Das Reichraminger Hintergebirge zählt zu den schönsten und größten Urlandschaften Österreichs und ergibt zusammen mit dem Sengsengebirge den Nationalpark oberösterreichische Kalkalpen. Verborgene Schluchten, unberührte Bergbäche, naturnahe Wälder, aussichtsreiche Berggipfel und reizvolle Almen sind Lebensraum und Rückzugsgebiet für seltene und gefährdete Tiere und Pflanzen. Unser Weg führt genau mitten hindurch ...
Tag 29: Windischgarsten – Kleiner Sattel – Weg 475 – Muttling – Hanslalm (1199 m) – Dörflmoaralm – Ahornsattel (1140 m) – Blabergalm – NP-Biwakplatz Weißwasser (615 m)
Weil ich für zwei Tage die Zivilisation verlasse, schlage ich mir im Dorfzentrum von Windischgarsten den Bauch voll und marschiere mit übervollem Monster (= Rucksack) Richtung Wildnis los. Als ich einer Sommelrodelbahn am Wurbauer bergan folge, denke ich mir: Welches Erlebnis kann schöner, spannender, kurzweiliger sein als das Naturerlebnis?
Die Wolken haben sich zwischen den Wipfeln der Bäume verhängt, der Boden ist tief von vergangen Regentagen, kleine Rinnsale mit klarem Wasser queren meinen Weg. Ja, auf so einer Wanderung werden die Probleme gefiltert, die Bagatell-Sorgen weggangen, das verkalkte Innere durchgespült. Das Schöne an meiner Tour ist das immer wieder Aufbrechen, Gehen, Ankommen. Ich folge den Schildern Salzatal, verlasse Disneyland und folge ab dem Kleinen Sattel Weg 475. Dieser führt an mehreren Gehöften vorbei, aus denen – eh klar – unbeaufsichtigte Hunde auf mich zustürmen und mich zornig verbellen. Ein immer wiederkehrendes Phänomen ab jetzt, denn in den nächsten Tagen sollten es noch mehr Hunde werden, die wütend an mir hochspringen. Bitte, liebe Touristiker und Wegbetreuer: Es ist kein Spaß für Wanderer, schon gar nicht für Kinder, von kläffenden Hunden bedroht zu werden! Bitte, Hunde bitte an die Leine oder im umzäunten Gelände halten, wenn ein Wanderweg vorbeiführt!
Rechts in der Ferne die stolz aufragenden Haller Mauern, zu meinen Füßen ganz nah Zyklamen, Riesenfarne, Pilze, feucht-frisch duftende Natur. Stille ringsum. Wald. Pause auf der Terrasse der verlassenen Hanslalm (Brunnen) mit letztem Blick aufs Warscheneck. Nun wunderbar und schön und einsam zur Dörflmoaralm. Auch sie verlassen, von dünnen Nebelwolken verhangen. Ein Urbild des Friedens und der Harmonie. Im Vorgarten zweier Hütten mit Bier gefüllte Brunnen, dann plötzlich eine Bewegung – aus der Wiese löst sich ein Fuchs, huscht über den Weg und duckt sich unter die Bank der Hütte. Seelenruhig blickt er mich an, als hätte er auch mich gewartet und heiße mich willkommen. Bei der letzten Hütte wenden wir uns links bergan und genießen den Weg über die weichen Almwiesen zum Ahornsattel. Herrlich der Blick über die Waldeinsamkeit des Hintergebirges, und auch die Haller Mauern und das Tote Gebirge präsentieren sich eindrucksvoll. Dass der Himmel ergraut ist und zu Regen neigt, macht hier nichts. Die Natur ist auch im grauen Gewand reizvoll. Bergab auf wurzeligem Pfad um riesige Felsbrocken herum. Sie liegen hier so verstreut und dahingeworfen, als wären sie vom Himmel gefallen. Aber auch der Wald hier ein Himmelsgeschenk. Man merkt, man ist im streng geschützten Nationalpark Kalkalpen: Was hier fällt, bleibt auch liegen. Als das Rauchen eines Flusses lauter wird, nähern wir uns dem Tal. Der Klosterweg, der sich fast eben um die Königin und den Blaberg-Hochkogel herum zieht, ist wirklich klösterlich einfach, meditativ, besinnlich. Ab der Blabergalm geht es nun steil bergab bis zum Nationalpark Biwakplatz Weißwasser (an drei Orten im Nationalpark ist Zelten gegen einen kleinen Unkostenbeitrag erlaubt! Nähere Infos: OeAV Sektion Molln-Steyrtal), wo auch drei Jugendliche logieren und einen Lagerfeuer vorbereiten. Ich stelle mein Zelt auf, richte mich auf die Nacht ein. Sie lachen, weil ich sie für Jägergesellen halte. Nein, sie unternähmen nur einen Ausflug, wollten hier grillen und eine Nacht in freier Natur verbringen. Just als die drei das Feuer entfachen und ihre Würste nach Pfadfinder-Manier mittels gespitzter Spieße grillen wollen, beginnt der Regen und verjagt sie in einen notdürftig mit einer Plastikplane verhängten Verschlag.
