Die
Nachkriegszeit
Im
Frühjahr 1945 wurde die Arbeit am Weißsee eingestellt, das
Gebiet, insbesondere der Enzingerboden, als Fluchtpunkt von der SS genutzt,
in der Hoffnung hier nicht entdeckt zu werden. Diese Hoffnung wurde aber
enttäuscht, die US-Truppen durchkämmten die gesamte Region.(62)
An ein Weiterarbeiten wurde am Weißsee vorläufig nicht
gedacht.
Die Zeit des Stillstands dauerte aber nicht lang, denn die wiedergegründeten
Österreichischen Bundesbahnen wollten den Kraftwerksbau nun endlich
abschließen. Schon 1946 kamen die ersten Arbeiter der ÖBB zum
Weißsee und fanden das Lager Weißsee noch so vor, wie es wenige
Monate zuvor von den Häftlingen und den Aufsehern verlassen worden
war.(63) Der Stacheldraht wurde ab- und die Baracken
umgebaut, aber weitergenutzt. Die Arbeiten sollten fortgesetzt werden.
Im Juni 1947 wurde um die Genehmigung zur Erweiterung des Weißseespeichers
und die Errichtung der Sperren angesucht. Damit wollten die ÖBB die
Pläne der Deutschen Reichsbahn übernehmen und bezogen sich in
vielen Dingen auf die Gutachten und Arbeitsschritte der nationalsozialistischen
Führung. So konnte man mit den Arbeiten direkt dort anschließen,
wo 1945 unterbrochen worden war.(64)
Das Barackenlager wurde von den ÖBB erweitert und die Arbeiten in
Angriff genommen. Allerdings war die wirtschaftliche Lage noch zu schlecht,
um Fortschritte zu erzielen. Hinzu kam, dass im Dezember 1945 das Lager
Tauernmoos vollständig abgebrannt war,(65) ein
Teil der Transportseilbahn 1947 durch Feuer vernichtet wurde und ein Jahr
später neu errichtet werden musste.(66)
Für
den Verlust der Rudolfshütte erhielt die Sektion Austria des Österreichischen
Alpenvereins drei Baracken zur Verfügung gestellt. Das sogenannte
"Austria Dörfl" wurde für die Bewirtschaftung
der Gäste genutzt.
Erst
in den Jahren 1950 bis 1952 wurde der Bau der Mauern massiv vorangetrieben.
Die Oberhoheit lag nun in den Händen der Österreichischen Bundesbahnen,
die Bauaufsicht blieb bei denselben Unternehmen, die schon während
des Krieges im Einsatz waren und auf die Arbeit Hunderter Zwangsarbeiter,
Kriegsgefangener und KZ-Häftlinge zurückgegriffen hatten; das
tat dem jetzigen Fortschritt keinen Abbruch. 1951 wurde eine neue Personenseilbahn
errichtet, die vom Enzingerboden über den Tauernmoossee zum Weißsee
reichte. Diese Seilbahn, die zwar zunächst für Dienstzwecke
errichtet worden war, wurde bald das Tor zur Berg- und Gletscherwelt für
viele Skifahrer und Touristen. 1952 wurde der Bau der Staumauern erfolgreich
abgeschlossen, was das Ende der alten Rudolfshütte an der bisherigen
Stelle bedeutete. Die Rudolfshütte lag bei Vollstau in der Höhe
des Wasserspiegels des Weißsees. Bis zum ersten Stock wäre
das Gebäude überflutet worden, weshalb die Rudolfshütte
gesprengt werden musste. Im September 1953 erfolgte der erste Vollstau.(67)
Für den Verlust der Rudolfshütte erhielt die Sektion Austria
des Österreichischen Alpenvereins drei Baracken zur Verfügung
gestellt. Das sogenannte "Austria Dörfl" wurde für
die Bewirtschaftung
der Gäste genutzt.(68) Dieses idyllisch genannte
"Austria Dörfl" war jedoch nichts anderes als jene drei
Baracken, in denen wenige Jahre zuvor noch KZ-Insassen untergebracht waren.
