Weißsee,
ein Nebenlager des KZ Dachau
Die
Baustellen im Stubachtal unterstanden zwar der Deutschen Reichsbahn, die
Arbeiten wurden jedoch von einer Arbeitsgemeinschaft durchgeführt.
Für öffentliche Bauträger wie die Deutsche Reichsbahn war
es zumeist üblich, private Firmen für den Bau zu engagieren.
Die Arbeitsgemeinschaft Stubachwerke bestand aus mehreren Einzelfirmen,
wobei die Union-Baugesellschaft "Universale - Hoch-TiefbauaktiengeseIlschaft"
maßgeblich beteiligt war und das Gesamtprojekt leitete.
Von
Beginn an war klar, dass Baustellen von der Größe des Weißseespeichers
mit allen dazugehörenden Baustellen eine große Zahl an Arbeitern
benötigen würde. Im Gegensatz zu Kaprun, wo sich zwei "Judenlager"
für den Bau der Kraftwerke befanden, wollte sich die Arbeitsgemeinschaft
Stubachwerke nicht auf jüdische Arbeiter stützen. Erst als der
Wiener Reichskommissar Joseph Bürckel beim Präsidenten
der Zweigstelle "Ostmark" des Reichsarbeitsministeriums, Friedrich
Gärtner, anfragen ließ, wie sich der Einsatz arbeitsloser
Juden aus der Ostmark entwickeln würde, änderte die Arbeitsgemeinschaft
ihre Meinung. Die Arbeitsgemeinschaft Stubachwerke erklärte sich
bereit, zunächst versuchsweise 30 Juden zu beschäftigen.(21)
Bis Ende Mai stieg jedoch die Zahl jüdischer Arbeiter auf 61.(22)
Für den Weiterbau war diese Zahl bei weitem zu wenig. Deshalb
trat die DRB am 3. Mai 1939 mit folgender Bitte an den Gauleiter Salzburgs:
"Wir
bitten dringend, dass auch von Ihnen den beteiligten Landesarbeitsämtern
Salzburg und Innsbruck und den nachgeordneten Arbeitsämtern nachdrücklich
die staatspolitische Wichtigkeit und damit Dringlichkeit und Unaufschiebbarkeit
dieser Baumaßnahmen klargelegt wird. Wir bitten ferner, auf diese
Landesarbeitsämter einzuwirken, dass alle irgendwie verfügbaren
oder freizumachenden Arbeitskräfte, wenn nötig unter Umständen
Ausländer (Italiener oder Jugoslawen) oder auf dem Wege der Verpflichtung
uns bzw. den ausführenden Firmen zugewiesen werden."(23)
Für
rund 365 Arbeiter wurde für die Stubachwerke Sofortbedarf angemeldet,
denn die Bauleitung wollte die Pläne so rasch als möglich ausführen.
Für
viele änderte sich später das freiwillige Dienstverhältnis
zu einem erzwungenen.
Von
Anfang an gab es hier einen sehr hohen Ausländeranteil unter den
Arbeitern, wobei es sich aber nicht immer um Zwangsarbeiter handeln musste.
Einige, vor allem Italiener, waren freiwillig gekommen. So waren rund
29% zwischen 1939 und 1941 Ausländer, unter denen die Italiener mit
knapp 13 % die größte Gruppe darstellten, aber auch Jugoslawen,
Slowaken, Tschechen usw. standen im Einsatz. Für viele änderte
sich später das freiwillige Dienstverhältnis zu einem erzwungenen.(24)
Mit Kriegsbeginn kamen verstärkt Kriegsgefangene in die Region. Im
Lagebericht vom 2. Februar 1940 des Landrates Zell am See war zu lesen,
dass 50 Slowaken und 75 kriegsgefangene Polen beim Bau der Stubachwerke
beschäftigt wurden.(25) Die Zahl sollte im
Laufe des Krieges noch stark ansteigen. Für die Unterbringung der
Arbeiter war gesorgt, das gesamte Stubachtal war mit Barackenbauten versehen
worden. Sowohl in Uttendorf als auch in Wirtenbach, Wiesen, Fellern in
der Schneiderau, am Enzingerboden, am Tauernmoos und am Weißsee
wurden solche Bauten errichtet. Am 22. März 1942 befanden sich 153
Angehörige fremder Nationen beim Bau der Stubachwerke im Einsatz:
