1.
Tag: Los Penitentes - Ranger-Station Horcones - Laguna
de Horcones
- Confluencia (3.368
m)
3
Stunden, etwa 400 Hm
Alle
hier angegebenen Gehzeiten sollten als grobe Durchschnittszeiten gesehen werden
und nicht als Maßstab! Je nach Kondition und Höhenanpassung
können sie sehr variieren.Da
der Weg zum Basislager Plaza de Mulas (4.300 m) sehr weit ist, empfiehlt
es sich, auch der besseren Akklimatisation wegen, ihn in zwei Etappen
zu absolvieren und zumindest einmal in Confluencia (3.368 m), dem
vorgeschobenen Basislager, zu nächtigen.
Gut höhenangepasste Bergsteiger können, Materialtransport per
Muli vorausgesetzt, den Plaza de Mulas an einem langen Tag erreichen.
Für diese Megatour von etwa 35 km Länge und 1.560
Höhenmetern sollten mindestens 9 Stunden veranschlagt
werden.
Laguna
de Horcones
Unterwegs
zum Camp Confluencia
Camp
Confluencia, 3.368 m
Vielfalt
an Formen, Farben und Konturen
Ab
heute zählen weder PS noch Drehzahl, sondern die eigene Kraft und
das eigene Befinden. Ab nun bringt uns jeder Schritt unserem Ziel, dem
höchsten Punkt des amerikanischen Kontinents, ein Stück näher.
Per
Taxi zum Eingang des Nationalparks und Ausgangspunkt für den Normalweg,
der Ranger-Station Horcones. Dort müssen wir uns bei den Rangern
("Guardaparques") mit dem Permit melden und einen nummerierten
Müllbeutel entgegennehmen. Beim Verlassen des Parks hat man entweder
den befüllten Müllsack oder die Unterschrift der Gepäckstransport-Firma
bzw. Expeditionsagentur vorzuweisen, die den Abtransport des Abfalls per
Maultier bestätigt. Verliert man den Müllsack oder bringt ihn
nicht angefüllt zurück, zahlt man 200 $ - alles positive Zeichen
eines Umdenkens in Richtung Umweltschutz.
Während
Mulis das Gepäck für die immerhin zwei bis drei Wochen direkt
zum Plaza de Mulas bringen, schultern wir unsere Rucksäcke
und setzen die ersten Schritte in Richtung Aconcagua. Immer die leuchtend
weiße Gletscherhaube unseres Berges vor uns, folgen wir dem Río
Horcones, der das Schmelzwasser des Gletschers Horcones Inferior von der Südwand des Aconcagua auffängt.
Eine breite Schotterstraße führt am Laguna de Horcones vorbei, einem grünen Meerauge, in dem sich der Aconcagua verführerisch
spiegelt und Gutmütigkeit vorgaukelt. Man will es ihm, der sich immer
bedrohlicher aufbäumt, aber bald nicht mehr glauben. Eine Tafel spricht
von vier Stunden Gehzeit bis Confluencia, aber auf das achtet niemand,
denn es herrscht Stille unter uns Wanderern. Jeder geht für sich,
schweigt nachdenklich in sich hinein, versucht zu erspüren, wie sein
Körper auf die zunehmende Höhe reagiert, schließlich werden
wir heute die dünne Luft eines mittleren Dreitausenders einatmen.
Nur nicht zu sehr ins Schnaufen geraten, nur sich nicht gleich bei der
ersten Etappe überanstrengen - und ja nicht mit einer Kondition angeben,
die man nicht hat. Nach weiteren 2-3 Stunden erreicht man über einen
ausgetretenen, mal eben dahin ziehenden, dann etwas steiler werdenden
Pfad Camp Confluencia auf 3.368 m. Der Name des Camps rührt
vom Zusammenfluss eines Baches mit dem Río Horcones her. Hier treffen
sich auch Wege zum Plaza de Mulas (Normalweg-Basislager) und Plaza
de Francia (Südwand-Basislager). Eine kleine Quelle mit ausgezeichnetem
Frischwasser, Wiesen und ein angenehmes Klima machen aus diesem Vorlager
eine gemütliche Bleibe.
Anmeldung
im Guardaparques-Zelt, Bezug der für uns bereit stehenden Zelte (das
ist einer der Vorteile der organisierten Tour - man braucht sich nicht
um die Basislager-Zelte zu kümmern) und eine kleine Jause.
Das Wetter ausgezeichnet,
aber windig. Ja, der Wind, das himmlische Kind, wird die kommenden Wochen
keinen Augenblick von unserer Seite weichen, wird uns hinauf auf den Gipfel
und wieder hinunter zum Parkeingang treiben.
