Weiße
Hölle - Hölle Weißsee?
Im
Nebenlager Weißsee waren Menschen vieler Nationalitäten vertreten,
die aber alle eine Gemeinsamkeit hatten: Sie mussten hier in 2.300 m Höhe
Schwerstarbeit leisten und dabei oftmals Höllenqualen erleiden. Ukrainer,
Polen, Russen, Franzosen, Griechen, Tschechen, Jugoslawen und Belgier,
aber auch Deutsche und Österreicher kamen zum Einsatz. Die wenigsten
von ihnen hatten Erfahrung im Stollen- oder Kraftwerksbau und waren zudem
nicht an die Arbeit im Hochgebirge gewöhnt. Temperaturen unter Null
waren auch im Sommer keine Seltenheit, die Luft war in diesen Höhen
schon spürbar dünner und erschwerte jede körperliche Anstrengung.
Vor 1943 handelte es sich bei den Arbeitskräften hauptsächlich
um Zwangsarbeiter, d.h. zivile Ausländer. Mit 1943 verschlechterte
sich die wirtschaftliche Lage im Deutschen Reich, weshalb die Baufirmen
nun verstärkt auf Insassen von Konzentrationslagern setzten. Von
diesem Zeitpunkt an galt auch das Lager Weißsee als Nebenlager des
Konzentrationslagers Dachau und wurde nach Bedarf mit Arbeitern "beliefert".
Als
"Kälteschutz" durften sogenannte "Politische"
ein Stück Zeitungspapier verwenden.
Die
Qualen begannen aber nicht erst mit der Ankunft im Lager Weißsee,
sondern schon beim Transport. Mit Viehwaggons wurden die Gefangenen nach
Uttendorf verfrachtet, wo sie halbverhungert und -verdurstet ankamen.
Egal wie der körperliche Zustand der Gefangenen war, sie wurden weiter
zur Rudolfshütte geschickt.
Von Uttendorf folgte eine 17 km lange Anfahrt zum Enzingerboden, von wo
man die Häftlinge entweder mit der Materialseilbahn zum Weißsee
brachte oder sie noch einem 3-Stunden-Fußmarsch aussetzte. Ihre
Ausrüstung und Kleidung unterschied sich nur kaum von jener ihrer
Schicksalsgenossen in Dachau. Dünne Strafgefangenenkleidung aus Leinen
oder Baumwolle und dünne Lederschuhe oder Holzschuhe waren auch für
die Arbeiter am Weißsee üblich. Die Holzschuhe waren für
die Arbeit im Hochgebirge absolut nicht geeignet, weshalb die Deutsche
Reichsbahn den Arbeitern schwere Lederschuhe zur Verfügung stellte.
Zusätzlich bekamen manche noch Fausthandschuhe, Pullover und Mantel.(48)
Politischen Häftlingen aus Österreich wurde selbst dies nicht
gestattet. Als "Kälteschutz" durften sogenannte "Politische"
ein Stück Zeitungspapier verwenden, wobei selbst das genauestens
kontrolliert wurde, so Heinrich Fritz in seiner Biographie.(49)
Alle waren für dieses Klima unzureichend ausgerüstet und mussten
dadurch Erfrierungen erleiden. Diese Tatsache fiel sogar einer jungen
Tourengeherin auf, die sich im Mai 1943 auf der Rudolfshütte für
einige Tage aufgehalten hatte.(50)
Setzung eines Sprengsatzes (38)
Die
meisten der KZ-Insassen waren mit Fluchtpunkten aus rotem Stoff gezeichnet,
die an besonders markanten Körperteilen angebracht wurden, wie Brust
und Rücken. Damit waren die Häftlinge gut sichtbar und ein leichteres
Schussziel.(51)
Einmal im Lager Weißsee angekommen, wurde man vom Lagerführer,
SS-Hauptsturmführer Maier, "empfangen" und anschließend
zur Arbeit eingeteilt. Die einzelnen Arbeitskommandos bestanden aus ca.