85 Italiener, 30 Kroaten, 12 Ungarn, 18 Slowaken, 5 Tschechen und 3 Staatenlose.
Schon vier Wochen später wurde diese Zahl um ca. 45 Mann erhöht.(26)
Die Lebensumstände für die Arbeiter waren je nach Einsatzort
unterschiedlich schwer. Am beschwerlichsten war es für jene, die
im Bereich des Weißsees eingesetzt waren, denn die Rudolfshütte
befand sich in hochalpinem Gelände in 2.300 m Höhe.
In
der Geländemulde neben der (alten) Rudolfshütte war Platz für
die Aufstellung von Baracken für etwa 350-400 Arbeiter. Die
Hütte wurde weiterhin auch für Alpinkurse, für die Hitlerjugend
und andere NS-Organisationen genutzt.
Schon
in den ersten Plänen von 1939 war ein Barackenlager in dieser Höhe
vorgesehen. In der Geländemulde neben der (alten) Rudolfshütte
war Platz für die Aufstellung von Baracken für etwa 350-400
Arbeiter.(28) Allerdings mussten diese erst errichtet
werden.
Ein Teil jener Arbeiter, die für die Errichtung der Baracken und
der Vorarbeiten für den Stollenbau kamen, wurde täglich vom
Tal mit der sogenannten "Bleichert" herauf- befördert,
was ein ziemlich abenteuerliches Unterfangen war. Die "Bleichert",
der Name der Firma, war eigentlich nur als Materialseilbahn konzipiert,
wurde aber auch für Personentransporte genutzt, wie das ein Foto
(Abb. 8) und mehrere Zeugenaussagen bestätigten. Die Seilbahn bestand
aus primitiven, großen Kisten, in denen bis zu sechs Mann Platz
fanden.(29)
Andere wiederum wurden in der Rudolfshütte untergebracht. Immerhin
konnten hier bis zu 70 Personen Unterkunft finden. Die Hütte wurde
weiterhin auch für Alpinkurse für die Hitlerjugend und andere
NS-Organisationen genutzt, Privatleute konnten hier übernachteten.
Zu den prominentesten Gästen gehörten Heinrich Harrer, der sich
auf seine Tibetreise vorbereitete und Louis Trenker, so der Sohn der Wirtsleute,
Louis Wurnitsch. Auf Grund dieser Öffentlichkeit wurde die Anzahl
der Zwangsarbeiter, die in der Rudolfshütte lebten, gering gehalten.
Die Zahl der in der Rudolfshütte untergebrachten Arbeiter bezifferte
Wurnitsch mit circa 20, darunter Serben und Russen. Die Arbeiter mussten
für die Reichsbahn die im Freien befindlichen Anlagen vom Schnee
befreien.(31)
Auf dem Weg zur Rudolfshütte (36)
Weiterhin
war das Hauptziel, den Ausbau der Stollenanlagen
für den Kraftwerksbau voranzutreiben, weshalb mehr Arbeiter an Ort
und Stelle benötigt wurden. Zu diesem Zweck wurde das erste Arbeitslager
mit einer Wohnbaracke im Gebiet des Weißsees errichtet.
Zu
den prominentesten Gästen gehörten Heinrich Harrer und Louis
Trenker.
Parallel
zu dieser Baracke wurde das Lager bei der Tauernmoossperre wieder aktiviert,
das für den Bau der Staumauer in der Zwischenkriegszeit genutzt worden
war. Bereits ab 1939 wurden hier die ersten Kriegsgefangenen untergebracht,
wobei es sich um Polen und ab 1941 auch um Russen handelte. Einerseits
war es notwendig, die Staumauer vor eventuellen feindlichen Angriffen
zu schützen. Für diesen Zweck wurden zwischen 1939 und 1942
sechs Maschinengewehrnester (eines besteht heute noch) errichtet, die
bis zum Ende des Krieges besetzt blieben. Andrerseits hatte die Deutsche
Reichsbahn dem Alpenverein versprochen, den Weg vom Tauernmoos zur Rudolfshütte
auszubauen. Dafür kamen ausschließlich Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene
zum Einsatz.