Weil noch Zeit ist und ich mich noch nicht müde fühle, stapfe
ich auf einen kleinen Hügel hinauf, versuche meinen Gehrhythmus zu
finden, den ganz langsamen, gemächlichen, den ich für die kommenden
Wochen beibehalten will. Wichtig für ein derartiges Unternehmen: Ruhe
finden, alles Vergangene abwerfen, nur mehr das Hier und Jetzt zählen
lassen. Auf meinem Hügel lasse ich zum ersten Mal auch die Anden-Landschaft
in mich ein, die so ganz anders ist als bei uns in den Alpen: die Kontraste
vor allem, die besonderen Farben, die Sanftmütigkeit der dünengleichen
Wälle, die schnell in gewaltige Felsstufen und weiße Gletscherriesen
übergehen. Aus dem Lager klingt hin und wieder ein Lachen, Muli-Karawanen
ziehen schwer bepackt vorbei, der Wind sorgt dafür, dass es hier nie
vollkommen still wird. Es ist ein guter Platz hier, gut zum Rasten, gut
zum Aufbrechen.
2.
Tag: Confluencia - Plaza Francia (4.100 m)
4
Stunden, etwa 1.100 Hm
Nimmt
man sich einen Tag Zeit, kann man von Confluencia aus die landschaftlich
wohl lohnendste Tour im Aconcagua-Gebiet unternehmen: zur mächtigen
Südwand unseres Berges. Ein Fest für die Sinne und die Phantasie,
der man wieder das Wundern lehrt. Überdies lässt man dem Körper
Zeit, sich auf die Höhe einzustellen.
Stein
gewordene Chronik der Erdgeschichte
Spärliche,
aber robuste Flora
So
groß bin ich! ... Oliver
Kurz
nach Confluencia teilt sich das Tal: der linke Arm führt zum
Baislager, der rechte zur Plaza Francia, dem Lager der Südwand-Kletterer.
Ein deutlich sichtbarer Pfad führt von der Brücke weg östlich
des Baches zuerst etwas ruppig bergauf, bergab, dann angenehm flach in
die sandige Schleifspur eines einstigen Gletschers. Um uns herum hoch
aufragende Sedimentwände - Stein gewordene Chroniken der Erdgeschichte,
Zeugnisse des Werdens und Vergehens. Was oben noch urzeitlicher Fels ist,
verweht unten als Sand. Durch solchen Sand steigen wir unmerklich höher,
so unmerklich, dass wir, ohne es mitzubekommen, über 1.000 Höhenmeter
bewältigen. Nur der Kopf sendet Signale ...
Fauna und Flora scheinen vom Sand vergraben zu sein, nichts außer
Disteln und harten Gräsern.
Die
Gruppe zieht sich weit auseinander, jeder will für sich sein, handelt
es sich heute doch um die Generalprobe für die kommenden Gewaltetappen.
Wer bei dieser Generalprobe versagt, dürfte eigentlich nicht weiter.
Nach etwa 2 Stunden von der Südwand des Aconcagua gespeiste Büßereisfelder
mit mannshohen, staubbedeckten alten Eis-Stalagmiten, letzte Zeugen vergangener
Größe. Langsam baut sich die gewaltige Südwand des Aconcagua
vor uns auf, ein Berg also mit verschiedenen Gesichtern, bedrohlich hier,
gutmütig auf der anderen Seite.
Nach
4 Stunden stehen im Lager der Plaza Francia, dem Spielplatz der
Verrückten. Hier tummeln sich im Winter die Eiskletterer, die sich
durch ein fast senkrechtes und mehrere 1000 Meter hohes Bauwerk aus Seracs,
Eiswülsten und Gletschern schummeln. Franzosen-, Slowenen-, Messnerroute - alles Wege an die Grenze des Menschenmöglichen. Wir staunen weniger,
als wir uns fragen - welche der obersten Zacken ist "unser"
Gipfel?
Plaza
Francia mit der Südwand des Aconcagua
Mir
dröhnt ein wenig der Kopf. Wie anders, haben wir doch innerhalb von
zwei Tagen etwa 4000 Meter überwunden. Es beunruhigt mich nicht,
ist ganz normal, beweist, dass ich noch funktioniere, so interpretiere
ich die innere Stimme - aber schnell durch die Mitte zurück, für
heute ist's genug.