10 bis 15 Personen, die einem österreichischen oder deutschen (manchmal
holländischen) Vorarbeiter unterstellt waren.(52)
Die Gesamtüberwachung des Lagers war der SS unterstellt, die
sich in der Rudolfshütte einquartiert hatte.
Die Unterbringung war ebenso spärlich eingerichtet, wie gut gesichert.
Drei aufeinanderfolgende Baracken waren von massivem Stacheldraht umgeben,
um jegliche Flucht zu verhindern. Jede Baracke bestand aus zwei großen
Schlafräumen mit dreistöckigen Betten, jedes mit einem Strohsack
ausgestattet. In der Mitte des Raumes gab es einen kleinen Ofen, der bei
weitem nicht ausreichte.
Egal,
welches Wetter herrschte, ob Sturm, Schnee, Regen oder Sonnenschein, um
5 Uhr morgens war Tagwache.
Bei
der Unterbringung wurde auch auf Nationalitäten keine Rücksicht
genommen. Man wurde dort untergebracht, wo Platz war und nicht, wo sich
jene befanden, mit denen man sich unterhalten konnte; Zeit zum Unterhalten
blieb den Lagerinsassen ohnehin nur selten.
Egal,
welches Wetter herrschte, ob Sturm, Schnee, Regen oder Sonnenschein, um
5 Uhr morgens war Tagwache. Nach gemeinsamer Morgentoilette mussten die
Gefangenen eine halbe Stunde später zum Appell anrücken. Nach
dem kurzen Frühstück - Brot mit etwas Margarine - musste jeder
zu seiner Arbeitsstelle marschieren. Bei Sonnenaufgang wurde bereits gearbeitet.
Ein lautes Signal läutete zum Mittagessen. Wenn es in den Baracken
eingenommen wurde, musste man erneut den rund 20-minütigen Fußmarsch
hin und retour in Kauf nehmen, um etwas Suppe und Schwarzbrot zu bekommen.
Wenn die Gefangenen im Freien ihr Essen vorgesetzt bekamen, waren sie
Wind und Kälte ausgesetzt. Um sich dagegen zu schützen, gruben
sie sich Schneelöcher, was aber wiederum körperliche Anstrengung
bedeutete. Nach einer Stunde "Pause" - oft wurden die Pausen
aber nicht eingehalten - wurde die Arbeit bis Sonnenuntergang unvermindert
fortgesetzt. Zwölf bis dreizehn Stunden Arbeit täglich waren
die Regel, Tag für Tag, außer sonntags, da wurde nachmittags
nicht gearbeitet, außer man meldete sich "freiwillig"
zum Dienst.(53)
Wer
zuviel Nägel verloren hatte, musste mit einer Prügelstrafe rechnen.
Trotz
aller Müdigkeit war der Tag nach absolvierter Arbeit noch nicht zu
Ende. Beim Abendappell kontrollierten die Wachposten täglich die
schweren Schuhe, die von der Reichsbahn zur Verfügung gestellt worden
waren, ob noch alle Nägel - "Tschernken" - vorhanden waren.
Fehlte einer, was bei dieser Arbeit nicht selten war, wurde der Häftling
aufgeschrieben. Wer zuviel Nägel verloren hatte, musste mit einer
Prügelstrafe rechnen. Mit Ochsenziemern wurde dann auf die "Übeltäter"
eingeschlagen. Diese Strafe wurde aber nicht, wie Heinrich Fritz berichtete,
von den Wehrmachtsangehörigen oder der SS vorgenommen, sondern von
ausgewählten Lagerinsassen. Die körperlichen Züchtigungen
fielen oftmals so heftig aus, dass der Betroffene mehrere Tage nicht arbeiten
konnte.(54)
Ein Großteil der Häftlinge nach 1943 wurde im Steinbruch eingesetzt
und nicht mehr im eigentlichen Stollenbau. Andere wiederum mussten täglich
in Richtung Tauernmoos marschieren, um die Wegarbeiten zu verrichten -
unabhängig von der Wetterlage. Manchmal kam es auch vor, dass einige
Häftlinge tageweise an Baustellen im Tal eingesetzt wurden. Morgens
wurden diese Arbeiter mit der Materialseilbahn ins Tal gebracht und abends
wieder zurück. Vier Häftlinge und zwei SS-Männer waren
pro Kommando vorgesehen. Häufig passierte es, dass die Bahn unterwegs
stecken blieb, was wiederum bedeutete, dass die Arbeiter einen mühsamen
Fußmarsch in Kauf nehmen mussten und erst mitten in der Nacht wieder
in ihren Baracken eintrafen. Dennoch war auch für sie um 5 Uhr morgens
wieder Tagwache.
