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Weiße Hölle Weißsee

Zwangsarbeit in 2.300 m Höhe

Von Dr. Nicole Slupetzky
Weiße Hölle Weißsee

Die Nachkriegszeit

Im Frühjahr 1945 wurde die Arbeit am Weißsee eingestellt, das Gebiet, insbesondere der Enzingerboden, als Fluchtpunkt von der SS genutzt, in der Hoffnung hier nicht entdeckt zu werden. Diese Hoffnung wurde aber enttäuscht, die US-Truppen durchkämmten die gesamte Region.(62) An ein Weiterarbeiten wurde am Weißsee vorläufig nicht gedacht.
Die Zeit des Stillstands dauerte aber nicht lang, denn die wiedergegründeten Österreichischen Bundesbahnen wollten den Kraftwerksbau nun endlich abschließen. Schon 1946 kamen die ersten Arbeiter der ÖBB zum Weißsee und fanden das Lager Weißsee noch so vor, wie es wenige Monate zuvor von den Häftlingen und den Aufsehern verlassen worden war.(63) Der Stacheldraht wurde ab- und die Baracken umgebaut, aber weitergenutzt. Die Arbeiten sollten fortgesetzt werden. Im Juni 1947 wurde um die Genehmigung zur Erweiterung des Weißseespeichers und die Errichtung der Sperren angesucht. Damit wollten die ÖBB die Pläne der Deutschen Reichsbahn übernehmen und bezogen sich in vielen Dingen auf die Gutachten und Arbeitsschritte der nationalsozialistischen Führung. So konnte man mit den Arbeiten direkt dort anschließen, wo 1945 unterbrochen worden war.(64)
Das Barackenlager wurde von den ÖBB erweitert und die Arbeiten in Angriff genommen. Allerdings war die wirtschaftliche Lage noch zu schlecht, um Fortschritte zu erzielen. Hinzu kam, dass im Dezember 1945 das Lager Tauernmoos vollständig abgebrannt war,(65) ein Teil der Transportseilbahn 1947 durch Feuer vernichtet wurde und ein Jahr später neu errichtet werden musste.(66)

Für den Verlust der Rudolfshütte erhielt die Sektion Austria des Österreichischen Alpenvereins drei Baracken zur Verfügung gestellt. Das sogenannte "Austria Dörfl" wurde für die Bewirtschaftung der Gäste genutzt.

Erst in den Jahren 1950 bis 1952 wurde der Bau der Mauern massiv vorangetrieben. Die Oberhoheit lag nun in den Händen der Österreichischen Bundesbahnen, die Bauaufsicht blieb bei denselben Unternehmen, die schon während des Krieges im Einsatz waren und auf die Arbeit Hunderter Zwangsarbeiter, Kriegsgefangener und KZ-Häftlinge zurückgegriffen hatten; das tat dem jetzigen Fortschritt keinen Abbruch. 1951 wurde eine neue Personenseilbahn errichtet, die vom Enzingerboden über den Tauernmoossee zum Weißsee reichte. Diese Seilbahn, die zwar zunächst für Dienstzwecke errichtet worden war, wurde bald das Tor zur Berg- und Gletscherwelt für viele Skifahrer und Touristen. 1952 wurde der Bau der Staumauern erfolgreich abgeschlossen, was das Ende der alten Rudolfshütte an der bisherigen Stelle bedeutete. Die Rudolfshütte lag bei Vollstau in der Höhe des Wasserspiegels des Weißsees. Bis zum ersten Stock wäre das Gebäude überflutet worden, weshalb die Rudolfshütte gesprengt werden musste. Im September 1953 erfolgte der erste Vollstau.(67)
Für den Verlust der Rudolfshütte erhielt die Sektion Austria des Österreichischen Alpenvereins drei Baracken zur Verfügung gestellt. Das sogenannte "Austria Dörfl" wurde für die
Bewirtschaftung der Gäste genutzt.(68) Dieses idyllisch genannte "Austria Dörfl" war jedoch nichts anderes als jene drei Baracken, in denen wenige Jahre zuvor noch KZ-Insassen untergebracht waren.