So haben wir
den Aconcagua halb umrundet, haben seine abweisende Seite kennen gelernt,
um anderntags seine sanfte zu Gesicht zu bekommen. Auch für den Rückweg
lassen wir uns alle Zeit, nur Gregor läuft voran, will es wohl
auf's Äußerste treiben, die Grenzen ausloten ...
Eine andere Sorge breitet sich aus: Wenn der Berg jetzt, da wir doch noch
weit von seinem Gipfel entfernt sind, so verschwenderisch mit der Sonne
umgeht, wie sehr kann er später damit geizen?
Die
Südwand – ein Labyrinth aus Spalten, Seracs und Eisbrüchen
3.
Tag: Confluencia - Plaza de Mulas (4.365 m)
6-7
Stunden, 1350 HM, 20 km
Der
Marsch von Confluencia zum Basislager Plaza de Mulas gehört
wegen seiner fast 20 Kilometer zu den anstrengendsten der gesamten Expedition. Von unschätzbarem Wert in Schönwetterperioden: Sonnencreme.
Abmarsch
in Richtung Plaza de Mulas
Dem
Río Horcones entlang durch ein weites Tal
Letzte
Steigungen vor dem Basislager
Ankunft
am Plaza de Mulas
Pizza
als Willkommensmenü
Zuerst über eine Brücke die westliche Talseite hoch. Nach
einer Stunde öffnet sich die Landschaft des oberen Horconestales zu endlosen Schotterebenen entlang mäandernder Bachläufe.
Gebannt der Blick auf den Aconcagua: Gewaltige senkrechte Wandfluchten
kulminieren im Cerro Piramidal, von dem aus ein gewagter Fels-
und Firngrat mit drei riesigen Türmen zum Südgipfel führt.
Weiter durch Schuttebenen, ein paar Steigungen und weitere Ebenen. 5
Stunden wandert man so durch ein endlos scheinendes Tal entlang des Río Horcones - kaum dass man eine Kurve hinter sich hat,
öffnet sich schon die nächste. Tröstend: Kein Atemzug
ist vergeblich, jeder einzelne Schritt bringt uns dem Ziel, dem Gipfel
des "Weißen Wächters", näher.
Die Eindrücke der Umgebung auf die Phantasie machen die Eindrücke
der Steine auf die Fußsohlen vergessen: Es sind die Konturen,
die Silhouetten, die Kontraste, die den Hauptreiz dieser Landschaft
ausmachen: der Kontrast zwischen dem Schwarz-Braun der Sedimente, dem
Azurblau des Himmels und dem Weiß der Gletscher, der Kontrast
zwischen weich-rund und hart-kantig, fließend und starr, zwischen
warm und kalt, himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Der Aconcagua
und seine Umgebung kennt keine Mittelwerte, keine Kompromisse, alles
scheint extrem. Wenn es heiß ist, dann so, dass die Haut verbrennt,
wenn es kalt ist, erfriert man fast, wenn es schneit, dann ordentlich.
Und wenn dir der Berg wohl gesonnen ist, lässt er dich ohne Wenn
und Aber auf den Gipfel, wenn nicht, verbietet er dir sogar den Zutritt
in die mittlere Etage.
Das scheinbare
Talende wird vom 5.018 m hohen Cerro Dedos abgeschlossen, den
wir nach etwa 3-4 Stunden erreichen.
An seinem Fuß, auf etwa 3.800 m, queren wir den Bach Richtung
Osten, was je nach Jahreszeit für manche Wanderer die erste Hürde
darstellen kann. Das Tal verlassend steigt man einen Hang hoch und folgt
dem stark ausgetretenen Pfad zu einem zerfallenen Refugio auf etwa 4.000
m. Nun der letzte steile Aufstieg, der sich 1-2 Stunden lang serpentinenförmig
bis zum Plaza de Mulas hochzieht.
Wer im
Plaza de Mulas nicht erschöpft ist, muss ein konditioneller
Wunderknabe sein. Auch hier wieder Meldung im Ranger-Büro und Aushändigung
des nächsten Sackerls, des Scheißsackerls. Das gehöre
für die Hochlager und man verrichte hier hinein bitte schön
die Notdurft, erklärt man uns. Einerseits lachhaft, wenn man bedenkt,
dass das vielleicht volle Ding ja transportiert werden muss, andererseits
durchaus sinnvoll angesichts des Mangels an sauberem, pissfreiem Schnee
zum Kochen. Tatsächlich gehört der Aconcagua zu den saubersten
Bergen, die ich kenne, selbst im Basecamp schafft man es nur im Dunkeln
zu pinkeln, ohne von den Rangern angepfaucht zu werden. Das mit den
Sch ... sackerln hat natürlich kaum jemand ernst genommen, am Nido
de Cóndores, dem Lager I, gibt es abseits des Schnees schöne
Sch ... ecken, in Berlin geht sowieso nichts mehr.