"Bis 4 Uhr früh mühten wir
uns den Berg hinauf. Total erschöpft, halb erfroren, nass, fielen
wir auf unsere Strohsäcke. Als es Tag wurde, jagte man uns wieder
hinaus auf den Appellplatz, zur Arbeit, zum Steineschleppen ..."(55)
Es
kam aber auch vor, dass die Materialseilbahn, die ursprünglich nicht
für den Personenverkehr vorgesehen war, mitsamt den Insassen stecken
blieb. Diese mussten auf mühsamste Weise mittels Seil geborgen werden,
da sich die Bahn teilweise Hunderte Meter über dem Boden bewegte.(56)
lm
Steinbruch ist die Hölle los. Ausgehungert, bei großer Kälte
in Eis und Schnee, brechen viele Häftlinge vor Ermattung zusammen.
Die
schwerste Arbeit bedeutete jedoch sicherlich der Steinbruch. Riesige Felsbrocken
mussten geschleppt werden. Schon unter normalen Umständen wäre
dies Schwerstarbeit; mit den ausgemergelten, verhungerten Körpern,
die Häftlinge hatten, war das oft ein hoffnungsloses Unterfangen.
Martin Wolff, KZ-Insasse im Lager Weißsee, beschrieb seine
Erlebnisse folgendermaßen:
"lm
Steinbruch ist die Hölle los. Ausgehungert, bei großer Kälte
in Eis und Schnee, brechen viele Häftlinge vor Ermattung zusammen.
Jeden Tag haben wir mehrere Tote, denn wer kraftlos zusammenbricht,
bleib liegen und erfriert. Andere, die seelisch diese Marter nicht ertragen
können, fliehen von der Arbeitsstelle. Da die Bewachung im Gebirge
nicht so streng ist, kann man verhältnismäßig leicht
fliehen. Jedoch hat man keine Chance, durch Eis und Schnee in diesem
Gebirge einen Weg in die Freiheit zu finden. Die Fliehenden werden wahrscheinlich
ausnahmslos in der Eis- wüste umkommen, das ist mir klar."(57)
In
der Tat wurden die KZ-Insassen nicht immer auf das Schärfste bewacht,
denn den Aufsehern war klar, dass Fluchtversuche aussichtslos waren. Das
Lager war von 3.000 m hohen Bergen umgeben, die allesamt vergletschert
waren. Die Chancen auf eine erfolgreiche Flucht waren somit gleich null.
Die einzige Möglichkeit bestand darin, in Richtung Tal zu flüchten,
wo allerdings das Risiko zu hoch war, wieder eingefangen zu werden. Dennoch
war bei manchen die Verzweiflung so groß, dass es manche Häftlinge
trotz der widrigsten Umstände versuchten. Eines Morgens herrschte
größte Aufregung, da über Nacht sechs Franzosen geflüchtet
waren. Es dauerte allerdings nicht lange, bis fünf von ihnen wieder
zurückkamen. Bereits am Abend desselben Tages kehrten die Flüchtige
"freiwillig" wieder in das Lager zurück. Nur einer wurde
nicht mehr gefunden. Die anderen mussten die schmerzliche Erfahrung machen,
dass es hier oben kaum eine Chance zur Flucht gab. Vom Lagerführer
wurde derartiges Verhalten nicht geduldet, die Zurückgekehrten wurden
geprügelt. Mit Händen und Füßen und dem Ochsenschwanzriemen
wurde auf ihren ganzen Körper eingeschlagen. Als wäre das nicht
Strafe genug, mussten sie splitternackt im Freien bleiben. Zwei Tage dauerte
die Strafe und endete mit zahlreichen Erfrierungen, Platzwunden, Blutergüssen,
sodass Gesicht und Körper verschwollen waren, die kahlrasierten Köpfe
rot vom Sonnenbrand. Ihre abgemagerten Körper wurden dadurch noch
weiter geschwächt.(58)
Fluchtversuche waren aussichtslos. Das Lager war von 3.000 m hohen, vergletscherten
Bergen umgeben.