Wegarbeiten zwischen Tauernmoos und Rudolfshütte
(33)
Diese
Arbeiten erfolgten keineswegs in großer Abgeschiedenheit, aber unter
starker Bewachung. Zeitzeugen berichteten von ausgemergelten Gestalten,
die von Uniformierten ständig überwacht wurden.(34)
Dennoch versuchte manch einer, den hungernden Zwangsarbeitern etwas Essen
zuzuschieben. Ein Zeitzeuge aus Uttendorf, damals noch ein Kind, schilderte
einen solchen Versuch. Unterwegs zu einer Bergtour gemeinsam mit seinem
Vater hatte man Brot mitgenommen. Während der Vater die Wachposten
im Auge behielt, schlich sich der Junge an zwei polnische Zwangsarbeiter
heran und steckte ihnen das Brot zu.(35) Man hatte
die Hoffnung, dass die Aufseher mit dem Jungen nachsichtiger umgehen würden,
sollte er ertappt werden. Derartige Mitmenschlichkeit bekamen die Zwangsarbeiter
allerdings selten zu spüren. Die meisten Wanderer und Bergsteiger,
die an diesem Weg entlang kamen, nahmen kaum Notiz von den unter Zwang
arbeitenden Menschen.
Die Wegarbeiten am Tauernmoossee wurden zwar weiterhin fortgesetzt. Die
Energie- verknappung war aber mittlerweile im gesamten Deutschen Reich
zu spüren, weshalb die Energiegewinnung im Vordergrund der Bemühungen
stand und die DRB größtes Augenmerk auf die Wassernutzung des
Weißsees legte. Um eine Senkung des Seespiegels zu erreichen, wurde
nun der Stollenbau vorangetrieben, wo massiv Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene
zum Einsatz kamen. Die wenigsten hatten Erfahrung im Stollenbau gesammelt.
Stolleneingang (37), Reproduktion SLA -
Sprengmittelmagazin
Trotz
extremer Schneemassen - 12 Meter - wurde unter Tage kontinuierlich weitergearbeitet.
Der
Winter 1941/42 stellte sich als besonders hart heraus. Trotz extremer
Schneemassen - 12 Meter - wurde unter Tage kontinuierlich weitergearbeitet,
bis im März 1942 der Durchbruch des ersten Stollens möglich
wurde. Diesem Augenblick wurde immense propagandistische Bedeutung zugemessen.
Trotz schlechtester Wetterbedingungen wurde jeder Schritt von der Setzung
des Sprengsatzes bis zum Durchbruch
des Stollens für Propagandazwecke filmisch dokumentiert und fotografiert.
Auf Grund des schlechten Wetters erfolgten die offiziellen Feierlichkeiten,
der zahlreiche Gäste beiwohnten, zu einem späteren Zeitpunkt.
Sogar die Trachtenmusikkapelle Uttendorf wurde eingeladen, um für
die musikalische Umrahmung zu sorgen.
Nach
dem Durchbruch des ersten großen Stollens konzentrierten sich die
baulichen Anstrengungen in einem immer stärkeren Ausmaß auf
die Errichtung des Weißseespeichers. Für diesen Zweck wurden
nun in der Geländemulde in unmittelbarer Nähe der Rudolfshütte,
an jenem Standort, wo man es bereits 1939 geplant hatte, Unterkünfte
errichtet.
Feierlichkeiten
beim Durchbruch des Ödenwinkelstollens mit der TMK
Obwohl
in einem Schreiben der Union Baugesellschaft im Oktober 1942 angekündigt
wurde, dass die Arbeiten über den Winter eingestellt werden würden,
entsprach dies nicht der Wahrheit. Im Herbst 1942 wurde eine Wohn- und
Kanzleibaracke aufgestellt, der bis zum Frühjahr noch weitere Baracken
folgten. Einerseits wurden vom Tal - z.B. Enzingerboden - Baracken zum
Weißsee gebracht und oberhalb der Rudolfshütte wieder aufgebaut.
Die bereits seit 1939 bestehende Wohnbaracke wurde abgetragen und ebenfalls
dort aufgebaut.(39) Im Frühjahr 1943 war nun
Platz für rund 400 Arbeiter in insgesamt drei Wohnbaracken. Diese
wurden mit einem massiven Stacheldraht umzäunt, um jegliche Fluchtversuche
zu verhindern.