Wir beziehen
die vom Verkehrsbüro-Partner bereit gestellten Zelte und versammeln
uns erstmals im Speisezelt, um uns eine Pizza zu genehmigen, richtig
gelesen: Pizza. Pizza, von Rollo, dem Küchen-Chef, höchstpersönlich
zubereitet. Dass es uns ausgezeichnet mundet, beweist unser ebenso ausgezeichnetes
Befinden. Nur die Haut beginnt sich bedenklich zu schälen, weil
uns allmählich die Sonnencreme ausgeht ...
Zum ersten Mal lernen wir auch einen Hauch dessen kennen, was man am
Aconcagua am meisten zu fürchten hat: Die Kälte. Verschwindet
die Sonne gegen 19 Uhr hinter dem Cerro Catedral, breitet sich
schlagartig eisige Kälte aus, was selbst im Basecamp Daunenjacken
erforderlich macht. Wie umso schlimmer werden wir die Kälte in
den Hochlagern erleben ...
4.
Tag: Plaza de Mulas
Die Übernachtungspreise im Hotel Plaza de Mulas sind
so hoch, so dass man es vorziehen sollte, sein Zelt, das man ohnehin
am Aconcagua benötigt, am eigentlichen Plaza de Mulas aufzuschlagen.
Auch Dusche, Internet, Nahrungsmittel und Getränke sind - wie im Lager selbst - unverschämt teuer.
Platz
der Esel ... Cerro Cuerno mit dem Güssfeldt- und Horcones-Gletscher
Restaurants
...
Internet
...
...
und Post Office
Die
slowakische Gruppe hat ihren Platz nie verlassen.
Sichten
und Ordnen der Vorräte
Das
"Hotel" Plaza de Mulas
Genauso wie man den Sonnenuntergang befürchtet, sehnt man deren
Aufgang und damit Wärme und Leben herbei. Plaza de Mulas - "Platz der Esel" - wie wahr! Wobei die echten Esel
hier vernünftiger als die menschlichen scheinen, halten jene sich
doch kaum mehr als ein paar Stunden an diesem windigen, immer staubigen
Ort auf.
Bis
9 Uhr verbleibt alles in den Zelten, harrt der ersten wärmenden
Sonnenstrahlen, die alles Leben hier entzünden. Langsam beginnt
sich dann das Lager zu regen, hört man Reißverschlüsse
surren, Töpfe klappern, leises Gemurmel im Nachbarzelt, das schnell
zum multinationalen Stimmengewirr anschwillt - Geräusche, von denen
man träumt, die man liebt, derentwegen man alle Unbill gerne auf
sich nimmt. Ein Hubschrauber brummt über das Lager hinweg, Muli-Karawanen
kommen und gehen, Betriebsamkeit und Erwachen bis in die fernsten Ecken
des Lagers. Wer solch ein Base-Life schon einmal erlebt hat, weiß,
wovon ich spreche - es macht süchtig, unheilbar süchtig. Wenn
man von einem Berg träumt, dann erscheint im Vorspann des Traumfilms
immer zuerst das Basislager, dann erst der Berg selbst. Gleichgesinnte
überall, Strandgut aus allen Winkeln der Welt, Hoffnung und Enttäuschung,
Erschöpfung und High-Life, Planen und Erinnern, Kommen und Gehen
- an keinem Ort der Welt konzentriert sich so viel Menschliches, soviel
Gleichnishaftes wie im Basislager eines großen Berges. Das ganze
Panorama des Lebens als Kurzfilm sozusagen.
Dann
flüstert man dem Zeltnachbarn ein "Guten Morgen"
zu, öffnet das Zelt, lugt hinaus, sieht ringsum die Gletscherberge
hochragen und den Geröllhang zum Lager 1, auf dem schon ein paar
Eilige unterwegs sind, und man weiß, jetzt ist man mitten drin,
ist einer von den verrückten Träumern, die nur eines im Schädel
haben: den Gipfel. Dann ergreift dich eine wohlige Unruhe, fühlst
dich wie ein Pferd, das in den Startlöchern scharrt und es nicht
erwarten kann, loszulaufen.
Im
Speisezelt trifft sich dann die Gruppe, schlürft man den Kaffee
oder Tee, zuerst verschlafen still, dann erwachend - Wie war die Nacht?
