Elegisch, poetisch, idyllisch ... die Adjektive, mit denen man die Lobau im Nationalpark Donau-Auen bedenkt, sind vielfältig, haben aber eines gemeinsam: sie treffen alle zu. Die Ausläufer des Marchfeldes um Essling, Breitenlee und Gerasdorf hingegen schreien ob seiner flachen Wege förmlich nach einer Schummelei ...
Der Weg
Ja, ich gebe es zu: ICH HABE GESCHUMMELT: Die letzten zwei Etappen des Rund um Wien 10-WANDERweges wandere ich nicht, sondern pedaliere ich. Weil mir einfach die 4. Etappe noch schwer in den Knochen und Sehnen steckt und weil auf Etappe 5 und 6 keinerlei Steigungen oder unfahrbare Pfade zu erwarten sind. Und weil ein Blick auf die Karte zeigt: Mehr Asphalt als Wald, mehr grad als krummer Pfad. Also die Wanderstöcke mit der Lenkstange und die Goiserer mit Bikepatschen getauscht und aufgesessen ...!
Die Stadt dämmert noch dem Morgen entgegen, im breiig dahinziehenden Wasser der Donau spiegelt sich das fahle Gesicht der Nacht, als ich im Hafen Freudenau mein Rad besteige und sofort das Weite suche, da in diesem industrieähnlichen Gelände nicht wirklich die Natur das Sagen hat. Über eine Rampe gelange ich auf die Schleusenbrücke, die mich über die Donau führt. Gar nicht so weit weg schälen sich Kahlen- und Leopoldsberg aus der Dämmerung, nur vereinzelt tuckert ein Lastschiff an mir vorbei, obwohl jährlich Zehntausende Schiffe aller Art das Donaukraftwerk Freudenau passieren. Auch von den riesigen Turbinen (mit 7,5 m Durchmesser die größten Europas), die in Verbund mit der Donau rund die Hälfte der Energie für Wien erzeugen, ist nichts zu hören oder zu sehen.
Auf der anderen Seite der Brücke wende ich mich rechts dem äußersten Spitz der Donauinsel zu. Bei der Wander- und Radschenke könnten wir frühstücken – wenn wir nicht zu früh dran wären. Ein paar Pedaltritte und wir stehen bei der Brücke, die uns über die Neue Donau in die Lobau hievt. An sich ist der Strand der Donau hier an schönen Tagen überfüllt, da die Donau als das "Meer der Wiener" zu den beliebtesten Freizeitorten gehört. Heute, an einem eher kühlen Spätsommertag, ist’s ruhig hier, nur ein paar Möwen nutzen die Stille des Morgens zum Beutefang.
Die Brücke übersetzt geht es nun zu einem ebenfalls weniger schönen Teil der Etappe, durch den Ölhafen Lobau. Augen zu und schnell an Tanks, Pipelines und Industriebauten vorbei. Es riecht furchtbar nach Industrie und Öl, gar nicht zu glauben, dass gleich nebenan eines der ursprünglichsten Naturrefugien Österreichs beginnen soll.
Aber es stimmt: Gleich danach heißt es tatsächlich aufatmen, die Luft wird würziger, riecht plötzlich nach modernder Erde und abgestandenem Teichwasser. Dann betreten oder besser: befahren wir sie, die berühmte, einst umkämpfte und jetzt geliebte Lobau, den "Wasserwald" Wiens. Die Lobau ist nicht nur Teil des Nationalparks Donauauen, sondern auch Teil des Wiener Selbstverständnisses geworden. Wie die Donauinsel, der Wienerwald und das Kahlengebirge gehört auch die sie zum gemeinsamen "Garten" der Wiener. Wer hier auch nur einen Baum schlägert, muss mit Lynchjustiz rechnen. Warum, wird schnell klar: Einerseits durchschreitet man eines der letzten intakten Augebiete Europas, andererseits wird man hier auch eines der letzten Refugien von vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten und FKK-Liebhaber finden. Was die Lobau fürs Wiener Herz bedeutet, umschreibt ein uraltes und populäres Lied "Drunt' in der Lobau" von Heinrich Strecker aus dem Jahre 1926:
Drunt' in der Lobau, wenn ich das Platzerl nur wüßt,
Drunt' in der Lobau hab ich ein Mädel geküßt;
Ihre Augerln war'n so blau
Als wie die Veigerln in der Au
Auf dem wunderlieben Platzerl in der Lobau!
Und noch etwas sei für Lobau-Besucher angemerkt, damit diese nicht vor Schreck vom Sattel fallen: In manchen verborgenen Winkeln der Lobau hat sich seit den 1920er-Jahren ein Stelldichein von Anhängern der Freikörperkultur (FKK) etabliert. Im Herbst jedoch treffen wir keine Nackerten, alles bleibt sittsam verhüllt, allein die Natur stellt unverblümt und schamlos offen ihre Reize zur Schau, wie etwa beim stillen Donau-Oder-Kanal, wo das ruhige Wasser im Duett mit dem Himmel manch elegisches Bild komponiert:
Dann wird's auch noch historisch, da wir mit dem "Übergang der Franzosen" und Napoleons Pulvermagazin zwei Orte durchqueren, die geschichtliche Wurzeln haben: Napoleon hat sich hier auf die Schlacht bei Aspern gegen Erzherzog Karl am 21. und 22. Mai 1809 vorbereitet. Zwar fanden die eigentlichen Kampfhandlungen nördlich davon auf freiem Feld und teilweise auch in den Ortschaften (besonders Aspern und Eßling) statt, doch unternahm Napoléon im Bereich der Lobau von Kaiser Ebersdorf her einen Übergang über die noch nicht regulierte Hochwasser führende Donau. Nach der Schlacht zog er sich mit seinen Truppen in die Lobau, die damals eine Insel zwischen Armen der Donau bildete, zurück und schlug hier für einige Wochen sein Hauptquartier auf. Noch heute erinnern daran topografische Bezeichnungen wie Napoleonstraße, Napoleons Hauptquartier (bei der Panozzalacke), Napoleons Pulvermagazin, dem Franzosenfriedhof sowie Übergang der Franzosen (südlich von Groß-Enzersdorf) sowie der Napoleon symbolisierende Asperner Löwe.