"Austria
Dörfl" bzw. die drei Wohnbaracken der KZ-Häftlinge (69)
Nichts
deutete mehr auf diese tragische Tatsache hin. Der Fortschritt stand im
Mittelpunkt und damit der Neubau der Rudolfshütte, die 1958 wiedereröffnet
wurde. Das "Austria Dörfl" verschwand endgültig. Nur
noch Fundamente blieben zurück. Mit dem Verschwinden dieser Baracken
verschwand auch der letzte Hinweis auf ein dunkles Kapitel der Region
und die Erfolgsstory der Nachkriegszeit konnte - ähnlich wie in Kaprun
- beginnen.
Die
Rudolfshütte wurde zur größten Alpenvereinshütte.
Sie wurde idealer Ausgangspunkt für jeden Bergsteiger und Schiläufer.
In den 50er Jahren wurde der Weißsee sogar zum Trainingsgebiet für
die Alpinausbildung des "Mountain Training Center" der US-Army.
Die Personenseilbahn ermöglichte es auch Tausenden Touristen ins
Hochgebirge zu kommen und die Kombination Technik und Natur für ihre
Erholung nutzen!(70)
Die
ÖBB nutzten die Wasserwirtschaft für die Elektrifizierung der
Bahnstrecken und setzten den Aus- und Umbau kontinuierlich fort. Anfang
der 1970er Jahre wurde am Tauernmoos die längste Sperre Europas mit
1,1 km Länge in Angriff genommen und 1973 fertiggestellt. Die Österreichischen
Bundesbahnen leisteten damit einen beträchtlichen Beitrag zur Bauwirtschaft
im Land Salzburg. Mit der Vergangenheit hatte man abgeschlossen.
Mit
der Vergangenheit hatte man abgeschlossen.
Dieses Kapitel der Vergangenheit abzuschließen, dazu waren die ehemaligen
Inhaftierten nicht imstande. Die Geschehnisse waren zu prägend gewesen
und zu schmerzlich, um vergessen zu können. Die Zeit am Weißsee
und seine Umgebung verfolgte viele ihr Leben lang. Erst Mitte der 60er
Jahre wurden Vorermittlungen begonnen, ob am Weißsee Tötungsdelikte
oder andere Verbrechen vorgefallen waren. Acht (!) Zeugen wurden daraufhin
zu ihrem Aufenthalt am Weißsee befragt. Keiner dieser Zeugen hatte
Tötungsdelikte persönlich gesehen oder konnte sich daran erinnern.
Die Erhebungen wurden beendet, noch ehe sie richtig begonnen hatten, denn
die meisten bekannten Delikte waren bereits verjährt!(71)
Damit kam es nie zu einer Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte
und lieferte die perfekte Basis zur Verdrängung.
Bis
vor Kurzem war das Alpinzentrum Rudolfshütte das größte
alpine Ausbildungszentrum Österreichs. In der Umgebung erinnert nichts
mehr an die tragischen Jahre 1938 bis 1945. Nur noch Ruinen der ehemaligen
Baracken sind noch zu erkennen. Eine nach dem Krieg gebaute Baracke wird
von Mitarbeitern der ÖBB für Urlaubszwecke genutzt. Nur wenige
verbinden die Ruinen mit der NS-Zeit. Die meisten sehen darin die Überreste
des wirtschaftlichen Aufstiegs der Region und der Wasserkraftnutzung in
der Nachkriegszeit.
Im Sommer 2001 entdeckten wir einige Ballen Stacheldraht, die eindeutig
noch aus der nationalsozialistischen Zeit stammen und zur Absicherung
des Konzentrationslagers dienten. Einen Bruchteil des Drahtes haben wir
geborgen und ins Tal gebracht. Derzeit läuft die Initiative, ein
Mahnmal zu gestalten, das im Bereich des Weißsees für jedermann
sichtbar an ein dunkles Kapitel der Geschichte, aber auch an die Opfer
erinnern soll.
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