Kopfweh? Nein, aber die Kälte. Was machen wir heute? Welche Neuigkeiten
gibt es vom Berg usw.
Über Plaza de Mulas wird gerne viel Abschätziges geredet. Zu
viel Menschen, zu laut, zu dreckig ... nichts davon stimmt. Ja, ja,
sicher, das Lager ist eine kleine Stadt mit hunderten von Zelten: Bier-
und Internetzelte, Toiletten und heiße Duschen, Shops und Postamt,
Bergrettung und Nationalpark-Wächter, Bergführer und gleich
in der Nähe das hotelähnliche Refugio Plaza de Mulas.
Auch einen Arzt gibt es hier, der aber außer von Blutuntersuchungen
und Pulsmessen keine Ahnung hat. Auf einem Wall zig WCs, für die
man einen Schlüssel bekommt. Benutzung fremder Häuseln strengstens
untersagt. Die Speisezelte toll eingerichtet, manche sogar mit Bar und
Musik-Anlagen.
Trotz
der großen Anzahl an Touristen besteht hier aber kein Platzmangel,
das gleiche gilt für das nächste Lager - Nido Cóndores.
Im Wahrheit ist der Platz der Esel ein Basislager wie jedes andere,
sogar besser organisiert, sauberer und auf jeden Fall unterhaltsamer
als viele andere BCs. Sicher, hin und wieder wird bis spät in die
Nacht gefeiert - aber wo denn nicht? Sicher, viele, viele Menschen -
aber es herrscht eine derartige Langsamkeit und Beschaulichkeit im Lager,
dass man außer den unmittelbaren Nachbarn kaum andere Leute wahrnimmt.
Da ist höchstens die slowakische Gruppe nebenan, die tagein-, tagaus
vor ihren Zelten sitzt und kocht und redet. Mir schien, als hätte
diese Gruppe in den zwei Wochen unserer Tour ihren Zeltplatz nie verlassen.
Oder der Engländer, der ständig umherstreicht auf der Suche
nach Ansprechpartnern: Letztes Jahr sei er schon mal hier gewesen, musste
aber seinen höhenkranken Partner kurz vorm Gipfel nach unten bringen
und sei deswegen gescheitert; heuer probiere er es alleine. Er wird
uns wie ein Schatten bis nach Berlin begleiten, immer quasselnd
in einem Englisch, das niemand versteht. Oder jener Deutsche, der vor
Jahren ausgewandert ist, Sommer für Sommer hier verbringt und sich
mit dem Handel gebrauchter Ausrüstungsgegenstände über
Wasser hält. Von anderen Leuten nimmt man nur wahr, dass sie ständig
im Aufbrechen und Ankommen begriffen sind, mehr nicht. Ein Esel also,
der über diesen Platz der Esel schimpft.
Den
Tag verbringen wir mit der letzten Kontrolle unserer Ausrüstung
und der Planung des Aufstiegs - wer mit wem, wie schnell und mit welcher
Taktik? Gregor, der den Berg zum zweiten Mal angeht, probiert's
alleine; Oliver will es langsam, ohne Schalenschuhe, aber mit
viel E-Technik und 400-Euro-Apotheke versuchen, sein Hauptziel: 6.000
m; Georg dafür ohne Daunenjacke, aber mit der Kondition
eines Skitouren-Marathongehers; Harald mit einem winzigen Biwakzelt,
Robert und ich mit der Erfahrung einer Pik Lenin-Besteigung,
Egon, schon einmal gescheitert, versucht es ein zweites Mal mit
Kurt, der nur auf eines vertraut: Kameradschaft. So also unsere
"Taktik", eine Anmaßung eigentlich, weil ja doch der
Berg immer das letzte Wort hat.
Um
nicht einzurosten, ein 15-minütiger Marsch zum "Hotel"Plaza de Mulas hinüber - ein gemauertes mehrstöckiges
Gebäude mit leistbarem Internet-Anschluss, Dusche und schmackhaften
Lomo-Burgern. Das Hotel bietet den Vorteil, dass man sich bei Schlechtwetter
dort die Zeit vertreiben kann. Außerdem können hier medizinische
Notfälle erstbehandelt werden können. Vom Hotel sieht man
den gesamten Weg bis zum Gipfel ein: den Trampelpfad zum Nido de
Cóndores, die Querung zum Lager Berlin und den Einstieg
in die gefürchtete Canaleta-Rinne - sehnsuchtsvoll verinnerlicht
man sich den Weg, programmiert den inneren Motor mit den erfahrenen
"Daten".