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Tag 30: NP-Biwakplatz Weißwasser – Schleierfall – Weg 485 – Klausriegel (ca. 900 m) – Brunnbach – Gschwendtbauer – Großraming (Zeltplatz Aschertal)
Früh am Morgen, die Sonne ist noch nicht richtig aufgegangen, weckt mich ein Zerren und Rascheln an der Außenplane des Zeltes. Erschrocken öffne ich das Zelt und blicke in die ebenfalls erschrockenen Augen eines Fuchses, der nach meiner Wurst geangelt hat. Vielleicht jener von gestern auf der Dörflmoaralm, der mir und dem Duft der Wurst gefolgt war? Bevor ich ihm sein Frühstück servieren kann, verschwindet er im Gebüsch. Es ist still ringsum. Meine Nachbarn schlafen noch. Ich werfe den Kocher an und bereite mir einen Kaffee zu. Im Morgengrauen marschiere ich am sog. Waldbahnweg entlang des Schwarzen Baches dem Schleierfall zu. Überall rinnt und rauscht es, aus den Felsen tröpfeln kleine Rinnsale, von den Bäumen träufelt es mir auf den Kopf. Verschlafen streicht die Sonne über die Baumwipfel. Beim rauschenden Schleierfall dann – wieder einmal – ein Flüchtigkeitsfehler, der meinen Tagesplan vollkommen verändern und mir einiges Herzklopfen bereiten würde. Vermeinend, dass der Pfad beim Schleierfall zum sog. Triftsteig (ein Klettersteig A/B) führe, steige ich dem Weg 485 hoch Richtung Anlaufalm. Diese landschaftlich reizvolle Variante führt in eines der Herzstücke des Nationalpark Kalkalpen, der Großen Schlucht über den Hochschlachtbach. Der "nur Geübten" vorbehaltene Pfad ist schon von Anfang an schwierig und selektiv. Sehr steil und schmal führt er einen rutschigen Hang bergan. Ausgleiten verboten, da eine Bremsung in der regenfreuchten und glitschigen Hangwiese kaum möglich wäre. Nach einer halben Stunde erkenne ich zwar meinen Fehler, will jedoch nicht mehr zurück, da zu gefährlich. Ich hätte es dennoch tun sollen, denn der Aufstieg über die Hochschlacht wird noch schwieriger. Nicht mehr als einen Fuß breit verbirgt sich der abschüssige Pfad zumeist unter hohem Gras, sodass ich mich behutsam vorwärtstasten muss, um ihn nicht zu verfehlen und auszurutschen. Mit dem schweren Monster am Rücken keine Kleinigkeit. Teilweise sehr ausgesetzt geht es nun über den Dolomitgrat, wo sich immer wieder ein etwas furchteinflößender Tiefblick in die Große Schlucht eröffnet. Für die wilde Landschaft und die Salamander ringsum bleibt deswegen kein ruhiger Blick. Die zwei mit Seilen gesicherten Stellen sind viel zu wenig. Weniger Trittsichere seien vor diesem Pfad gewarnt: Nicht bei feuchten Witterungsverhältnissen!