Es
bedurfte aber keiner Flucht, um die aggressive Vorgehensweise der Aufseher
kennen zu lernen. Auch im Steinbruch gingen die Bewacher mit ihren Arbeitern
nicht zimperlich um. Viele brachen unter der Last der Arbeit zusammen, was
eine Bestrafung zur Folge hatte. Jeder Widerstand war zwecklos. Martin
Wolff hatte im Herbst 1944 versucht, dem SS-Bewacher zu erklären,
dass er den Felsblock nicht alleine bewältigen könne. Die Reaktion
des SS-Mannes war heftig, allerdings nicht verbal. Dieser zog ein Bajonett
und stach Wolff in die rechte Brust und verletzte ihn stark. Dem Lagerführer
erzählte der SS-Mann, dass Wolff ihn angegriffen habe; einem Gefangenen
wurde ohnehin nicht geglaubt. Nach kurzer Behandlung der Stichwunde musste
Wolff wieder an die Arbeit, die ihm nun noch schwerer fiel. Wenige Tage
später brach er im Steinbruch zusammen. Der Lagerarzt verordnet einige
Tage Bettruhe. Wolff hatte "Glück", er musste nicht mehr
in den Steinbruch zurückkehren, da sein Kommando aufgelöst und
wieder zurück nach Dachau gesandt wurde.(59)
Viele der Häftlinge blieben hier "nur" einige Wochen, ohne
Schwierigkeiten konnten jederzeit neue Häftlinge von Dachau angefordert
werden. Wenn jemand zu schwach zum Arbeiten war, konnte er auch dorthin
zurückgeschickt werden. Die Häftlinge waren am Weißsee Torturen
ausgesetzt, die an ihnen nicht spurlos vorübergingen und manche von
ihnen mit dem Leben bezahlten. Wie viele tatsächlich starben, ist nicht
bekannt, ebenso wenig ob es zu bewussten Tötungen gekommen war. Hier
starb man eines "natürlichen" Todes.
Nachdem sich für das Deutsche Reich schon die Niederlage abzeichnete,
wurden alle wirtschaftlichen Möglichkeiten genutzt, um Geld zu sparen,
was sich zum Beispiel bei der Nahrungsausgabe an die Häftlinge bemerkbar
machte. Die Reichsbahn war aber daran interessiert, dass diese zur Arbeit
noch fähig waren, ansonsten konnte überhaupt kein Fortschritt
erzielt werden, und sprach sich gegen weitere Kürzungen der Essensrationen
aus. Ein Vertreter der Reichsbahn beschwerte sich deswegen in Dachau und
setzte sein Anliegen durch. Mit noch weniger Essen wäre keine sinnvolle
Arbeit mehr möglich gewesen.(60) Das gleiche
Schicksal der Häftlinge bedeutete nicht, dass es einen guten Zusammenhalt
im Lager Weißsee gab. Es bildeten sich verschiedene nationale Gruppierungen,
die sich untereinander unterstützten. Wie in vielen Lagern gab es auch
hier Lagerinsassen, die als Handlanger für die SS arbeiteten und ihre
Mitgefangenen überwachten. In vielen Fällen wurde der Lagerälteste
dazu auserkoren, dem dann als Waffe der Ochsenziemer ausgehändigt wurde.
Oft glaubten diese "Henkersknechte" durch den Dienst für
die Aufseher, ihre Freiheit erkaufen zu können, was aber in keinem
der Fälle am Weißsee gelang. Auch sie wurden am Ende wieder nach
Dachau gebracht. Erst nach dem Einmarsch der Amerikaner im Mai 1945 endete
für alle die Zeit in der "Hölle Weißsee".(61) |