Unterkunft
der Arbeiter (40)
Bis
1943 waren im Stubachtal und am Weißsee hauptsächlich zivile
Ausländer, vor allem Ukrainer und Polen,
aber auch russische Kriegsgefangene im Einsatz. Im Jahr 1943 wurden vermehrt
auch Strafge-fangene.(a) Im Herbst wurde die Verlegung
von Strafgefangenen von der Strafanstalt Bernau/Chiemsee in das Stubachtal
genehmigt. Für die Bewachung dieser Gefangenen wurden weitere fünf
Wachmannschaften der Strafanstalt zur Verfügung gestellt. Am 29.
November 1943 waren bei der Arbeitsgemeinschaft Union - Universale 55
von hundert Arbeitern Strafgefangene, hauptsächlich Deutsche und
Tschechen.(41)
Dann veränderte sich allerdings diese Konstellation, einhergehend
mit der Kriegswende zugunsten der Alliierten wurde es zunehmend schwieriger
genügend Arbeiter zu bekommen. Daher änderte man die Strategie,
das Lager wurde zu einem selbständigen Nebenlager des Konzentrationslagers
Dachau. Von dort wurden nun auch die Arbeitskräfte zum Weißsee
gebracht.
Der
Arbeitseinsatz von KZ-Insassen kam den Firmen billiger, da sie diese Arbeiter
nicht versichern mussten.
Der
Arbeitseinsatz von KZ-Insassen kam den Firmen billiger, da sie diese Arbeiter
nicht versichern mussten. Nach 1943 ging die Zahl der Versicherungen einzelner
Arbeiter bei der Salzburger Gebietskrankenkasse massiv zurück.
Bei den aus Dachau stammenden Arbeitern handelte es sich überwiegend
um Franzosen und Belgier, aber auch um politische Häftlinge aus Österreich.
Dem Arbeitskommando Weißsee waren insgesamt 450 Arbeiter unterstellt,
die allesamt in den drei Baracken untergebracht waren. Bewacht wurden sie
sowohl von Mitgliedern der SS als auch von Wehrmachtsangehörigen. Als
Lagerführer wurde seinerzeit ein ehemaliger Wehrmachtsangehöriger
namens Bischof eingeteilt und als Chef der SS-Bewachungseinheit ein
Mann namens Maier.(43) Die Arbeiter wurden
in Gruppen von 10 bis 15 Mann aufgeteilt und einem deutschen Vorarbeiter
unterstellt, der dafür zuständig war, dass die Arbeiten zügig
vorangingen. Zu diesem Zweck wurden diese auch bewaffnet.(44)
Das Unternehmen "Stausee Weißsee" wurde unaufhörlich
vorangetrieben. Im September 1943 wurde ein weiterer Antrag zum Ausbau des
Kalser- und des Sonnblickstollens gestellt. Allerdings hatte sich die wirtschaftliche
Lage stetig verschlechtert, weshalb anderen Projekten Vorrang gegeben wurde.
Die Bauarbeiten am Kalser Stollen zwischen Tirol und Salzburg wurden bei
einer Länge von 754 Metern eingestellt, erst nach dem Krieg 1947 wurde
dieser fertiggestellt.(45)
Die Arbeit für die Gefangenen ging dennoch nicht aus. Um genügend
Material zum Ausbau und zur Stabilisierung der Stollen zu haben bzw. um
die Wege auszubessern, wurde ein Steinbruch eingerichtet, in dem ausschließlich
KZ-Insassen Schwerstarbeit verrichten mussten. Obwohl die Schließung
des Lagers vom Internationalen Suchdienst mit Dezember 1944 datiert wurde,
erfolgte die tatsächliche Schließung im April 1945, denn erst
am 6. April beschloss die DRB die Durchführung ihres Bauvorhabens bis
zum Kriegsende zurückzustellen.(46)
Zur offiziellen Auflösung des Lagers kam es nicht mehr, da bereits
vier Wochen später der Krieg zu Ende war und am 8. Mai 1945 die ersten
amerikanischen Truppen in der Gemeinde Uttendorf einmarschierten und alle
dort befindlichen Lager befreiten.(47) |