese "Henkersknechte" durch den Dienst für die Aufseher, ihre Freiheit erkaufen zu können, was aber in keinem der Fälle am Weißsee gelang. Auch sie wurden am Ende wieder nach Dachau gebracht. Erst nach dem Einmarsch der Amerikaner im Mai 1945 endete für alle die Zeit in der "Hölle Weißsee".(61)
Text:
Dr. Nicole Slupetzky
Bilder:
Privatsammlung Univ. Prof. Dr. Heinz Slupetzky / DI Rainer Kühne

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