Das Austria Dörfl
"Austria Dörfl" bzw. die drei Wohnbaracken der KZ-Häftlinge (69)

Nichts deutete mehr auf diese tragische Tatsache hin. Der Fortschritt stand im Mittelpunkt und damit der Neubau der Rudolfshütte, die 1958 wiedereröffnet wurde. Das "Austria Dörfl" verschwand endgültig. Nur noch Fundamente blieben zurück. Mit dem Verschwinden dieser Baracken verschwand auch der letzte Hinweis auf ein dunkles Kapitel der Region und die Erfolgsstory der Nachkriegszeit konnte - ähnlich wie in Kaprun - beginnen.
Die Rudolfshütte wurde zur größten Alpenvereinshütte. Sie wurde idealer Ausgangspunkt für jeden Bergsteiger und Schiläufer. In den 50er Jahren wurde der Weißsee sogar zum Trainingsgebiet für die Alpinausbildung des "Mountain Training Center" der US-Army. Die Personenseilbahn ermöglichte es auch Tausenden Touristen ins Hochgebirge zu kommen und die Kombination Technik und Natur für ihre Erholung nutzen!(70)
Die ÖBB nutzten die Wasserwirtschaft für die Elektrifizierung der Bahnstrecken und setzten den Aus- und Umbau kontinuierlich fort. Anfang der 1970er Jahre wurde am Tauernmoos die längste Sperre Europas mit 1,1 km Länge in Angriff genommen und 1973 fertiggestellt. Die Österreichischen Bundesbahnen leisteten damit einen beträchtlichen Beitrag zur Bauwirtschaft im Land Salzburg. Mit der Vergangenheit hatte man abgeschlossen.

Mit der Vergangenheit hatte man abgeschlossen.

Dieses Kapitel der Vergangenheit abzuschließen, dazu waren die ehemaligen Inhaftierten nicht imstande. Die Geschehnisse waren zu prägend gewesen und zu schmerzlich, um vergessen zu können. Die Zeit am Weißsee und seine Umgebung verfolgte viele ihr Leben lang. Erst Mitte der 60er Jahre wurden Vorermittlungen begonnen, ob am Weißsee Tötungsdelikte oder andere Verbrechen vorgefallen waren. Acht (!) Zeugen wurden daraufhin zu ihrem Aufenthalt am Weißsee befragt. Keiner dieser Zeugen hatte Tötungsdelikte persönlich gesehen oder konnte sich daran erinnern. Die Erhebungen wurden beendet, noch ehe sie richtig begonnen hatten, denn die meisten bekannten Delikte waren bereits verjährt!(71) Damit kam es nie zu einer Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte und lieferte die perfekte Basis zur Verdrängung.

RudolfshütteBis vor Kurzem war das Alpinzentrum Rudolfshütte das größte alpine Ausbildungszentrum Österreichs. In der Umgebung erinnert nichts mehr an die tragischen Jahre 1938 bis 1945. Nur noch Ruinen der ehemaligen Baracken sind noch zu erkennen. Eine nach dem Krieg gebaute Baracke wird von Mitarbeitern der ÖBB für Urlaubszwecke genutzt. Nur wenige verbinden die Ruinen mit der NS-Zeit. Die meisten sehen darin die Überreste des wirtschaftlichen Aufstiegs der Region und der Wasserkraftnutzung in der Nachkriegszeit.
Im Sommer 2001 entdeckten wir einige Ballen Stacheldraht, die eindeutig noch aus der nationalsozialistischen Zeit stammen und zur Absicherung des Konzentrationslagers dienten. Einen Bruchteil des Drahtes haben wir geborgen und ins Tal gebracht. Derzeit läuft die Initiative, ein Mahnmal zu gestalten, das im Bereich des Weißsees für jedermann sichtbar an ein dunkles Kapitel der Geschichte, aber auch an die Opfer erinnern soll.

Text:
Dr. Nicole Slupetzky
Bilder:
Privatsammlung Univ. Prof. Dr. Heinz Slupetzky / DI Rainer Kühne

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