Große Erleichterung, als ich Kuhgeläut – Musik heute in meinen Ohren! – vernehme, was auf die nahe Anlaufalm schließen lässt. Geschafft! Am sog. Klausriegel unter der Anlaufalm wende ich mich nach links auf den guten und entspannenden Kalkalpenweg 488 und steige durch Wälder und entlang der Brust des Hochkogels zu einer Forststraße ab. Hier treffe ich auch auf die ersten Menschen heute, Pilzsucher, die mit prallvollen Plastiksackerln ihre Geheimstellen abgrasen. In Brunnbach befindet sich eine Rekonstruktion eines kleinen Bahnhofes der Waldbahn neben einem Infogebäude des Nationalparkes. Die Rekonstruktion enthält Gleise, eine Weiche und als Fahrzeuge einen beladenen Holzzug mit einer Dampflokomotive. Die Waldbahn Reichraming diente der Erschließung der Wälder im Reichraminger Hintergebirge.
Von Brunnbach an geht die finstere, waldige und felsige Landschaft in die sanfthügelige der Voralpen über. Etwas gelangweilt schlendern wir auf Asphalt durch Kulturlandschaft bis Großraming, wo ich am Campingplatz Aschertal einen Logenplatz hoch über der Enns ergattere. Neben mir nur zwei unstete, braungebrannte Deutsche, die seit einer Woche per Rad von Dresden gen Rom unterwegs sind. Vollbepackt radeln sie von Campingplatz zu Campingplatz und lernen so die Welt aus einer neuen Perspektive kennen. Auch nicht schlecht! Am Ufer des eigentlichen, von Dauergästen besetzten Platzes ein weißhaariger Fischer, mit dem schnell ein Gespräch zustande kommt. Fünf Herzinfarkte (pendelte jeden Tag von Steyr nach München) hätten ihn mit 43 Jahren in Pension gezwungen, seit 13 Jahren verbringe er jeden schönen Tag hier, während seine nicht campingsüchtige Frau zuhause bleibe. Stolz lädt er mich auf ein Bier in seine "Villa" ein, einen Campingwagen mit Anbau (Wohnzimmer) und Überdachung (Terrasse). So habe er für nur 800,–/Jahr eine feine Behausung am Fluss, fische und genieße das Leben in vollen Zügen – prost. Auch nicht schlecht, aber nichts für mich, dessen Behausung heute zwar nur rund 2 m2 misst, der aber morgen samt Iglu weiterziehen und Neuland entdecken wird ...
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Lexikon: Nationalpark Kalkalpen/Reichraminger Hintergebirge/Sengsengebirge
Der Nationalpark Kalkalpen besteht aus zwei Gebirgseinheiten, dem Sengsengebirge und Reichraminger Hintergebirge. Zusammen ergeben sie das größte Waldschutzgebiet Österreichs. Der Nationalpark umfasst 20.850 Hektar und erstreckt sich über eine Seehöhe von 385 bis knapp 2000 Meter. Verborgene Schluchten, unberührte Bergbäche, naturnahe Wälder, aussichtsreiche Berggipfel und reizvollen Almen sind Lebensraum und Rückzugsgebiet für seltene und gefährdete Tiere und Pflanzen – zum Beispiel Luchs, Weißrückenspecht und Alpenbockkäfer sowie Clusius-Primel und Frauenschuh. Im Nationalpark Kalkalpen finden sich 50 Säugetier- und 80 Brutvogelarten, 1.400 verschiedene Schmetterlinge und mehr als 1.000 unterschiedliche Blütenpflanzen, Farne und Moose.
Das Reichraminger Hintergebirge zählt zu den größten geschlossenen Waldgebieten Österreichs - ein Waldmeer, das noch nicht durch öffentliche Verkehrswege und Siedlungen zerschnitten ist. Hier finden wir auch eines der längsten unversehrten Bachsysteme der Ostalpen. Alte Klausen und verfallene Triftsteige erinnern heute noch an die Holznutzung in früheren Zeiten. Das Sengsengebirge ist ein nördlicher Vorposten der alpinen Kalkalpen. Der etwa 20 km lange Hauptkamm erreicht mit dem Hohen Nock (1.963 m) seine höchste Erhebung. Der Name Sengsengebirge lässt sich von der Nutzung der Wälder als Energiequelle für die früher hier sehr zahlreichen Sensenschmieden herleiten.
Quelle: www.kalkalpen.at
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