Zurück zur Natur! Recht beschaulich geht’s oder radelt’s durch Wald, manchmal sogar durch dschungelartige Wildnis. Wir fahren auf einem eigens ausgewiesenen Radweg, sind hier also vollkommen legal unterwegs, was die Freude über das bequeme Fortbewegungsmittel noch steigert. Wir "floaten" genießend dahin, atmen die feuchte, nach Herbst duftende Luft ein und bleiben immer wieder stehen, um in die Wildnis zu lugen oder zu lauschen. In weitem Bogen und uns stets Richtung Essling haltend erfahren wir Kasernboden, Hüttenboden und das Durchschlaghäufel, bis wir bei der Esslinger Furt auf Stegen das Oberleitner Wasser überqueren.
Schlagartig ändert sich die Landschaft von Natur- in Kulturland. Die folgenden Kilometer durch Essling, Breitenlee und Süßenbrunn seien hier kurz zusammengefasst: Auf Asphalt, Schotter und geplegten Feldwegen geht es großteils durch die offene Ackerlandschaft des hier auslaufenden Marchfelds, an kleinen Schotterseen, Teichen und Kleingartensiedlungen vorbei, aber auch vereinzelt durch Grünoasen wie den absolut naturbelassenen Himmelteich in Essling. Ansonsten ist die Landschaft im Nordosten von Wien reine Nutzlandschaft, wo Naturliebhaber kaum auf ihre Rechnung kommen werden, umso mehr aber solche, denen es ums Auslüften, Auslaufen und Austoben geht. Genau hier, wo sich viele flache und etwas eintönige Straßenkilometer aneinanderreihen, bin ich heilfroh nicht wandernd unterwegs zu sein, sondern auf zwei Rädern. Achtung: Die Wegführung ist nicht immer klar, die Markierung unserer Tour verblasst und oft nicht zu erkennen. Was nichts macht: Mit einer halbwegs genauen Karte und ein wenig Richtungsgefühl kommt man irgendwie nach Gerasdorf. Aber Halt! Bei einer kleinen Sehenswürdigkeit bleiben wir vorher noch stehen, beim sog. Lamplkreuz: Diese Darstellung aus dem Jahre 1717 in der Weingartenallee zeigt Christus als guten Hirten, der ein Lamm auf den Schultern trägt.
In Gerasdorf (Gh. Zum Joschi, Schnellbahn) endet die 5. Etappe und besteigen die Schnellbahn, was mit Rädern kein Problem ist.
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Lexikon: Kraftwerk Freudenau
Die Staumauer staut die Donau auf einer Länge von rund 28 km auf eine Höhe von 8,6 m auf. Der Inhalt des Stauraumes beträgt ca. 55 Millionen m³, das Stauziel liegt auf einer Seehöhe von 161,35 m. Am rechten Ende der Staumauer liegen die beiden Schiffsschleusen mit jeweils einer nutzbaren Länge von 275 m und einer nutzbaren Breite von 24 Metern.
Im Maschinenhaus, das zwischen Schleusen und Wehranlage liegt, erzeugen 6 Maschinensätze elektrischen Strom für das öffentliche Stromnetz. Jeder dieser Sätze besteht aus einer Kaplan-Rohrturbine mit einem direkt gekoppelten Drehstromgenerator. Jede der Wasserturbinen hat einen Durchmesser von 7,5 m. Bei einem Ausbaudurchfluss von 3.000 m³/s beträgt das Regelarbeitsvermögen jährlich 1.052 Millionen kWh, dies entspricht dem Jahresverbrauch von zirka der Hälfte aller privaten Wiener Haushalte.
Die Lobau
In früheren Zeiten war die Lobau ein von Donauarmen begrenztes Augebiet. Im 15. Jahrhundert errichtete der Räuberhauptmann Sokol in der Lobau einen "Räuberstaat". Später war die Aulandschaft ein beliebtes Jagdgebiet der jeweiligen Herrscher. 1809 schlug Napoleon in der Lobau sein Hauptquartier auf.
Donauregulierungen im 19. Jahrhundert schnitten die Lobau schließlich von den für eine Aulandschaft notwendigen Überflutungen ab.
Die Lobau wurde daher 1977, nicht zuletzt auf Betreiben des Limnologen Heinz Löffler von der UNESCO anerkannt, ist seit 1978 Naturschutzgebiet, seit 1983 Ramsargebiet und seit 1996 Teil des Nationalparks Donau-Auen.Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Lobau als Naherholungsgebiet beliebt. Man konnte mit der (1922 eröffneten und 1970 eingestellten) Straßenbahnlinie 317 (Kagran–Groß-Enzersdorf) anreisen und hier ausgedehnte Wanderungen unternehmen und Badetage verbringen, ohne auf viele Menschen zu stoßen. (Wikipedia)
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Der Nationalpark Donau-Auen
Der Nationalpark Donau-Auen ist ein 9.300 ha großer Nationalpark, der sich von Wien bis zur Mündung der March in Niederösterreich an der Staatsgrenze zur Slowakei erstreckt. Er ist eine der größten weitgehend intakten Aulandschaften Mitteleuropas entlang der Donau.
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